Studententheater Studententheater nimmt Karrieresucht aufs Korn

Saarbrücken · Von Anja Kernig

„Das Stück Scheiße hat es nicht anders verdient“, rechtfertigt sich Angelika, um Contenance ringend. Ach du schöne neue Business-Welt. Wir befinden uns in der schnieken 16. Etage des „Mutterhauses“ eines international agierenden Konzerns. Gut, das braucht jetzt etwas Phantasie. Wirkt doch die in Dunkelheit eingebettete Mini-Bühne im TiV eher wie eine vorsintflutliche Sicherheits-Schaltzentrale in einem beliebigen Keller. Ein Sammelsurium älterer Fernsehgeräte ist in Regalbrettern über- und nebeneinander aufgereiht. Genialer Nebeneffekt dieses schlichten wie wirkungsvollen Bühnenbildes: Es können zu den Szenen passende Fotos eingeblendet werden – Mondscheinstimmungen etwa oder Körperteile.

Einfälle wie diese heben die Inszenierung der Studentenbühne Thunis unter Regie von Philipp Matthias Müller deutlich von jener eher konventionellen ab, die die Saarbrücker Schauspielschule acting and arts vor gerade einmal drei Monaten vorstellte. Dort traf man auf eine lichte, aber sterile, multifunktionale Bürolandschaft.

Autor Roland Schimmelpfennig, meistgespielter Gegenwartsdramatiker Deutschlands, nannte sein Episodenstück „Push up“ eine Abrechnung „mit den neunziger Jahren der Bundesrepublik, in denen sich alle nur noch um den Karrieretrip scherten, ums reine Funktionieren“. Funktioniert wird auch bei Müller. Nur eben etwas anders: Da werden die Bürohengste und -stuten wie Schaufensterpuppen vom Sicherheitspersonal hin und her bewegt, da schnüren sich die Angestellten selbst mit Klebeband ein, da packt Sabine die Bettdecke aus und legt sich auf den Schreibtisch der Konzernchefin Angelika, während sie schildert, wie trostlos, einsam und neurotisch jeder ihrer Arbeitstage beginnt.

Gespielt ist das meist souverän von den je vier jungen Frauen und Männern der Studentenbühne. Dass ein Zwanzigjähriger nicht unbedingt plausibel als 60-Jähriger rüberkommt, geschenkt. Aber die Monologe, diese erschreckenden Einblicke in das von Kontrollzwängen und Spielsucht, Kaufrausch und Fress­attacken dominierte Privatleben der nach außen beherrscht und reflektiert agierenden Schreibtischtäter, wirken durch die Bank weg authentisch.

„Wir könnten Freundinnen sein“, meint Angelika zu Sabine, die mit ihren 28 Jahren schon in halb Asien Karriere gemacht hat und nun auf den fetten Posten in Delhi scharf ist. Dabei hasst sie die Jüngere, einmal mehr, als diese ungerührt lächelnd zugibt, mit ihrem Vorgesetzten, Angelikas Mann, geschlafen zu haben. „Ihr den Kaffee ins Gesicht zu schütten, war eine Entgleisung. Ein Kontrollverlust“, kommentiert die Gedemütigte das  Ende des absurden Gesprächs in der Chefetage. „Aber sie hatte es nicht anders verdient.“ Das Publikum applaudiert herzlich und dankt für den intensiven, gelungenen Abend. Im Foyer hagelt es schließlich noch Lob für Philipp Matthias Müller und seine Truppe, darunter auch: „Als Laienschauspiel kann man das nicht mehr bezeichnen. Großes Kompliment.“

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