Geschichte als Thriller

Saarbrücken. Vielleicht müssen solche Gänsehaut-Titel sein - als Käuferlockmittel. Obwohl "Die 'van Imhoff' - das Totenschiff" so partout nichts mit Spuk auf See gemein hat

 Das Gefangenenschiff "van Imhoff". Foto: Conte-Verlag

Das Gefangenenschiff "van Imhoff". Foto: Conte-Verlag

Saarbrücken. Vielleicht müssen solche Gänsehaut-Titel sein - als Käuferlockmittel. Obwohl "Die 'van Imhoff' - das Totenschiff" so partout nichts mit Spuk auf See gemein hat. Tatsächlich geht es in dem neuen Band des saarländischen Autors Dieter Gräbner um ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs fern der Haupt-Kriegsschauplätze, in dem sich im Kleinen aber doch die Verstrickungen dieser großen Menschheitstragödie spiegeln.Im Januar 1942 kommen über 400 deutsche Zivilisten vor Sumatra ums Leben, als ein japanisches Flugzeug den niederländischen Gefangentransporter "van Imhoff" angreift. Das Schiff nimmt gerade von Niederländisch-Indien (heute: Indonesien) aus Kurs auf Bombay. Was der japanische Bomber-Pilot nicht ahnt: An Bord des Schiffes sind Zivilisten des mit Japan verbündeten Deutschland. Die niederländische Exil-Regierung will sie in die britische Kolonie Indien schaffen lassen - fürchtet man doch eine japanische Invasion.

Der Angriff beschädigt die "van Imhoff" schwer, das Schiff sinkt. Doch den deutschen Gefangenen verwehrt die niederländische Besatzung unter Waffen den Zugang zu den Rettungsbooten. Viele der Deutschen, darunter auch (eine aberwitzige Grausamkeit des Schicksals) von den Nazis Verfolgte wie der Maler und Musiker Walter Spies, ertrinken. Die gesamte Besatzung aber macht sich in den Rettungsbooten davon. Nur wenigen Gefangenen gelingt es, sich auf zwei kleine Boote und behelfsmäßige Flöße zu retten. Ohne Proviant treiben sie auf See. Als ein weiteres niederländisches Schiff nach Überlebenden des Fliegerangriffs sucht, nimmt es die Deutschen bewusst nicht auf. Der Kapitän hat entsprechende Order. In ihrer Not trennen sich die Insassen der Boote später von den Schiffbrüchigen auf den Flößen. Nur mit den zwei Booten hoffen sie schneller Land zu erreichen und Hilfe zu organisieren. Eine Hoffnung, die sich zerschlägt: Letztlich überleben nur 65 von ihnen.

Der saarländische Autor und frühere SZ-Redakteur Dieter Gräbner, Jahrgang 1939, mittlerweile ein Routinier im Aufspüren bemerkenswerter Geschichten und Geschichte des Landes, weitet diesmal sein Beschreibungsgebiet gewaltig, nimmt den Faden aber ebenfalls aus regionaler Perspektive auf: Einer, der an Bord der "van Imhoff" ums Leben kam, stammte aus Höchen (Bexbach): Hermann Reiter war als Missionar in Niederländisch-Indien. Gräbner setzt sich auf dessen Spur, folgt seinem Lebensweg - und kommt so dazu, die Geschichte des "van Imhoff"-Untergangs nachzuzeichnen. Der übrigens auch Jahre nach dem Krieg noch die deutsch-niederländischen Beziehungen belastete. So wurde in den Niederlanden Mitte der 1960er ein Dokumentarfilm unterdrückt, der sich kritisch mit dem Verhalten der Schiffsbesatzungen auseinandersetzte. Zu sehr hatte das Land unter der deutschen Besatzung gelitten, als dass man eigene Untaten wahr haben wollte.

Zwar hat Gräbner mit diesem Buch kein vergessenes Geschichtskapitel aufgeschlagen, schon in der jungen Bundesrepublik berichteten etwa bereits "Der Spiegel" und "Die Welt" ausführlich darüber, aber er sammelt mit Eifer alles, was dazu publiziert wurde, bis hin zu jüngsten Recherchen eines niederländischen Historikers. Gelegentlich krankt das Buch an dem Versuch, Geschichte als Thriller zu erzählen, quasi einem ständigen Spannungsdiktat. So wird stets auf Effekt hin geschrieben. Dem Erkenntnisgewinn, 70 Jahre nach dem Untergang der "van Imhoff" freilich, nimmt das aber nichts. Und einmal mehr gelingt es Gräbner zu zeigen, wie unerbittlich Weltgeschichte immer auch in die Regionalgeschichte hineingreift.

Dieter Gräbner: "Die 'van Imhoff' - das Totenschiff", Conte-Verlag, 144 Seite, 14,90 Euro.

Foto: Conte

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