Radon „Wir leisten uns immer wieder ein Luisenthal“

Quierschied · Die RAG muss sich jetzt beim Erörterungstermin zu den geplanten Grubenflutungen den Fragen Hunderter besorgter Bürger stellen. Der Quierschieder Arzt Karl-Michael Müller befürchtet, dass durch den Grubenwasseranstieg noch mehr krebserregendes Radon-Gas freigesetzt wird.

 Eine Grubengasmessstelle in Quierschied. Das krebserregende Radon steigt mit dem Methan, Hauptbestandteil des Grubengases, nach oben.

Eine Grubengasmessstelle in Quierschied. Das krebserregende Radon steigt mit dem Methan, Hauptbestandteil des Grubengases, nach oben.

Foto: Robby Lorenz

Karl-Michael Müller hat kein Pferd und auch keine Lanze. Trotzdem belächeln manche ihn als eine Art Don Quijote, der gegen Windmühlen anreitet. Was stimmt: Wie Cervantes’ berühmter Ritter zeichnet sich auch der Quierschieder Arzt durch enorme Beharrlichkeit aus. Und auch er hat einen Gegner, der nur schwer zu fassen ist.

Müllers Gegner ist ein Gas. Farblos und geruchlos ist es – und stark krebserregend. Radon stammt vom im Erdreich verborgenen Uran und Thorium. Durch Spalten und selbst winzige Risse steigt es nach oben, dringt in Häuser ein. Nach dem Rauchen gilt das radioaktive Gas als wesentlicher Verursacher von Lungenkrebs. Genau dort, wo früher nah der Oberfläche Steinkohle abgebaut wurde, trete besonders viel Radon aus, sagt der Allgemeinmediziner.

Und das saarländische Krebsregister stützt seine Vermutung. Denn just in einigen der alten Bergbauorte gibt es besonders viele Lungenkrebskranke (wir berichteten), bis zu 40 Prozent über dem Schnitt.  Das sei noch „kein Beweis“, schränkt der Arzt, dem wissenschaftliches Arbeiten über alles geht, ein. Auf jeden Fall aber sei es Anlass, etwas zu tun. Nämlich gründlicher zu forschen und die Radon-Konzentration im ganzen Land systematisch zu messen. Und wo nötig, auch für Schutz vor dem gefährlichen Gas zu sorgen. Bei einer Radon-Belastung mit 300 Becquerel pro Kubikmeter im Jahresmittel erkranke eine von 500 Personen wegen Radon an Lungenkrebs, warnt Dr. Müller: „Wir leisten uns immer wieder ein Luisenthal“. 1962 kamen bei dem Grubenunglück 299 Bergleute ums Leben, auf ewig ein schwarzer Tag im Gedächtnis der Saarländer. Drastische Worte des Arztes also, doch ist die Gefahr wirklich so groß?

Der Mediziner ist sicher. „Doch zunächst mal geht es um Fakten“, sagt er. Doch ein Radon-Kataster, wie in anderen Ländern üblich, wo Werte flächendeckend und regelmäßig erfasst werden, befindet sich im Saarland nach langem Druck erst im Aufbau. Müller dauert das zu lange: „Hier geht es um eine tödliche Erkrankung, nicht um Bauchweh.“ Darum sammelt der Arzt seit vorigen Sommer selbst Daten,  informiert unermüdlich, will aber auch Politik und den früheren Bergbaukonzern RAG zum Handeln treiben.

Müllers Waffen gegen den unsichtbaren Feind sind seine „Radon-Augen“, hochsensible Messgeräte aus Südkorea. Geeicht, um das radioaktive Edelgas aufzuspüren. Fünf „Radon-Augen“ spähen mittlerweile für ihn. Immer montags nach der Sprechstunde ist er unterwegs, bringt die Messgeräte zu Menschen, die auch durch ihn auf das Problem aufmerksam wurden. In Häusern der alten Bergbauorte wie Quierschied, Fischbach und Dudweiler stiefelt er in die Keller, deponiert die Geräte und lässt sie mindestens eine Woche  dort. Zuerst waren es nur Patienten von ihm, auch solche mit Lungenkrebs. Mittlerweile warten aber 160 Menschen auf eine Messung. In 53 Häusern war der 62-Jährige bereits.

