Eine Homburger Kanzlei und die Masern

Homburg · Die Homburger Anwaltskanzlei Gebhardt vertritt einen aus Homburg stammenden Arzt, der von einem Impfgegner 100 000 Euro haben möchte. Warum? Weil der Impfgegner die Existenz von Masernviren bestreitet. Wie ernst kann man diesen Prozess nehmen? SZ-Redakteurin Christine Maack sprach mit Anwältin Caroline Gebhardt.

Was in unserer Gesellschaft schief läuft, landet irgendwann vor Gericht. Sofern die Betroffenen klagen. Da gibt es Fälle, die kann man sich kaum vorstellen, doch sie passieren: Da wird einem alten Mann täglich ein Essentablett hingestellt, das er aber nicht anrühren kann, weil er seine Arme nicht bewegen kann.

Das Tablett wird drei Mal am Tag unberührt weggeräumt, der Mann steht kurz vor dem Hungertod, als die Angehörigen Alarm schlagen und einen Anwalt einschalten. Caroline Gebhardt, Anwältin in Homburg , sind solche Fälle auch bekannt, denn sie ist auf Medizinrecht spezialisiert. Sie kennt traurige Situationen, Routinefälle, berechtigte und unberechtigte Angriffe gegen Ärzte, Emotionen und Verdächtigungen. Da wirkt die Rückbesinnung auf sachliche Argumente, auf die es vor Gericht ankommt, oft beruhigend.

Doch manchmal gibt es Fälle, die selbst erfahrenen Juristen "völlig verrückt" vorkommen. Beispielsweise der Masern-Prozess. Der Impfgegner Stefan Lanka hatte 2011 per Internet demjenigen 100 000 Euro geboten, der anhand einer wissenschaftlichen Veröffentlichung die Existenz und Größe der Masernviren belegen könne.

Der Biologe bestreitet deren Existenz, das Impfen gegen Masern und Viren habe daher keine wissenschaftliche Rechtfertigung (wir berichteten). Der aus Homburg stammende Arzt David Bardens (30), der inzwischen in Schweden arbeitet, sah die Auslobung der Prämie im Internet, schickte dem Impfgegner einen Stapel wissenschaftlicher Studien zu - und seine Kontonummer gleich mit. Weil Lanka diese Untersuchungen aber nicht akzeptierte und die 100 000 Euro nicht zahlen wollte, zog Bardens die Anwältin Caroline Gebhardt zu Rate, die Lanka auf Zahlung der 100 000 Euro verklagte.

Das Geld hat der Biologe Lanka inzwischen "sehr schnell hinterlegt", informiert Caroline Gebhardt, "sonst wäre er ins Gefängnis gewandert". Zumal das Landgericht Ravensburg im August in einer ausführlichen, vierstündigen Verhandlung den Beweis der Masernviren als geführt angesehen hatte.

Warum nimmt man einen solchen Fall an? "Ich liebe die Herausforderung. Einen solchen Prozess zu führen - das kommt nicht alle Tage vor, und ich mag den Austausch fundierter Argumente", sagt die Homburger Anwältin. Nahm das Gericht das Ganze denn ernst? "Natürlich, das war ein sehr ausführlich begründetes und fundiertes Urteil, das im Wesentlichen den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Gutachters Professor Andreas Podbielski folgte." Podbielski ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene am Rostocker Uniklinikum und ein ausgewiesener Fachmann. Was für eine Art Gegner ist der Biologe Stefan Lanka vor Gericht? "Er ist zu dem Termin nicht erschienen", so Gebhardt, ,,ich kenne ihn nicht persönlich". Sie erinnere sich aber, dass Lanka einmal zu einer öffentlichen Impfpass-Verbrennung aufgerufen habe. Klingt das nach Fanatismus? Oder pseudoreligiösem Eiferertum? Caroline Gebhardt zuckt die Schultern: "Ich bin Juristin." Sie wisse nur, dass diesem Verbrennungs-Aufruf kein großer Erfolg beschieden gewesen sei. Hätte sie Lanka als Anwältin vertreten? "Nein, bestimmt nicht. In einem solchen Fall sollte man schon seiner eigenen Überzeugung folgen." Denn Caroline Gebhardt lässt sich impfen, "in einer Kanzlei ist immer Publikumsverkehr und ich möchte nicht auf den Impfschutz verzichten".

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Auf enen BlickSchuld an den Masern sind Viren, genauer: Paramyxo-Viren. Sie sind in Speicheltröpfchen enthalten, das heißt, man kann sich anstecken, weil man angehustet oder angeniest wird. Über die Schleimhaut von Mund, Nase und Rachen dringen die Erreger in den Körper ein. Bevor bei einem Kind die Masern erkannt werden, weil seine Haut mit den typischen roten Punkten bedeckt ist, hat es womöglich schon andere Kinder angesteckt. Der rotgepunktete Ausschlag sieht zwar dramatisch aus, ist aber nicht so schlimm - außer, dass er juckt. Tückischer ist das, was man nicht sieht: Die Masern-Viren schwächen das Immunsystem und greifen auch innere Organe wie Lunge, Leber oder Darm an. Am schlimmsten ist, wenn die Erreger ins Hirn gelangen und dort die sogenannte Masern-Enzephalitis auslösen, die im schlimmsten Fall zu bleibender geistiger und körperlicher Behinderung oder sogar zum Tod führen kann. Wer einmal die Masern hatte, bekommt sie nie wieder. Denn das Immunsystem erkennt sofort die Erreger und hält passende Abwehrstoffe, so genannte Antikörper, bereit. Dr. Joachim Richter, niedergelassener Kinderarzt in Homburg , der auch jahrelang als Kinder- und Jugendarzt am Uniklinikum tätig war, hatte in dieser Zeit zwei Fälle dieser tödlichen Spätfolge der Masern erlebt - ebenso drei akute Fälle, das heißt, dass die Gehirnentzündung gleichzeitig mit den Masern auftrat. Er ist ein Befürworter der Impfung und warnt davor, die Masern zu unterschätzen oder gar Masernpartys zu veranstalten. maa

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