Die Mutter aller Feste redet nicht mehr

Saarbrücken · In den 1970ern und 1980ern wurden beim Saarbrücker Altstadtfest Themen behandelt, über die der Rest der saarländischen Welt erst Jahre später sprach. Heute ist es anders. Aber schlechter? Macher von früher schauten bei einer Podiumsdiskussion mal zurück.

 Der St. Johanner Markt war wie vor 40 Jahren ein zentraler Ort des Festes. Foto: Becker&Bredel

Der St. Johanner Markt war wie vor 40 Jahren ein zentraler Ort des Festes. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel
 Auf dem Podium im Hof der Stadtgalerie saß Moderator Jürgen Albers (2. von rechts) mit Oskar Lafontaine (rechts), Walter Pitz (links) und Ulrike Donié (2. von links). Fotos: Becker & Bredel

Auf dem Podium im Hof der Stadtgalerie saß Moderator Jürgen Albers (2. von rechts) mit Oskar Lafontaine (rechts), Walter Pitz (links) und Ulrike Donié (2. von links). Fotos: Becker & Bredel

Das Saarbrücker Altstadtfest 1975 war nicht nur die erste Veranstaltung dieser Art im Saarland (und darüber hinaus), also quasi die Mutter aller Stadt-, Dorf- und Straßenfeste, die jeder Saarländer kennt, oft auch schon zur Genüge. Es brachte nicht nur "Kultur für alle" von beachtlicher Qualität, sondern auch politische Themen auf die Gassen. Dieses von der Stadtverwaltung und dem Bürgerforum Saarbrücken in die Welt gesetzte Fest war schlichtweg "Avantgarde", wie es der Journalist und Moderator Jürgen Albers am Samstag bei einem entspannt-distanzierten Diskussions-Rückblick in der Stadtgalerie auf den Punkt brachte. Thema: 40 Jahre Altstadtfest - "Essen und Trinken, Politik und Kultur".

Ulrike Donié vom Saarbrücker Bürgerforum konnte die Würdigung als Vorreiter-Fest nur bestätigen: So habe man sich bereits 1982 mit demographischem Wandel und Seniorenwohnen in der City beschäftigt (und die Grauen Panther aus Wuppertal hergeholt), man habe gesundes Essen propagiert, als es im ganzen Saarland erst ein Dutzend Bioläden gab, habe für den Erhalt der Alten Brücke und des Staden sowie für die Einrichtung der Fußgängerzone am St. Johanner Markt gekämpft. "Das alles war auch gut so", pflichtete Oskar Lafontaine bei, damals SPD-Stadtoberhaupt, und erinnerte sich besonders gern, dass das Altstadtfest auch Umwelt- und Friedensthemen propagierte, es habe "Aufbruchstimmung erzeugt" und "Identität gestiftet".

Und heute? Seit 15 Jahren haben sich Verwaltung und Bürgerforum auseinandergelebt, das Fest wird allein von der Stadt verantwortet, die großen Themen sind nicht mehr da - ein Verlust? Ja, sagte Lafontaine, und regte an, dass man doch wunderbar über das Für und Wider von "Stadtmitte am Fluss" oder den Museumsneubau reden könne. Oder, wenn es was Großes sein solle, über das Ausspähen der Bürger in aller Welt durch Nachrichtendienste.

Walter Pitz, früherer Programmdirektor des Festes, zeigte sich skeptisch, ob heute noch 500 Menschen vor einer Bühne lauschen, auf der zwei Stunden diskutiert wird (zu der hier beschriebenen Stadtfest-Diskussion kamen 40 Menschen). "Das geht nicht mehr", so Pitz, schon gar nicht aus dem Rathaus heraus. Aber ob das Bürgerforum wieder ins Festgeschehen eingreift? Es überhaupt will? "Unser Kind ist uns sehr fremd geworden", so Donié.

Dass es verzogen oder garstig sei, wollte denn aber auch keiner behaupten. Aus dem Zuhörerraum bedankte sich der Musiker Hans Martin Derow (von der Gruppe An Erminig), dass das Altstadtfest von Anfang bis heute der Linie treu geblieben sei und Interpreten verpflichtet habe, deren Musik die Besucher fordert und nicht nur "Abtrink-Begleitprogramm" ist - gegenüber dem Gros der Feste im Land wirke es damit also dann doch immer noch avantgardistisch.

weiterer Bericht

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort