Stadt räumt mit Gerüchten auf

Saarbrücken · Erst kamen die Fakten, dann die Diskussion: Bürgermeister, Ralf Latz, hat am Donnerstag die Bewohner von St. Johann in die Aula der Willi-Graf-Schulen eingeladen, um ihnen zu erklären, wo im Stadtteil Flüchtlinge untergebracht werden. Unterstützt wurde er von Experten der Polizei, der Feuerwehr und der Verwaltung.

Die Fakten waren schnell erzählt: 1600 Flüchtlinge wurden Saarbrücken bereits zugewiesen. Die Stadt hat die Aufgabe, diesen Menschen ein Dach über dem Kopf zu organisieren. "Und wir müssen einplanen, das monatlich 150 bis 200 Flüchtlinge hinzukommen", sagte Saarbrückens Bürgermeister Ralf Latz . Die Politik der Stadt und des Landes sei es, die Wohnorte der Flüchtlinge dezentral zu organisieren. In Saarbrücken habe die Stadt daher als Erstes bisher leer stehende Wohnungen renovieren lassen. "Diese Wohnungen sind nun alle weg", sagt Latz. Daher durchforstet die Verwaltung die Stadt nach leer stehenden Immobilien. In St. Johann hat sie drei Bürogebäude ausgemacht, die sich eignen. Ein Gebäude steht in der Richard-Wagner-Straße 52. Dort sollen nach Auskunft von Latz 120 Menschen untergebracht werden, vorrangig Familien. Denn während im vergangenen Jahr meist nur junge Männer kamen, seien es nun viel mehr Familien, für die die Stadt Unterkünfte finden muss. Das zweite Gebäude steht in der Mainzer Straße 185, wo Platz für 60 Menschen geschaffen wird. Das dritte Gebäude ist in der Brebacher Landstraße 4, wo 50 bis 55 Menschen ein Zuhause finden sollen. Nach den Fakten beantworteten Latz und seine Kollegen die Fragen der Besucher. Hier eine Auswahl:

Hat die Stadt schon Pläne, wie sie die Menschen beschäftigen will?

Ralf Latz : Bis zur Anerkennung haben wir Flüchtlinge überwiegend im Forst oder in sogenannte Arbeitsgelegenheiten (AGH) beschäftigt.

Bekommen Saarbrücker noch günstigen Wohnraum?

Latz: Wir haben in erster Linie Wohnraum reaktiviert. Das heißt, wir haben Wohnungen renoviert, die jahrelang keiner wollte. So haben wir 650 Menschen untergebracht. Dann halten wir Kontingente für Saarbrücker vor. Deshalb müssen wir nun schauen, wo noch Flächen erschlossen werden können.

Sandra Marx, Siedlungsgesellschaft: Die neuen Wohnungen sind mit einem besonderen Status ausgezeichnet, der zehn Jahre gilt. Er beinhaltet unter anderem günstige Mieten. Wenn Flüchtlinge ausziehen, ist der Wohnraum auch für andere Saarbrücker verfügbar. Wir denken langfristig. Solchen Wohnraum können zum Beispiel später Studenten nutzen.

Wenn Flüchtlinge hier wohnen, zieht das rechte Gruppen an.

Latz: Es gibt Ängste in der Bevölkerung. Die nehmen wir ernst. Deshalb fördern wir zum Beispiel kleine Wohneinheiten. Hier geht Integration besser. Der Kontakt mit den neuen Nachbarn hilft, Ängste abzubauen.

Udo Schneider, Leiter der Polizei St. Johann: Es gibt im Augenblick keinen Grund für Ängste . Und wir brauchen auch keine Bürgerwehren oder Schutzbewaffnung der Bevölkerung.

Ich habe aber Angst und fühle mich nicht mehr sicher!

Latz: Es gibt nichts festzustellen, was die Unsicherheit begründet. Eine gesteigerte Zahl von Straftaten ist allerdings festzustellen: bei der Gewalt gegen Flüchtlingsheime.

Udo Schneider: Beim Thema Flüchtlinge gibt es einen Medienhype. Und es gibt die Diskussionen in den Sozialen Netzwerken. Das bildet nicht die Realität ab.

Wir haben in Deutschland eine Million mehr Menschen durch die Flüchtlinge . Da ist es normal, dass sich die Kriminalitätsstatistik verändert. Das wäre auch so, wenn eine Million Deutsche hinzukommen würden.

Ich habe als Frau aber schon Belästigungen erlebt. Zum Beispiel in der Saarbahn.

Latz: Dass es gerade in der Nacht zu Belästigungen in der Saarbahn kommt, ist kein Problem, dass es erst mit den Flüchtlingen gibt. Gerade an Wochenenden und wenn Alkohol im Spiel ist, war das auch vorher schon ein Problem.

Annette Linneweber, Netzwerk Ankommen: Ich kann Sie nur einladen, vorbeizuschauen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Das wird ihre Ängste zerstreuen.

Kündigt die Stadt Bürgern die Wohnung, um dort Flüchtlinge unterbringen zu können?

Ich bin dankbar für die Frage. Solche Gerüchte kursieren häufig. Klare Antwort: Nein.

Meinung:
Warum Anstand so schwer ist

Von SZ-Redakteur Fabian Bosse

Aufstehen, wo andere sich in der Masse verstecken, den Mund aufmachen, wo andere schweigen und wegsehen. Trotz der eigenen Angst, den Rücken gegen Ungerechtigkeit, Willkürherrschaft und Terror durchstrecken: Für viele Menschen ist das deutsche Leitkultur. In Saarbrücken war einer dieser Menschen Willi Graf , dem die Nazis deswegen den Kopf abschlugen. Sein Bild stand bei der Info-Veranstaltung vor den rund 130 Menschen im Saal. Vorn die Leitkultur, in der Mitte die Saarbrücker und ganz hinten in der letzten Reihe krakelten die Menschen, die die Demokraten so herausfordern. Die angeblich einzigen, die die Wahrheit kennen. Die behaupten keine Nazis zu sein, aber Angst vor Überfremdung haben. Die Angst schüren, aber ihre Thesen nicht mit Fakten belegen können. Und die am Donnerstag Unsicherheit verbreiten wollten, indem sie die Menschen im Saal filmten, deren Meinungen dokumentierten und den Handelnden signalisieren wollten: "Wir haben euch im Visier."

Demokratie und Anstand haben Gemeinsamkeiten: Sie sind anstrengend. Weil man täglich an ihnen arbeiten muss. Weil sie streitbar sind, ihr Umfeld sie ständig herausfordert und sie verteidigt werden müssen. Ralf Latz hat den Angstschürern gesagt, dass sie ihn, aber niemanden sonst filmen können. Er hat ihnen nicht gesagt, sie sollen abhauen, sondern hat ihre Fragen zugelassen, aufmerksam zugehört und sie mit seinen Kollegen sachlich und unaufgeregt beantwortet. Das war souverän und anständig.

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