Was frisches Wasser über Wohlstand aussagt

Ein sehr wichtiges und spannendes Thema unserer Diskussionen auf dem "Intercambio" war natürlich die Armut. Wir Freiwilligen aus Deutschland arbeiten zumeist in Projekten, welche sich in den Armenvierteln befinden und werden somit tagtäglich mit dem Thema konfrontiert. Es ist für uns nicht immer einfach

Ein sehr wichtiges und spannendes Thema unserer Diskussionen auf dem "Intercambio" war natürlich die Armut. Wir Freiwilligen aus Deutschland arbeiten zumeist in Projekten, welche sich in den Armenvierteln befinden und werden somit tagtäglich mit dem Thema konfrontiert. Es ist für uns nicht immer einfach. Dabei wird einem täglich bewusst, dass der Begriff Armut - vor allem die materielle Armut- in Argentinien und Deutschland eine unterschiedliche Bedeutung hat: In Deutschland zum Beispiel wird jemand als arm bezeichnet, der seine Grundbedürfnisse noch befriedigen kann, aber sich aufgrund seiner eingeschränkten finanziellen Mittel viele Dinge nicht leisten kann, die für die Mehrheit selbstverständlich sind. Oder aber es gilt derjenige als arm, der einer gewissen gesellschaftlichen Ausgrenzung aufgrund seiner geringen finanziellen Mittel ausgesetzt ist.In Argentinien hingegen haben die Leute keinerlei finanzielle Absicherung, sie erhalten keine Sozialleistungen, kein Hartz IV, sind in keiner gesetzlichen Krankenkasse, bekommen vom Staat keine Wohnung bezahlt. Arme Menschen in Argentinien leben auf der Straße, in einem der vielen Armenviertel oder aber direkt auf dem Mittelstreifen einer Hauptverkehrsstraße in Holz-oder Wellblechhütten. Zum Teil werden brachliegende Flächen von mittellosen Menschen besetzt, Landflächen, die Großgrundbesitzer nicht brauchen. Sie gründen dort ein neues Armenviertel. Leider befinden sich einige von diesen auch auf Flächen, welche bereits als kontaminiertes Terrain bekannt sind.

Desweiteren spielt beim Unterschied zwischen arm und reich die Wasserversorgung eine große Rolle: Nicht alle Haushalte haben in Argentinien Zugang zu sauberem, geschweige denn zu fließendem Wasser. Zu sehen, dass viele Menschen hungern müssen, weil sie kein Geld haben und für sie auch keine vergleichbare Hilfe wie in Deutschland existiert, wie zum Beispiel die "Tafel" , ist vor allem für uns Europäer erschreckend. Während meiner Urlaubstage in Argentinien hatte ich zum Beispiel eine Begegnung, die mir lange im Gedächtnis bleiben und mich noch lange Zeit beschäftigen wird: Ich gönnte es mir, essen zu gehen. Während ich an einem Tisch auf dem Gehweg mein Essen zu mir nahm, durchsuchte fünf Meter von mir entfernt ein Mann die Mülltonnen nach Essbarem. So nahm er letztendlich zwei Flaschen mit, in welchen gerade einmal ein Schluck zu trinken war. Ich war so betroffen, vor allem, weil er wahrscheinlich nicht nur für sich nach Lebensmitteln suchte, sondern auch noch für seine Familie. Sicherlich gibt es diese Situationen auch in Deutschland, allerdings betreffen sie in Argentinien einen weitaus größeren Teil der Gesellschaft.

So brachte auch jemand beim Seminar den guten Einwand: "Ich kann es nicht verstehen, Argentinien ist ein großes Land, mit allen Klimazonen und besitzt somit alle Möglichkeiten, seine Leute zu versorgen und dennoch haben wir Hunger beziehungsweise leiden Menschen in Argentinien an Hunger. Wie kann das sein? Deutschland, ein Land, das nur ein Achtel der Landfläche Argentiniens besitzt, kann einen Großteil seiner Bevölkerung ernähren, so dass niemand vergleichsweise Hunger leiden muss!"

