Ein Tag in der Schulmensa Ohne Fleiß kein Fleisch

Dillingen · Zehnmal laktosefrei und zweimal ohne Gluten: Stephanie Veith und ihr Team können nicht einfach improvisieren. In der Schulmensa in Dillingen muss für 650 Kinder alles nach Plan laufen. Wir haben einen Blick in die Töpfe gewagt.

 Gruppenfoto mit Gulasch: Die Schüler der Klasse 5 f der Sophie-Scholl-Gemeinschaftsschule essen am liebsten Fleisch. Nur Abderahman (rechts, Mitte) hat vegetarisch bestellt.

Gruppenfoto mit Gulasch: Die Schüler der Klasse 5 f der Sophie-Scholl-Gemeinschaftsschule essen am liebsten Fleisch. Nur Abderahman (rechts, Mitte) hat vegetarisch bestellt.

Foto: Fatima Abbas

Einmal Gulasch mit Rindfleisch ohne Brokkoli. Zweimal Gulasch mit Rindfleisch ohne Brokkoli. Dreimal Gulasch mit Rindflei…Wenn es nicht so unfassbar dröge wäre, würde dieser Text jetzt noch 22-mal so weitergehen. Und zwar genauso. Denn von 24 Schülern hat an diesem letzten Dienstag vor Weihnachten keiner das vegetarische Gulasch bestellt. Die Klasse 5ef1 der Sophie-Scholl-Gemeinschaftschule in Dillingen ist sich kulinarisch einig: Fleisch muss in die Soße. Am Dienstag davor gab’s Rinderfrikadelle. Am Dienstag im neuen Jahr dann die Belastungsprobe: Da steht nämlich Fischfilet mit Rahmspinat auf dem Speiseplan. „Viele Kinder wollen keinen Fisch. Im Saarland gibt es ‚Roschtwurschd­buden‘ und keine Fischbuden“, sagt die Frau, die exzessivem Fleischkonsum eigentlich kritisch gegenübersteht, deren Söhne wegen des hohen Zuckergehalts Cornflakes nur in den Ferien essen durften. Stephanie Veith, Geschäftsführerin von Partyservice Schwed. Ihr 55 Mitarbeiter starkes Unternehmen betreibt die Schulmensa in Dillingen – neben vier weiteren Standorten in Nalbach, Saarlouis und Merzig. Seit vier Jahren stürmen in dieser geräumigen Halle Schüler ein und aus, von Klasse fünf bis Klasse zehn.

8 Uhr früh zwischen Puddingteilchen und Stahlbehältern. Hinter der Vitrine bewegt sich jetzt mehr als auf den Dillinger Straßen, zwischen 9 und 10 Uhr müssen die ersten Bestellungen raus – bis zu 300 täglich, neben den Mensa-Speisen für die Kinder.

Zwölf Mitarbeiterinnen schälen, belegen und kalkulieren zwischen Tomatensoße und Kräutern der Provence. Das Weihnachtsmenü: Rindergulasch, Eierknöpfle mit Brokkoli in Mandelbutter. Zum Nachtisch gibt es Hefe-Engelchen.

Köchin Beate Schmeer tunkt die Riesenkelle in den Veggie-Gulasch mit Schmelzkäsebratlingen. Nur 66 der heute anwesenden 574 Schüler möchten die Alternative probieren. Viel Fleisch, viele Geschmacksverstärker, viel Zucker, das seien die Schüler gewohnt, sagt Veith. Normal Gewürztes empfänden sie als fad, Vollkornprodukte fänden sie zu „sauer“. Suppen gehen nur deshalb gut, weil man das Gemüse nicht mehr erkenne: „Ich höre oft: Der Möhrensalat schmeckt irgendwie komisch. Der schmeckt nach Möhre.“

 Beate Schmeer rührt mit der Riesen-­Kelle im Gulasch.

Beate Schmeer rührt mit der Riesen-­Kelle im Gulasch.

Foto: Ruppenthal

Mit den vorgeschriebenen Standards müssen die Kinder trotzdem zurechtkommen. Mehr als zweimal die Woche Fleisch dürfen Veith und ihr Team nicht servieren. Auch keine überwürzten Speisen. Für einige ist das akzeptabel, andere greifen auf den Kiosk zurück, der nicht den DGE-Standards unterliegt.

Die 14-jährige Daniela, die schon früh morgens in der Mensa sitzt, frühstückt regelmäßig vor allem eines: einen Schnitzelweck. Die Neuntklässlerin besucht die Realschule am Römerkastell. Andere kommen vom Technisch-Wissenschaftlichen Gymnasium oder Berufsbildungszentrum (TGBBZ) nebenan. Die Mensa ist, wenn man so will, eine „Schnittchenstelle“ für Schüler aus den unterschiedlichsten Einrichtungen.

 Kantinen-Chefin Stephanie Veith.

Kantinen-Chefin Stephanie Veith.

Foto: Ruppenthal

Die vier festen Mahlzeiten im 45-Minuten-Takt von halb 12 bis halb 2 bekommen aber „nur“ die 650 Kinder der Sophie-Scholl-Gemeinschaftsschule und ihre Lehrer. Vier-Wochen-Pläne schaffen Planungssicherheit. Die Kinder dürfen Menü-Wünsche äußern. Gar nicht zu essen oder erst später geht aber nicht. Wer keine warme Mahlzeit will, braucht sich an dieser Schule gar nicht erst anzumelden. Das bestätigt auch einer der drei befragten Lehrer. Gegen hohen Fleischkonsum haben auch die Pädagogen, die allesamt anonym bleiben wollen, nichts einzuwenden. „Das, was sie hier bekommen, ist mit Sicherheit das Gesündeste, was sie tagsüber essen. Wir haben andere Probleme“, fasst es eine Lehrerin zusammen.

Pro Kind und Essen zahlen die Eltern hier 3,90 Euro. Darum geht es auch, als kurz nach 10 Uhr Ganztagskoordinatorin Anne Wilhelm an einem der langen Tische Platz nimmt. Sie hat gelesen, dass Eltern in Deutschland im Schnitt „nur vier Cent mehr“ pro Essen bezahlen müssten, um den Kindern ein Schulessen nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) anbieten zu können. „Das ist viel zu wenig“, sagt Wilhelm. Dass das Essen Pflicht sei, sei wiederum gut. „Mittagessen ist eine Erziehungsaufgabe der Lehrer“, meint die Pädagogin. Und: Die Standards seien angemessen. Die Kinder können sich auch am Kiosk ganz ohne DGE-Regeln Brötchen mit Salami besorgen. Veith hat auch abgesehen von den hohen Preisen für den Fisch nur wenig an den Standards auszusetzen. Vielmehr ärgert sie die Mehrwertsteuer von 19 Prozent. In der Tat gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Gastronomieformen: Einfach ausgestattete Imbissbetriebe ohne Sitzgelegenheiten müssen nur sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlen.

Auch die Eltern sind nicht immer zufrieden. Das Zahlen der Speisen aus eigener Tasche – Bedürftige bekommen einen Zuschuss – führt zu Sonderwünschen und wöchentlichen Reklamationen: Die „Meckerquote“ liege bei zehn bis 15 Prozent, zehn Schüler wollen ihr Essen laktosefrei, zwei glutenfrei, 20 Schüler haben Unverträglichkeiten angemeldet. Gegen Sellerie und Knoblauch. Eine Schülerin reagiere hoch allergisch auf Fisch – im wörtlichen Sinne.

„Das ist schon ein Riesenaufwand“, sagt die 53-jährige Veith und erklärt, dass es das streng durchgetaktete System schon ins Wanken bringe, wenn ein Schüler auch nur gekochte Kartoffeln haben will statt Püree. Es herrscht eben schon genug Hektik, wenn die Frauen – Männer gibt es in dieser Mensa nur als Konsumenten und Lieferanten – kiloweise Knoblauch pürieren, Karotten schälen und den Ofen befüllen, der wie ein Schiffshorn losdröhnt, sobald der Brokkoli gar ist. Auch wenn die DGE-Standards das nicht vorschreiben, stammen Eier, Kartoffeln, Möhren, Milch, Nudeln, Obst und das Fleisch allesamt aus der Region. So garantiert es die Chefin. Veith ist stolz darauf, weitgehend auf Fertigprodukte zu verzichten. Auch wenn selbst eine biozertifizierte Köchin nicht ganz ohne Tüten auskommt. Knöpfle und Tomatensoße – also die Gulaschbasis – sind plastikverpackt. Der gelbe Sack füllt sich schneller als die Kindermägen. Und die warten schon knurrend auf ihren Einsatz.

Kurz nach 11.30 Uhr: Die 5er Klassen sind zuerst dran, stürmen zu ihren Tabletts, als seien die Mahlzeiten nicht abgezählt, als gelte „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Einmal Gulasch mit Rindfleisch ohne Brokkoli. Zweimal Gulasch mit Rindfleisch ohne Brokkoli. Dreimal Gulasch...Und tatsächlich, nach wenigen Minuten ein „Wunder“: einmal vegetarisches Gulasch mit Brokkoli. Es ist der kleine Abderahman aus Syrien. Als einziger in seiner Klasse isst er an diesem Dienstag vegetarisch. Aber nicht etwa, weil er Vegetarier ist. Sondern: „Das Fleisch ist nicht auf muslimische Art geschlachtet.“ Allen anderen muslimischen Kindern in seiner Klasse ist das egal. Die Liste der Lieblingsspeisen der Klasse 5f: „Pizza, Lasagne, Nudeln, Hamburger, Lahmacun.“ Allein das Wort „Fisch“ löst bei dem zehnjährigen Elias Ekel-Zuckungen aus („Ich haaaasse Fisch“), der kleine Furkan kriegt ihn nur runter, wenn er paniert ist und „Fischstäbchen“ heißt.

Auf einigen Tellern liegen kopflose Hefe-Engel. Pudding oder Schokolade hätten es restlos in den Kindermagen geschafft. So wie der allseits beliebte Nachschlag: Gulasch mit Rindfleisch ohne Brokkoli.

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