Zeugnisse vertriebenen Lebens

Saarwellingen · Vor 75 Jahren begann mit der Verwüstung der Synagoge die Ermordung und endgültige Vertreibung der Juden. Zum Auftakt des Gedenkjahres ist ein Buch über die jüdische Gemeinde in Saarwellingen erschienen. Am Sonntag wird es um 11 Uhr im Alten Rathaus vorgestellt.

 Einige wenige Erinnerungen an das jüdische Leben in Saarwellingen sind im Leo-Grünfeld-Haus zu sehen. Foto: Gerhard Alt

Einige wenige Erinnerungen an das jüdische Leben in Saarwellingen sind im Leo-Grünfeld-Haus zu sehen. Foto: Gerhard Alt

Foto: Gerhard Alt

Wo sind sie geblieben, all' die Habseligkeiten der Familien? Wo die Kultgegenstände? In einer Ausstellungsvitrine im Leo-Grünfeld-Haus zeugt nicht viel vom jüdischen Leben in Saarwellingen: Register, Urkunden, eine schöne Seidenmalerei, ein Geschenk einer Lehrergattin an ihre Vermieterin. Dazu Fotoreproduktionen. Alles sorgfältig gemacht, aber viel ist es nicht, was an die jüdische Bevölkerung erinnert.

Neue Fotos und Dokumente

Nur noch wenige können erzählen vom "Juden-Menne", dem besten Mittelstürmer, den Saarwellingen je hatte, und von den anderen, die mit in den Ersten Weltkrieg zogen, Läden im Ort hatten. Jetzt sind neue Fotos und handschriftliche Dokumente verfügbar: im neuen Buch von Hans-Peter Klauck und Klaus Mayer. Die Autoren stellen die fast 250-jährige jüdische Geschichte Saarwellingens nicht nur vom Holocaust her dar, sondern in ihrer Einbettung in die Lebenswelt des Ortes und listen die Namen aller jüdischen Bürger auf, inklusive privater Erinnerungen.

Sie konnten auf Vorarbeiten zurückgreifen, durchforsteten weitere Archive, die Bevölkerung half. So liefern sie belegte Fakten: Um 1770 erwarben erste jüdische Familien namens Simon, Moses und Israel Lewy Wohnrecht durch Zahlung von Schutzgeld. Saarwellingen wurde zweitgrößte jüdische Gemeinde im Kreis. Ende des 19. Jahrhunderts war fast ein Zehntel der Saarwellinger jüdisch. In der Französischen Revolution wurden die Juden gleichberechtigte Bürger. Mit den Napoleonischen Gesetzen bekamen sie "gebräuchliche" Namen, mit der Verfassung von 1848 alle bürgerlichen Rechte unabhängig von der Religion.

Die Geschichte der Synagoge

1871 sind von 2150 Saarwellingern 199 Juden. 1933 sind 140 Saarwellinger Juden. Infolge der Rassengesetze und der Abstimmung fürs Deutsche Reich verlassen 77 Saarwellingen, 1936 leben noch 36 Juden im Ort, die letzten acht werden 1940 ins Sammellager Gurs deportiert, danach in den Vernichtungslagern umgebracht.

Das Buch beschreibt die Geschichte der Synagoge, des Friedhofs (mit übersetzten Grabinschriften), den Terror, aber auch das gute Zusammenleben von Juden und Christen im Turn-, im Gesang- oder Stenografenverein, in der Feuerwehr und im Gemeinderat. Es zeigt die vielen ehemals jüdischen Wohn- und Geschäftshäuser, bringt eine Gedenkliste aller ermordeten Juden aus Saarwellingen mit Verweisen auf den Familienteil im Buch.

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Auf einen BlickDas Buch von Hans-Peter Klauck/Klaus Mayer: "Gelöst ist die Schnur - gebrochen das Band. Die jüdische Gemeinde Saarwellingen 1700-1940" hat Klauck herausgegeben im Auftrag der Gemeinde Saarwellingen und der Vereinigung für die Heimatkunde im Kreis Saarlouis. Den Titel gestaltete Roland Schmitt. Den vorzüglichen Druck lieferte die ortsansässige Saarländische Druckerei und Verlag GmbH (400 Seiten, Preis: 19,90 Euro). Es ist erhältlich im Rathaus Saarwellingen, im Kreisarchiv Saarlouis - und bei der Buchvorstellung am Sonntag, 26. Mai, 11 Uhr, im Kulturtreff Altes Rathaus. Sebastian Wust und Martin Herrmann machen dazu populäre Musik jüdischer Komponisten. gal

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