Mit vereinten Kräften

Zweibrücken · Ihre Flucht aus Syrien haben Abdol Naser und sein Bruder Mohammed gemeinsam bewältigt – nun, in Zweibrücken, sollten sie getrennt werden. Doch alles fügte sich für die Zwei zu einem guten Ende: Das Familiengericht der Stadt Zweibrücken sprach Abdol Naser die Vormundschaft für den elf Jahre alten Bruder zu. Nun träumen die Zwei gemeinsam von einer besseren Zukunft.

 Das Familiengericht in Zweibrücken hat Abdol Naser das Sorgerecht für seinen kleinen Bruder Mohammed zugesprochen. Jetzt sind beide wieder unzertrennlich im früheren „Apparthotel“. Foto: eck

Das Familiengericht in Zweibrücken hat Abdol Naser das Sorgerecht für seinen kleinen Bruder Mohammed zugesprochen. Jetzt sind beide wieder unzertrennlich im früheren „Apparthotel“. Foto: eck

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 Die Flüchtlings-Kinder freuten sich riesig über die Spielsachen der Oberauerbacher. Foto: Norbert Rech

Die Flüchtlings-Kinder freuten sich riesig über die Spielsachen der Oberauerbacher. Foto: Norbert Rech

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Sie haben beide noch nicht viel gesehen von der Stadt Zweibrücken . Aber was sie gesehen haben, das gefällt ihnen "sehr, sehr gut", wie Abdol Naser Mohammed erklärt. Die Häuser seien so schön. "Und die Straßen sind so sauber", ist Abdol Naser beeindruckt. Sein elfjähriger Bruder Mohammed Mohammed hat etwas ganz anderes gefallen: "Die Enten auf dem Bach. Das war toll!", strahlt der Junge über seine Eindrücke vom Schwarzbach.

Wie gesagt: Viel haben die beiden noch nicht gesehen von der Rosenstadt, seit vor rund vier Wochen ihre Flucht aus Syrien in Bayern ein gutes Ende fand. Abdol Naser, 19, und sein Bruder Mohammed wurden nach Trier gebracht und von dort der Stadt Zweibrücken zugewiesen - wo sie jetzt im ehemaligen Apparthotel auf dem Zweibrücker Flughafengelände untergebracht sind. Einmal erst waren sie in der Innenstadt - und das wegen eines Termins am Familiengericht, erklärt Ibrahim Al-Saffar. Der gebürtige Iraker, der für die Grünen im Stadtrat sitzt, engagiert sich beim Betreiber der Flüchtlingsunterkunft Apparthotel unter anderem als Dolmetscher . Dank seines Engagements können Abdol Naser und sein Bruder Mohammed weiter zusammenbleiben.

Denn auf der gefahrreichen Flucht von Syrien über Griechenland nach Deutschland passte zwischen den 19-Jährigen und seinen acht Jahre jüngeren Bruder kein Blatt Papier - und nun, im sicheren Deutschland wären sie fast getrennt worden, erklärt Al-Saffar. "Es ging um die Frage der Vormundschaft. Das Familiengericht befragte die beiden Brüder nach den Familienverhältnissen, wie der Kontakt zu den Verwandten in Syrien ist", so Al-Saffar. "Vater, Mutter und zwei Geschwister leben noch in Syrien. Der ältere Bruder Abdol Naser hat zwar über Internet Kontakt mit den Eltern , aber nur unregelmäßig, weil die Internetverbindung nach Syrien nicht reibungslos läuft", sagt Al-Saffar. Klar sei also gewesen: Die Eltern können bei derart sporadischem Kontakt nicht mehr ihr Erziehungsrecht vernünftig ausüben, es musste also ein neuer Vormund gesucht werden. Die ersten Tage wurde der elf Jahre alte Mohammed bei einer Pflegefamilie in der Umgebung untergebracht. Dort sei der Junge auch sehr gut versorgt worden. "Aber die beiden Jungen wollten dennoch weiter zusammenbleiben, ich habe mich deswegen vor dem Familiengericht dafür eingesetzt, dass der ältere Bruder die Vormundschaft erhält", sagt Al-Saffar. Das Gericht sei - nach eingehender Befragung der Brüder - dem gefolgt. Nun sind die Zwei also wieder vereint. Strahlend sitzen sie zusammen auf einem Doppelstockbett in einem Vierbett-Zimmer, das sie sich gemeinsam mit zwei Landsleuten teilen.

