Abgeschoben, aber zurückgekehrt

Saarbrücken · Ihre kurdische Familie floh aus der Türkei, war 14 Jahre im Saarland geduldet, wurde abgeschoben und lebte wieder in der Türkei, bis ein Teil nach Deutschland zurückdurfte. Jetzt ist Nazife Özdemir Deutsche.

 Nazife Özdemir wurde als Kurdin in der Türkei geboren – seit Kurzem ist sie Deutsche. Foto: Iris Maurer

Nazife Özdemir wurde als Kurdin in der Türkei geboren – seit Kurzem ist sie Deutsche. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Seit einigen Wochen ist die gebürtige kurdische Türkin Nazife Özdemir (28) deutsche Staatsbürgerin. Bis dahin glich ihr Leben einer Achterbahnfahrt. "Vertrauen in das Leben hatte ich jahrelang nicht", sagt sie, "ich hatte das Pech, in eine kurdische Familie geboren zu werden, die in der Türkei verfolgt wurde und deswegen in Deutschland Asyl beantragte."

1987 verließ die Familie das kleine Heimatdorf in der Nähe der südostanatolischen Stadt Cizre. Nazife war, als sie im Flüchtlingslager Lebach ankamen, gerade mal zwei Jahre alt. 14 Jahre lebte die neunköpfige Familie - die 28-Jährige hat eine Schwester und fünf Brüder - im Saarland. Erst im Lebacher Flüchtlingslager, dann in eigenen Haushalten im nördlichen Saarland und schließlich acht Jahre in Wadern. "Damals bestand mein Alltag aus Schule und Freunden. Ich war 16 und wollte den Realschulabschluss machen." Ihr Leben aber änderte sich schlagartig am 15. November 2001. "Mitten in der Nacht, gegen drei Uhr morgens, klopfte es an der Tür. Ich weiß nicht mehr, wie viele Polizisten in die Wohnung stürmten, um uns abzuschieben. Ich stand völlig unter Schock." Sieben der neun Familienmitglieder wurden abgeschoben. Nur die zwei älteren Brüder durften bleiben.

Nazifes Vater arbeitete in Saarlouis in einem Krankenhaus, die Familie war integriert, lebte seit über 14 Jahren im Saarland, die Geschwister gingen zur Schule oder machten eine Ausbildung. Warum die Abschiebung? Die CDU-Landesregierung verschärfte das Asylrecht, erinnert sie sich. "Wir hatten auf das Bleiberecht, das die rot-grüne Regierung eingeführt hatte, gehofft. Wenn man mehr als acht Jahre in Deutschland lebt, ein Elternteil arbeitet, keiner kriminell ist, sollte ein dauerhaftes Bleiberecht ausgesprochen werden." Bei Familie Özdemir traf alles zu. "Doch ein Asylantrag war zuvor abgelehnt worden, weil mein Vater vor Gericht nicht glaubhaft machen konnte, dass er sich als Kurde in der Türkei verfolgt fühlte." Familie Özdemir wurde aus ihrem bisherigen Leben gerissen. "Wir sind bei einem Onkel in seinem Dorf untergekommen. Ich hab' mich dort verkrochen, bin immer mehr in die kurdische Kultur abgetaucht. Ich wollte Deutschland vergessen." Ihre zwei Brüder kämpften für die Rückführung der Familie. "Meine Mutter erzählte mir, dass meine Brüder unzählige Mahnwachen vor dem Rathaus in Wadern abhielten, demonstrierten und Unterschriften sammelten, um uns zurückzuholen. Mich interessierte das aber nicht."

Im August 2003 erreichten die Brüder eine Rückführung ihrer Schwestern, später folgten auch die jüngeren Brüder. Die Eltern aber leben bis heute in der Türkei. "Meine Schwester war bei der Abschiebung 21, hatte Abitur und wollte studieren. Das erlaubte man ihr schließlich. Ich durfte mit." Doch statt Freude "fühlte ich mich, als würde ich nach fast zwei Jahren ein zweites Mal abgeschoben". Noch immer fällt es der jungen Frau schwer, davon zu berichten, immer wieder füllen sich ihre Augen mit Tränen. "Die Abschiebung hat mich sehr verletzt. Ich hab' nichts verbrochen. Man wollte mich einfach nicht mehr in dem Land, wo ich aufgewachsen bin."

Dass sie sich um die Einbürgerung bemühte, hatte vor allem "mit dem Gefühl der Sicherheit zu tun". Bei der Abschiebung wurden ihrem Vater Lappalien wie Tempolimit-Überschreitungen vorgeworfen, erinnert sie sich. "Heute kann ich geblitzt werden, ohne Angst zu haben, dass man mich ausweist", sagt sie und lächelt das erste Mal.

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