Sonderausstellung In Speyer wandelt man auf den Spuren des Medicus

Speyer · Es ist ein ungeheurer Tabubruch: In der Nacht des 31. Januar 1555 rauben der Medizinstudent Felix Platter und einige Mitstudenten auf dem Friedhof im südfranzösischen Montpellier zwei Leichen, um sie heimlich zu sezieren.

Seit der Antike war es bei schwerer Strafe verboten, die Körper von Menschen zu öffnen. Doch zu stark war der Wissensdurst des Schweizers Platter, der später in Basel ein angesehener Arzt und Anatom werden sollte. Wie viele vor und nach ihm war er getrieben von einem großen Menschheitstraum: Krankheiten zu heilen, das Leben zu verlängern und die Gesundheit wiederherzustellen.

Eine spannende Reise durch die jahrtausendealte Medizingeschichte von der Antike bis in die Gegenwart bietet bis 21. Juni 2020 eine Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer. Die multimediale Sonderausstellung „Medicus – Die Macht des Wissens“ macht deutlich, dass Menschen immer wieder über kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Grenzen hinausgegangen sind, um zu verstehen, wie „Heilung“ möglich ist.„Kaum eine Sehnsucht beschäftigt die Menschen mehr als der Wunsch, Krankheit und Tod zu überwinden“, sagt Museumsdirektor Alexander Schubert. Erstmals überhaupt verfolgt nach seinen Worten eine Ausstellung aus einem kulturgeschichtlichen Blickwinkel die Entwicklung der Heilkunst über einen Zeitraum von 5000 Jahren. Mehr als 500 wertvolle Objekte und Fundkomplexe zeigen eindrucksvoll, wie viel geistige Kraft und handwerkliches Geschick Menschen seit jeher in die Heilkunst investierten.

Populärer Rahmen der Speyerer Schau ist der Erfolgsroman „Der Medicus“ des US-amerikanischen Schriftstellers Noah Gordon. Der junge mittelalterliche Held der Erzählung lernt auf seiner Reise in den Orient das medizinische Wissen der Antike kennen – und bringt das vergessene Wissen zurück in das christliche Europa.

Dem griechischen Arzt Hippokrates (dessen Eid heute noch von Ärzten geleistet wird)wird im fünften vorchristlichen Jahrhundert die Erfindung der Medizin als Heilkunst zugeschrieben. Bis ins 18. Jahrhundert hinein wirkten seine Erklärungsmodelle für Gesundheit und Krankheit. Nach seiner „Vier-Säfte-Lehre“ sei ein Gleichgewicht der Körpersäfte Blut, Schleim sowie gelbe und schwarze Galle für die Gesundheit verantwortlich. Die Römer übernahmen die griechische Medizinkunde und entwickelten sie weiter: Sie gründeten Medizinerschulen, der Arztberuf wurde vollends zum Handwerk, das auch für Frauen offen war. Römische Ärzte wagten auch komplizierte Augenoperationen wie des grauen Stars, wovon feine Spezialinstrumente in der „Medicus“-Ausstellung zeugen. Im 11. Jahrhundert machten die Übersetzungen aus dem Arabischen die griechisch-römischen medizinischen Schriften wieder in Europa zugänglich.

Im 12. Jahrhundert faltete sich die Medizin in die Heilmittelkunde (Pharmazie), Anatomie und Chirurgie auf. Gelehrte Ärzte versorgten meist die Reichen. Handwerklich ausgebildete Wundärzte, fahrende Wunderheiler oder Bader kümmerten sich um die Gebrechen der breiten Bevölkerung. Gerne vorgenommen wurde der Aderlass: Mit Skalpellen wurden kranke Körper geritzt, um „böse Säfte“ abfließen zu lassen. Verheerenden Infektionskrankheiten wie der Pest standen die mittelalterlichen Mediziner hilflos gegenüber.

Das 16. Jahrhundert bildet als „anatomisches Zeitalter“ einen markanten Einschnitt in der Medizingeschichte. Der flämische Arzt und Anatom Andreas Vesal (1514-1564) stellte das über Jahrhunderte tradierte antike Buchwissen infrage und legte den Grundstock für die moderne medizinische Wissenschaft.

Auch wenn der Mensch heute „gläsern“ geworden sei und man in das Innerste seines Körpers schauen könne, stelle sich in der Medizin immer wieder die „Frage des Erprobens und Erforschens“, sagt Ausstellungskurator Zanke. Deshalb loten Mediziner weiter Grenzen aus und geben ihr Wissen weiter – wie der Medizinstudent Felix Platter vor fast 500 Jahren.

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