Auch Al-Saffar freut sich, dass sich die beiden nun voll und ganz wieder haben. Zumal sie zuvor so viel zu überstehen hatten. Zwar lebten die Eltern und die zwei Geschwister noch in Syrien, in einer Stadt nahe Damaskus. Aber die Familie habe Traumatisches erlebt. Al-Saffar: "Bei einem Bombenangriff vor zwei Jahren wurde das Haus, in dem die Familie lebt, schwer getroffen. Die Großmutter und die Tante starben bei dem Angriff. Der kleine Mohammed wurde an der linken Hand verletzt, der Junge verlor einen Finger." Gerade wegen dieser schlimmen Erlebnisse sei er zuerst erschrocken, als ihm Ibrahim Al-Saffar sagte, dass er mit seinem Bruder vor das Familiengericht geladen sei. Al-Saffar: "Der Junge bekam richtig Angst. Wenn man in Syrien vor Gericht geladen ist, kommt die Polizei vorgefahren, Handschellen werden angelegt. Ich habe ihn beruhigt und ihm gesagt, dass das an einem deutschen Gericht etwas ganz anderes ist." Bei der Fahrt zu dem Gericht an der Herzogstraße sahen die Brüder dann zum ersten Mal etwas von der Stadt Zweibrücken - die besagten schönen Häuser und sauberen Straßen und natürlich die lustig schnatternden Enten auf dem Schwarzbach. Da wussten sie: Dort wo sie jetzt sind, da herrscht Frieden und Ordnung. Nun träumen die beiden in ihrem Doppelstockbett von einer besseren Zukunft. Und was sind die klammheimlichen Träume der beiden? Al-Saffar übersetzt: "Abdol Naser würde gerne Lehrer werden. Er hat bereits ein solches Studium in Syrien begonnen, bevor er floh."

Sein Bruder Mohammed denkt an die Familie: "Er wünscht sich, dass die Eltern und Geschwister nach Deutschland kommen dürfen und dann alle wieder vereint sind", übersetzt Al-Saffar. Natürlich wüssten die beiden, dass es ein langer Weg sein könnte zu der Verwirklichung dieser Träume. Aber wer weiß: Manche Träume werden irgendwann auch wahr. Das Schicksal der Flüchtlinge beschäftigt auch die Knirpse der protestantischen Kindertagesstätte Oberauerbach. Täglich sehen sie Bilder von notleidenden Altersgenossen, die nur mit sehr viel Glück dem Krieg in ihren Heimatländern entronnen sind. "Die Kinder bewegt das sehr", berichtet Leiterin Sandra Faltermann. Auf ihrer Flucht könnten die Kleinen kein Spielzeug mitnehmen, das sie nun in ihrer neuen Umgebung vermissen. Die Betroffenheit der Kinder in Oberauerbach ist spürbar. Kurzerhand beschlossen sie, sich von dem zu trennen, was für sie am Wichtigsten ist - ihren Teddys, Miniautos oder Gesellschaftsspielen. Die Spendenbereitschaft sei riesig gewesen, berichtet Faltermann.

Gestern Morgen haben sie die Sachen den Flüchtlingskindern der Erstaufnahmeeinrichtung im früheren Apparthotel nahe des Zweibrücker Flughafens persönlich überreicht. "Wir sind sehr dankbar", unterstreicht Ibrahim Al-Saffar, der dort dem ASB (Arbeiter- und Samariterbund) als Dolmetscher hilft. Über weitere Spenden würde sich der ASB sehr freuen: "Vorher sollte man sich aber mit uns in Verbindung setzen." Insgesamt leben derzeit im Ex-Apparthotel zwölf Kinder, die beschäftigt werden wollen. Solange das Wetter noch einigermaßen gut ist, sei das ohne Probleme möglich. Doch der Winter mit Regen und trüben Tagen stehe bevor. Gestern blieb für ein Kennenlernen kaum Zeit. Das soll nun nachgeholt werden. Laut Erzieherin Denise Legrun will die Kita die Flüchtlingskinder zum Spielen nach Oberauerbach einladen. Das sei ein erster Schritt zur Integration. Faltermann und ihre Kollegin Angelika Horak haben auch angeboten, selbst an Wochenenden in der Aufnahmeeinrichtung mitzuhelfen.

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