Zu wenig Wissen über Nazi-Verbrechen

Saarbrücken. "Wisst ihr, was Nazis sind?" Moderator Jürgen Albers setzte bei den jugendlichen Besuchern des "Erzählcafés mit Zeitzeugen" extrem geringe Vorkenntnisse voraus. Damit lag er goldrichtig

Saarbrücken. "Wisst ihr, was Nazis sind?" Moderator Jürgen Albers setzte bei den jugendlichen Besuchern des "Erzählcafés mit Zeitzeugen" extrem geringe Vorkenntnisse voraus. Damit lag er goldrichtig. Denn die - überwiegend weiblichen - Zuhörer, alle etwa zwischen 12 und 17 Jahren, die am Donnerstag zu der Veranstaltung in den Deutsch-Ausländischen Jugendclub (DAJC) gekommen waren (die SZ berichtete), wussten erschreckend wenig über die Nazizeit."Juden wurden weggefahren""Ich hab nur gewusst, dass die Juden am Schluss fast nix mehr durften und so", sagte die 13-jährige Z. (alle Namen von der SZ geändert). Auch die 12-jährige J., deren Eltern aus der Türkei stammen, hatte vorher nur sehr ungefähre Vorstellungen von den antisemitischen Verbrechen. Die 13-jährige K., Tochter türkischer Kurden, gab zu: "Ich dachte eigentlich schlecht von den Juden. Aber jetzt weiß ich, dass die Nazis die Schlechten waren." Die Veranstalter des Erzählcafés, das Theater im Viertel (TiV) und der DAJC, folgerten: Diese Äußerungen beweisen, dass man immer weiter an die Ursachen der Nazi-Herrschaft erinnern muss - und an die Verbrechen der Nazis. So auch an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938."Polizei hinderte Feuerwehr""Ich habe als Kind gesehen, wie die Saarbrücker Synagoge brannte und wie die Juden auf offenen Wagen weggefahren wurden", berichtete am Donnerstag der 79-jährige E. F. Er erinnert sich genau an das, was damals in der Kaiserstraße geschah: "Die Feuerwehr stand da, aber sie wurde von der Polizei und der SS daran gehindert, den Brand zu löschen."Auch von Behinderten, die in den folgenden Jahren plötzlich verschwanden, erzählte F.: "Uns Kindern hat man gesagt, die sind in ein Heim gekommen." Dass die Nazis auch Behinderte ermordeten, konnten die Jugendlichen im DAJC kaum glauben.Auch dass weite Teile von Saarbrücken nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört waren, wussten die meisten nicht. Von den Bombenangriffen aus dem letzten Kriegsjahr berichtete die 72-jährige G.P.: "Als wir aus dem Bunker in der Richard-Wagner-Straße herauskamen, waren alle Häuser in unserer Straße zerstört. Nur unseres stand noch. Meine beste Freundin wohnte neben uns. Ich werde nie vergessen, wie sie mit ihrer Mutter wie versteinert vor ihrem völlig zerstörten Haus stand. In einer Stunde hatten sie alles verloren." "Da müsst ihr doch total geschockt gewesen sein", meinte ein Mädchen und erkundigte sich, ob P. denn "danach eine Therapie gemacht" habe. Die Frage sei gar nicht so dumm, antwortete P., als einige lachten. P.: "Eine Therapie hätte man nach dem schrecklichen Krieg wirklich gebrauchen können."rae

HintergrundDas Wort Pogrom bedeutet: Gewaltausbruch gegen eine Minderheit. Das Wort stammt aus Russland. Im Zweiten Weltkrieg starben rund 30 Millionen Einwohner von Russland und der früheren Sowjetunion. red

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