Ein weiteres Gesprächsthema während unseres Seminars war der in Argentinien weit verbreitete Chauvinismus. So wie wir Deutsche uns an diesen in Argentinien gewöhnen müssen, so mag der Feminismus in Deutschland den Argentiniern neu erscheinen. Vor allem die Herren müssen sich zunächst einmal an ihre Rollen gewöhnen. Während die Männer hier in Argentinien etwa zumeist im Bus aufstehen, um Schwangeren, Müttern mit Kleinkindern und Kindern einen Platz frei zu machen respektive die Frauen zumeist den Vortritt bekommen, um sich setzten können, ist in Deutschland jeder seines Glückes Schmied. Desweiteren ist es für uns Deutsche befremdlich, hier auf offener Straße ständig angepfiffen zu werden oder aber derbe oder flache "Anmachsprüche" zugerufen zu bekommen. Vor allem im Dunkeln kann es da auch schon mal wesentlich eher zu sehr unangenehmen Begegnungen kommen als hier bei uns in Deutschland, und man bekommt somit auch schnell ein Gefühl von Unsicherheit. Aber so machen auch die Argentinier die Begegnung mit dem Feminismus in Deutschland. Ein ehemaliger Deutschlandfreiwilliger erzählte, dass es für ihn sehr befremdlich war, wenn er mit der Bahn bzw. mit dem Bus fuhr und niemand seinen Platz Kindern oder älteren Damen und Herren anbot, obwohl keine Plätze mehr frei waren.

Das führt mich nun direkt zum nächsten Punkt, der Sicherheit. So mögen sich einige in Deutschland sicherer fühlen - man vertraut der Polizei -, doch egal, wo man sich auf der Welt befindet, kann man Opfer eines Diebstahles sein. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit hier in Buenos Aires um einiges höher als in Europa. Vor allem aber das Risiko, mit einer Waffe oder einem Messer bedroht zu werden. Ein weiterer Punkt, der hier in Argentinien Unsicherheit vermittelt bezhiehungsweise symbolisiert, ist sicherlich, dass die Häuser und deren Fenster im Gegensatz zu Deutschland meist vergittert sind. Aber auch das Vertrauen in die Polizei, welches viele aus der Bevölkerung nicht haben, vor allem aus der ärmeren Schicht, trägt wohl dazu bei. Zum einen wird den Polizisten Korruptheit nachgesagt, zum anderen dauert die Ausbildung bei der Polizei nur drei Monate.

Nun möchte ich zu dem letzten Punkt kommen, der sowohl Argentiniern als auch uns Deutschen in mancher Hinsicht befremdlich erscheinen mag: die Pünktlichkeit. Diese deutsche Gewohnheit kann ebenfalls als "steif" interpretiert werden. In Deutschland wird eigentlich alles geplant und auch sehr auf Pünktlichkeit geachtet. Während man hier in Argentinien eher in den Tag hineinlebt, nach der Regel: "Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe ruhig auf morgen!" Aber um ehrlich zu sein, kann man hier nie genau planen und somit pünktlich sein. Allein das Warten auf den Linienbus an der Haltestelle: Wenn er kommt, dann kommt er halt, und wenn er voll ist, dann ist er halt voll und wenn er nicht kommt, dann kommt er halt nicht! So einfach ist es . . . Dahinter steckt eine andere Mentalität, die auch eine gewisse Leichtigkeit dem Leben gegenüber versprüht.

Unterschiedliche Mentalitäten in verschiedenen Ländern mögen einem zeitweise befremdlich erscheinen, sind jedoch meist bereichernd im Hinblick auf die eigenen Lebensweisen. So kann jede Kultur von der anderen lernen oder aber sich daran erfreuen, was in der jeweiligen Kultur vielleicht besser funktioniert. Doch sollte man dabei nicht vergessen, dass die meisten Eindrücke subjektiv wahrgenommen werden und somit auch nur subjektiv bewertet werden können.

Kontakt zur Autorin: KajaKlinkeinArgentinien@gmx.de

Informationen zu den "Evangelischen Freiwilligendiensten für junge Menschen FSJ und DJiA gGmbH" sowie von "Brot für die Welt"

"In Argenti- nien haben die Leute keinerlei finanzielle Absicherung, sie erhalten keine Sozial- leistungen."

Kaja Klinke

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