Netzsicherheit im Saarland „Grüner Stahl“ könnte Stromnetz belasten

Saarbrücken · Berechnungen zufolge würde die saarländische Stahlindustrie doppelt so viel Strom verbrauchen wie heute das gesamte Land.

Sollte die saarländische Stahlindustrie auf Wasserstoff umsteigen, könnte eine  zusätzliche Hochspannungsleitung nötig werden, sagte Achim Zerres von der Bundesnetzagentur im Saar-Landtag.

Sollte die saarländische Stahlindustrie auf Wasserstoff umsteigen, könnte eine  zusätzliche Hochspannungsleitung nötig werden, sagte Achim Zerres von der Bundesnetzagentur im Saar-Landtag.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Die Botschaft hören die Politiker gerne. „Die Stromversorgung im Saarland ist sicher“, verkündete Eugen Roth, energiepolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, nach der Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Saar-Landtags zum Thema Netzsicherheit. Zuvor hatten die Experten, die von den Parlamentariern dazu gehört wurden, bestätigt, dass ein großflächiger Stromausfall – ein sogenannter Blackout – im Saarland sehr unwahrscheinlich sei. Zumal das Saarland über ein sehr gut ausgebautes Stromnetz verfüge, das teilweise sogar doppelt vorhanden sei. Denn die saarländischen Bergwerke hatten eine eigene Stromversorgung. Dieses Netz ist heute noch in Betrieb und gehört nach mehreren Eigentümer-Wechseln dem Gas-Versorger Creos. Daran erinnerte auch die Ausschuss-Vorsitzende Sarah Gillen (CDU).

Dennoch gossen die Experten einiges an Wasser in den Wein der Zuversicht. „Das, was bisher bei der Energiewende erreicht wurde, war der leichtere Teil“, sagte Roman Fixemer, Geschäftsführer des Saarbrücker Versorgers VSE. „Der wesentlich schwierigere und anspruchsvollere Part steht uns noch bevor.“ So werde es immer schwerer vorherzusagen, wann Strom in großen Mengen abgerufen wird, erinnerte er. Ein Unsicherheitsfaktor sei beispielsweise die von der Bundesregierung kräftig geförderte Elektro-Mobilität. „Was hier an Strombedarf auf uns zukommt, ist noch völlig offen“, räumte Fixemer ein. Das Gleiche gelte für die aktuell propagierten Wärmepumpen als Ersatz für Ölheizungen. Diese hätten ebenfalls einen hohen Strombedarf.

Ungelöste Fragen werfe auch der „weitgehende Ersatz der planbaren Erzeuger wie beispielsweise Kohlekraftwerke durch dezentrale volatile Erzeugungseinheiten wie Strom aus Sonne und Wind auf“, so der VSE-Mann. Vor allem der Wind ist ein unsteter Geselle. Thomas Dederichs, Leiter Energiepolitik beim Übertragungsnetz-Betreiber Amprion, machte dies während der Anhörung anhand einer Grafik deutlich. Danach gibt es Tage, an denen der Wind 93 Prozent der installierten Leistung von rund 50 000 Megawatt in die Stromnetze drückt. Zu anderen, windstillen Zeiten könnte dieses Angebot auf knapp vier Prozent zusammenschnurren. Ähnlich verhalte es sich mit der Photovoltaik.

Die Wetterprognosen „sind inzwischen zwar wesentlich zuverlässiger als noch vor wenigen Jahren, so dass wir das erwartbare Angebot an grünem Strom besser bestimmen können“, ergänzte Dederichs. Doch es bleibe das Problem, „dass elektrische Energie aus Wind und Sonne an der falschen Stelle und zur falschen Zeit erzeugt wird“. Die Windstrom-Produktion sei im Norden Deutschlands am höchsten, die Energie werde aber im Süden gebraucht. Und die Sonne scheine um die Mittagszeit am stärksten, wenn wenig Strom benötigt wird. Abends, wenn die Leute nach Hause kommen und ihre Elektrogeräte anschalten beziehungsweise künftig ihre E-Autos aufladen, verabschiede sich der Solarstrom in die Dunkelheit. Für den Netzbetreiber Amprion ist die Sache klar. „Wir brauchen neue Leitungen von den Erzeugern zu den Verbrauchern.“

Um die Schwankungen auszugleichen, „wäre auch der Neubau von Gaskraftwerken, die schnell aus- und eingeschaltet werden können, sinnvoll“, sagte Achim Zerres, Abteilungsleiter Energieregulierung bei der Bundesnetzagentur, am Rande der Anhörung. Eine zusätzliche Hochspannungsleitung muss möglicherweise auch durch das Saarland gezogen werden, räumte Zerres ein. Diese sei dann unabdingbar, wenn die Stahlindustrie ihr Roheisen nicht mehr mithilfe von Kokskohle, sondern mit Wasserstoff erzeugt. Dieser sogenannte grüne Stahl erfordert etwa das Doppelte an Strom als bisher im Land verbraucht wird. Berechnungen der Stahlindustrie gehen von einem jährlichen Mehrbedarf von 16 Milliarden Kilowattstunden (kWh) aus. Im gesamten Land werden derzeit 8,1 Milliarden kWh gebraucht.

Wenn sich Deutschland aus der Atom- und Kohleverstromung verabschiedet, „muss der europäische Stromverbund hergestellt sein“, so Zerres weiter. Er räumte ein, dass Deutschland dann aus dem Ausland zu bestimmten Zeiten Strom zukaufen müsse – beispielsweise aus Frankreich und Polen. „Die machen das auch, denn sie verdienen Geld damit“, meinte er.

Der AfD-Abgeordnete Lutz Hecker hat in diesem Punkt erhebliche Zweifel. „Was passiert, wenn diese beiden Länder ihren Strom selbst benötigen?“, fragte er. Eine für ihn „zufriedenstellende Antwort blieb aus“. Vor allen Dingen im Winter sei Frankreich häufig nicht in der Lage, Strom zu exportieren, betont Hecker. „Dabei wird das deutsche Netz immer häufiger an seine Belastungsgrenzen stoßen, wenn wir uns komplett aus der Kernenergie verabschiedet haben und die ersten Kohlekraftwerke abgeschaltet werden“. Für ihn ist ein Blackout „daher nicht von der Hand zu weisen“. Und: „Das Land ist überhaupt nicht darauf vorbereitet.“

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