Viel Beifall für letzte Premiere von Saarbrücker Schauspieldirektorin Bettina Bruinier „Wir schaffen das“ – eben nicht

Saarbrücken · Ein Wohnkollektiv ist keine Rettung aus Eheproblemen. Diese Erkenntnis ist banal, doch daraus lässt sich ein tragfähiger Theaterabend machen. Wenn man es so unaufgeregt anstellt wie jetzt in der Saarbrücker Feuerwache.

Gemeinschaft macht glücklich – Szene aus dem Stück "Die Kommune", das am Samstag in der Saarbrücker Alten Feuerwache Premiere hatte und sehr viel Applaus bekam.

Gemeinschaft macht glücklich – Szene aus dem Stück "Die Kommune", das am Samstag in der Saarbrücker Alten Feuerwache Premiere hatte und sehr viel Applaus bekam.

Foto: martinkaufhold.de, Martin Kaufhold

Geben ist seliger denn nehmen, und wer Wohnraum, Klamotten und Autos teilt, hat mehr vom Leben: mehr Einkommen, mehr Güter, mehr soziale Kontakte. Meistens aber auch mehr Probleme. Diese Einsicht haben die Wohngemeinschaften der 70er Jahre mit viel Psycho- und Beziehungs-Stress bezahlt. Trotzdem hat das Ressourcen-Teilen heute, in Zeiten nachhaltigen Wirtschaftens, wieder Konjunktur, ist ein gesellschaftlich relevantes Phänomen. Genau deshalb interessiert sich die scheidende Schauspieldirektorin Bettina Bruinier für das bereits über zehn Jahre alte Thomas-Vinterberg-Stück „Die Kommune“. Nicht von ungefähr ist es ihre Abschiedsarbeit für das Saarbrücker Staatstheater. Denn noch einmal bekräftigt sie mit dieser Stück-Wahl ihre Vorstellung von einem Theater der sozialen Aufmerksamkeit. Tatsächlich führt uns der Abend in der Saarbrücker Feuerwache in ein soziales Laboratorium. Die Story, die der Dogma-Filmemacher Vinterberg („Das Fest“) 2016 auch verfilmte, spielt 1975, in einem mondän-feudalen Haus. Die Saarbrücker Bühne von Ayse Gülsüm Özel lässt davon nichts ahnen, die Möblierung ist schlicht: ein runder Riesentisch, ein Kühlschrank, viele Screens. Auf ihnen laufen mehr oder minder verfremdete Videos, die die Grenze zwischen Bühnen-Realität und Zuschauer-Welt verschieben, denn wir erkennen unter anderem den Saarbrücker Staden, in den die Schauspieler – oder sind es die Figuren aus dem Stück? – Ausflüge unternehmen.

Ja, auch wir, das Publikum, bilden zusammen mit dem Ensemble eine Kommune, eine Theatergemeinde. Am Ende verteilen die Schauspieler Suppe, die sie in ihrer Wohnküche püriert haben. Da kommt dann augenzwinkernd ein bisschen Naturalismus ins Spiel.

Eine – auch farblich – sehr bunte Truppe findet da im Anwesen des Architekten und Haus-Erben Erek zusammen. Er will seinen Besitz eigentlich zu Kapital machen, doch auf Wunsch seiner Frau Anna setzt er ihn dann für mehr Lebensqualität ein. Denn die Gattin ist ein wenig angeödet von trauter Zweisamkeit und möchte Haus und Leben mit „phantastischen Menschen“ beleben. Mit dieser Idealvorstellung haben die fünf, die dann einziehen, nicht wirklich etwas gemein. Der kommunistische Chef-Ideologe und erfolglose Autor Ole ist fokussiert auf Sex und Bier. Bernd Geiling badet das ausgeprägte Ego der Figur humorvoll in prall gepolsterter Selbstzufriedenheit und Rücksichtslosigkeit. Wenn Ole die Unordnung von Mitbewohner Virgil stört, verbrennt er kurzerhand dessen geliebte Schallplatten im Garten. Sébastien Jacobi stattet den arbeitslosen Looser und Globetrotter Virgil zunächst mit allzu viel Blasiertheit aus und textet die anderen mit langatmigen Vorträgen über seine Reisen zu. Hausmann Steffen (Fabian Gröver) wiederum klagt dauernd über Triviales, etwa stumpfe Messer, während seine Frau, Dozentin Ditte (Eva Kammigan), als Super-Mum und Super-Durchblickerin auftritt. Der gemeinsame Sohn Vilads hat einen Herzfehler und wird von allen ganz konkret bis in den Tod getragen. Raimund Widra macht aus der Nebenrolle ein darstellerisches Kabinettstückchen, lümmelt rum, kuschelt sich an, ist forsch und schüchtern zugleich. Für dieses Kind, gespielt von einem Erwachsenen, funktioniert die Geborgenheit in der Gemeinschaft.

Auch der Teenager Freja (Anna Jörgens) kommt bestens klar mit der Truppe, die ihre Eltern Erek und Anna um sich versammelt haben – damit sich was ändert. Doch erstens spielt das Leben zweitens anders als man denkt, das erfährt auch die erfolgreiche, energische Nachrichtensprecherin Anna, die der Kommune immer wieder das Mantra jeder demokratischen Verfasstheit aufsagt: „Wir finden eine Lösung“, sprich einen Kompromiss. Und dann ist wieder alles gut. Auf den Leinwänden sieht man Umarmungs-Szenen, und die Gruppe drängt sich auf der Spielfläche in stummen „Wir haben uns ganz lieb“-Choreografien zusammen, drückt und streichelt sich.

Doch dann nimmt ein vorhersehbares, klassisches Eifersuchts-Drama seinen Lauf, das genauso gut im trauten Reihenhäuschen spielen könnte. Erek verliebt sich in die Studentin Emma (Verena Maria Bauer) und verlässt Anna. Zunehmend fällt Gregor Trakis zurück in Spießbürger-Attitüden, will lieber Wettbewerbe gewinnen als Beziehungsprobleme lösen und spielt seine Machtposition als Hausbesitzer aus. Anna wiederum verliert mehr und mehr an Selbstbewusstsein, schließlich auch ihren Job. Man schaut Gaby Pochert bei einer Glanzleistung zu: Wie sie immer mehr feine Risse in die Fassade der starken, rationalen Frau meißelt, bis nur noch mürb-resignative Gesten übrig bleiben. Immerhin hat sie am Ende den Mut, zu gehen, weil sie erkennt: Liebeskummer und Eheprobleme lassen sich nicht teilen. Und: Kompromisse mögen in Demokratien zwingend sein, im Privatleben sind sie es nicht.

Dieses unspektakuläre Szenario hat Autor Vinterberg ohne größere Exaltationen und ohne spektakuläre Charaktere angelegt, auch ohne bitter-satirischen Witz wie man das aus Yasmina Rezas Stücken kennt. Ein bisschen fehlt der Pepp. Doch Regisseurin Bruinier versucht nicht, Bedeutsamkeit oder Action draufzusatteln, sie geht ihre Inszenierung mit lässiger Unaufgeregtheit an. Dank der Souveränität ihres Ensembles entsteht eine durchaus anregende Mischung aus Psycho-Drama-Realismus und Lehrstück-Stilisierung. Und der Zuschauer darf mal wieder auf der Frage rum kauen, warum es Liebe für die meisten von uns nur im Einzelpack gibt.

Nächste Termine: 6. Juni, 9. Juni, 15. Juni, 24. Juni; Tickets: Tel. (06 81) 3 09 24 16.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort