Heimatbundparteien mobilisieren immer stärker ihre Anhängerschaft

Merzig · Merzig-Wadern. Vor 60 Jahren – im Oktober 1955 – wurde nach einem heftig geführten Abstimmungskampf eine Volksbefragung über die Zukunft des Landes durchgeführt, wobei 67,7 Prozent der Saarländer mit „Nein“ stimmten und sich damit gegen das Saarstatut entschieden. Dieses war die Vision des saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, der das Saarland zum ersten europäischen Territorium machen wollte. Mit einer Serie erinnert die SZ daran, was sich rund um diese Abstimmung im Landkreis zugetragen hat.

Der Bericht der "Saarländischen Volkszeitung" vom 5. Oktober 1955 sprühte nur so von Optimismus, was die Zustimmung zum umstrittenen Saarstatut anging: "Wenige Wochen vor dem 23. Oktober scheint der Zusammenbruch der Nein-Sager tatsächlich besiegelt zu sein. Das bewiesen erneut die ausgezeichneten Kundgebungen der CVP am Dienstagabend in Mettlach, Saarhölzbach und Orscholz, auf denen Ministerpräsident Johannes Hoffmann wieder zu mehreren tausend Zuhörern sprach.

In Saarhölzbach herrschte, wie später auch in den beiden anderen Gemeinden, eine wohltuende Ruhe während der ganzen Kundgebung. Bei der Ankunft des Ministerpräsidenten in Saarhölzbach wurde nicht ein einziger Pfiff und nicht ein einziger Pfui-Ruf laut, weil Ruhe und Sachlichkeit immer mehr den Boden gewinnen. Auf den Straßen um das Kundgebungslokal in Saarhölzbach drängten sich mehrere hundert Zuhörer, die sich ruhig und besonnen die Ausführungen des Ministerpräsidenten anhörten. Im überfüllten Saal wurde der Ministerpräsident immer wieder von Beifallskundgebungen unterbrochen. In seinen Ausführungen ging der Ministerpräsident noch einmal ruhig und sachlich auf die doppelte Zielsetzung des Saarstatuts ein. In Mettlach wartete bereits eine Stunde vor Beginn der Kundgebung eine mehrtausendköpfige Menge auf den Beginn der Rede des Ministerpräsidenten . Bei der Ankunft Hoffmanns versuchte ein einziger junger Schreier schüchtern, einen Pfiff auszustoßen, was bei den Zuhörern keinerlei Eindruck machte. Wie auch in Saarhölzbach verlief die ganze Kundgebung in einer glänzenden Atmosphäre, die ihren Höhepunkt in einem Beifallssturm im Saal am Ende der Rede des Ministerpräsidenten fand. In Orscholz bot sich dasselbe überwältigende Bild. Keine Störung, auch nicht der leiseste Versuch einer solchen, wurde unternommen.

Im Saal empfingen die begeisterten Anhänger des Ministerpräsidenten ihn mit außerordentlichen Beifallskundgebungen. Die drei Kundgebungen nahmen alles in allem einen großartigen Verlauf, was vor allem unterstreicht, dass die Bevölkerung in den Grenzkreisen ihr Urteil gefällt hat: 'Ja' am 23. Oktober. Mit Witz und Humor rechnete der Ministerpräsident mit den Verneinern des Statuts ab und das freie Lachen der Bevölkerung der unteren Saar bewies, wie sehr seine Worte verstanden wurden."

An diesem Wochenende hatten jedoch nicht nur die Statut-Befürworter die Menschen im Kreis zu großen Kundgebungen aufgerufen. Auch die Heimatbundparteien hatten in mehreren Veranstaltungen versucht, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. "Kreis Merzig steht zum Nein!", lautete die Schlagzeile eines Berichtes der "Neuesten Nachrichten" vom 5. Oktober 1955, der von "großen Erfolgen der CDU und des Heimatbundes" berichtete: "Am Wochenende standen mehrere Orte des Kreises Merzig ganz im Zeichen erfolgreicher Kundgebungen der CDU und der beiden anderen Parteien des Heimatbundes; im Mittelpunkt die Großkundgebungen in Brotdorf und Besseringen, auf denen der Landesvorsitzende der CDU , Dr. Hubert Ney, sprach.

Sowohl diese Kundgebungen als auch alle anderen in Mitlosheim, Bethingen, Oberleuken, Bietzer Berg, Ballern, Wellingen, gaben Zeugnis von der zahlreichen Anhängerschaft der deutschen Parteien. Sie vermittelten die feste Überzeugung, dass die überwiegende Mehrheit des Kreises deutsch denkt und fühlt und am 23. Oktober eine klare Entscheidung zugunsten des Nein treffen wird. Die CDU-Kundgebung im Saal Germania in Brotdorf war von etwa 700 Personen besucht. . . . Dr. Ney, der mit stürmischem Beifall begrüßt wurde, gab einen historischen Überblick über die Saarpolitik Frankreichs von der Zeit Richelieus bis heute und nahm dann eingehend Stellung zum Saarstatut. Seine Ausführungen wurden immer wieder von stürmischem Beifall unterbrochen. Dr. Ney wies insbesondere nach, dass für uns Deutsche hier an der Saar ein 'Ja' zum Statut unmöglich sei. Sämtliche Zuhörer stimmten diesen Ausführungen mit anhaltendem Beifall zu. Ein interessanter Zwischenfall ergab sich, als ein SPS-Mitglied den Zwischenruf machte, dass in der Verfassung des Saarlandes gar nicht vermerkt sei, dass das Saargebiet von Deutschland politisch abgetrennt werde. Unter lautem Gelächter der ganzen Versammlung wies Dr. Ney den Zwischenrufer auf den Wortlaut der Präambel und auf Artikel 60 der Verfassung hin. Der SPS-Mann erwiderte hierauf, das sei nicht wahr. Die betreffenden Stellen aus der Verfassung wurden dann wörtlich verlesen. Es ist daraus zu ersehen, dass die Gegenseite ihre Anhänger noch nicht einmal richtig informiert. Die SPS schickte in diese Großkundgebung einen Vertreter, der noch nicht einmal den Inhalt der sogenannten Verfassung des Saarlandes kennt.

Wenige Minuten später schlich er sich beschämt aus dem Saal. Die Versammlung klang aus mit einem begeisterten Bekenntnis zu Deutschland für ein 'Nein'. In Besseringen fand ebenfalls eine gut besuchte Kundgebung der CDU im überfüllten Saale der Gastwirtschaft Austgen statt. Dr. Ney erörterte auch hier anhand der Bestimmungen des Statuts eingehend, dass eine Bejahung desselben vor unserem Gewissen und unseren Kindern niemals verantwortet werden kann. Die Anwesenden spendeten den einzelnen Ausführungen minutenlang Beifall, und es war für Dr. Ney mitunter fast schwierig, weiter zu sprechen. Anschließend ergriff Oberstudiendirektor Dr. Röder aus Dillingen (der spätere Ministerpräsident Franz-Josef Röder; d. Verf.) das Wort, der ergänzende Ausführungen über die politische Situation, die das Saarstatut geschaffen hat, machte. Nach ihm sprach Kreisvorsitzender, Rechtsanwalt Kratz. Er wies die Zuhörer eindringlich auf ihre Gewissensentscheidung am 23. Oktober hin. Auch hier gab es unter großem Gelächter am Schluss einen interessanten Zwischenfall, als sich ein von der 'Ja-Garde' gedungener Separatist aus der Bundesrepublik zur Diskussion meldete. In der Diskussion stellte sich heraus, dass er in der Bundesrepublik bereits als Separatist verschrien war. Die Versammlung verlangte spontan sein Abtreten von der Rednerbühne, nachdem festgestellt worden war, dass der Zwischenrufer noch nicht einmal abstimmungsberechtigt war. Man entzog ihm das Wort, worauf er beschämt und niedergeschlagen von dannen zog." < Wird fortgesetzt.

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