Selten hat Dr. Müller gute Nachrichten. „Der überwiegende Teil der Messungen lag über 500 Becquerel pro Kubikmeter, der höchste Wert war 3256 Bq/m3.“ Alarmierend: Empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation doch, die Radon-Konzentration in Innenräumen unter 100 Bq/m³ zu halten. Nur in zwei Häusern, in denen der Arzt gemessen hat, lag die Konzentration des Edelgases aber unter 100 Bq/m
3.  „Trotz der oft hohen Werte sind die Leute erst mal erleichtert, weil sich jemand um ihre Anliegen kümmert“, berichtet der Arzt von seinen etwas anderen Hausbesuchen.

Besonders gefährdet sei man in älteren Häusern, erläutert der Mediziner. Früher wurde oft ohne massive Bodenplatte gebaut. Dann strömt das Gas ungehindert ein. Doch selbst in neueren Häusern kann der Betonboden Risse haben, die das Gas passieren lassen. Solche Risse finden sich gerade in Bauten über alten Grubenstollen häufig, wo Senkungen auch Jahre und Jahrzehnte nach dem Bergbauende vorkommen. Werden dann diese Räume nicht dauernd gelüftet oder fachgerecht abgedichtet, können schnell bedenkliche Gas-Konzentrationen entstehen.

Auch  in Dr. Müllers Praxis in Quierschied wacht seit Monaten ein Radon-Auge. „Nach den Wochenenden, wenn nicht gelüftet wurde, ist die Konzentration weit über dem empfohlenen Wert“, sagt der Arzt. Dann blinken die Leuchtdioden rot, obwohl die Praxis im ersten Stock eines Neubaus liegt. Das Gas aber findet seinen Weg offenbar auch durch Kabelrohre. Und durch die geplanten Flutungen der alten Stollen und Schächte, dem Anstieg des Grubenwassers, werde die Gefahr weiter wachsen, befürchtet der Mediziner. Radon ist schließlich ein wasserlösliches Gas.

Mittlerweile hat sich Karl-Michael Müller als Radon-Jäger einen Namen gemacht. Und er hat auch erste Erfolge. Die Interessengemeinschaft der Bergbaubetroffenen etwa veröffentlicht seine Informationen und Messungen auf ihrer Internetseite, man hat ihn zu Vorträgen eingeladen. Selbst in der Landespolitik gab es einen gewissen Nachhall, wie auch das entstehende Radon-Kataster zeigt.

Zum Erörterungstermin wird Müller allerdings nicht gehen. Wie will man auf die tausenden Eingaben vernünftig eingehen?, zweifelt er.  Und befürchtet, dass der einstige Bergbauriese RAG auch weiterhin vor allem abwiegele. Aus Furcht vor Kosten, wenn etwa Häuser in der Region saniert werden müssten, um sie gegen Radon zu schützen.

Allzu lange, kritisiert der Arzt, habe die Landespolitik das Vorgänger-Unternehmen Saarberg schalten und walten lassen, vor dem „Staat im Staat“ gekuscht.  Obwohl es schon 1997 einen Präzedenzfall gab. Damals wurde in Schiffweiler gemessen. In einigen wenigen Häusern stellte man extreme Radon-Konzentrationen fest. Weitere Kontrollen blieben aber aus.

Doch der Mediziner will die Landespolitik nicht aus der Pflicht lassen. Schon, um dem seit Januar geltenden neuen Strahlenschutzgesetz Geltung zu verschaffen. Flächendeckende Messungen seien notwendig, so Müller, schon in zwei benachbarten Häusern könnten Ergebnisse völlig unterschiedlich ausfallen. Hier gefährlich viel Radon, beim Nachbarn dagegen unproblematische Konzentrationen, so seine Erfahrungen.

Zudem müsse man das saarländische Krebsregister als Forschungsgrundlage besser nutzen, fordert er. Seit 1967 werden darin Krebserkrankungen exakt dokumentiert. Diese Daten müsse man endlich auswerten. Noch aber fehlt die systematische Radon-Überwachung im Saarland. Also wird Karl-Michael Müller weiter gegen einen schwer zu fassenden Feind antreten. Aber anders als Don Quijote hat er viele, die an ihn glauben.

 Das Radon-Messgerät in Dr. Müllers Praxis in Quierschied.

Das Radon-Messgerät in Dr. Müllers Praxis in Quierschied.

Foto: Oliver Schwambach
 Allgemeinmediziner Karl Michael Müller vor Fördergerüst und Hammerkopf-Förderturm der Grube Camphausen in Fischbach

Allgemeinmediziner Karl Michael Müller vor Fördergerüst und Hammerkopf-Förderturm der Grube Camphausen in Fischbach

Foto: Robby Lorenz
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