„.... und nach den Tieren hat niemand gefragt“

Saarbrücken · Fremde Menschen suchen bei uns Hilfe und Zuflucht. Es gab aber Zeiten, da waren die Saarländer auf der Flucht. Wurden evakuiert, abtransportiert in für sie unbekannte Gegenden, wo sie oft überhaupt nicht willkommen waren. Wir haben einige der letzten Zeitzeugen – gebürtige Saarländer – gebeten, über ihre Erinnerungen zu berichten.

 Kurt Jene und Ilse Hoffmann erinnern sich an die Evakuierung als eine Flucht ins Ungewisse. Foto: Traudl Brenner

Kurt Jene und Ilse Hoffmann erinnern sich an die Evakuierung als eine Flucht ins Ungewisse. Foto: Traudl Brenner

Foto: Traudl Brenner

"Mein Vater war schon bei den Soldaten." Immer wieder fällt dieser Satz bei unseren Treffen im Langwiedstift oder im Altenheim am Schloss. Kleine Gesprächsgruppen haben sich dort jeweils zusammengefunden, um über ihre Erinnerungen an die Evakuierung 1939 zu sprechen, die Erfahrungen zu vergleichen. Und in diesen Erinnerungen sind die meisten Väter notgedrungen abwesend. Die Mütter, die ja durchweg viel mehr Kinder hatten als heute üblich, waren mit der Organisation der Flucht allein, hatten oft zudem die Großeltern zu betreuen. Einmal Wäsche zum Wechseln durfte man bei der überstürzten Evakuierung in die einzige pro Person erlaubte Tasche packen. Und keiner wusste, wohin die Reise ging, wie lange sie dauern würde.

Was unterwegs alles passieren konnte, belegt eine Erinnerung von Rudi Pontius im Altenheim am Schloss: Da hielt der Zug unterwegs irgendwo auf der Strecke, alle durften mal raus - aber als es weiter ging, war Rudis Mutter noch nicht wieder da. Und der kleine Rudi war allein. Nach einigen Tagen haben sie dann wieder zusammengefunden. Heute schmunzelt Pontius beim Erzählen. Damals war wohl die Verzweiflung groß.

Ein heikles und emotionales Thema wird zögerlich angesprochen: Was ist denn bei der Evakuierung aus den Haustieren geworden? Mitnehmen konnte man sie ja nicht. Was geschah bei der überstürzten Flucht mit Hund und Katze, mit Hasen und Hühnern, die ja häufig von Familien in kleinen Ställen gehalten wurden? Die durfte man ja nicht mitnehmen. Da steigen heute noch manchen Teilnehmer bei unseren kleinen Gesprächsrunden die Tränen in die Augen. "Da haben die Leute halt die Stalltüren aufgemacht und die Tiere sich selbst überlassen", erfährt man. Auf der Flucht-Fahrt in Bussen und (meist) Güterzügen habe man auch häufig an Bäumen festgebundene, zurückgelassene Hunde gesehen. Ziegen, Hühner und Kaninchen seien herrenlos herumgelaufen.

Über weite Teile Deutschlands wurden die Evakuierten verteilt. Kurt Jene, mit dem wir uns im Langwiedstift treffen - er ist 1929 in Jägersfreude geboren - kam mit seiner Mutter bis nach Magdeburg. Dort wurden alle Flüchtlinge auf verschiedene Ortschaften verteilt. Seine ältere Schwester war verschollen, später fand die Familie aber wieder zusammen. Jene bestätigt, was schon unser Gesprächsteilnehmer Alfred Schulz beim ersten Rundgespräch gesagt hat: "Für uns Jungs war die Evakuierung durchaus ein großes Abenteuer."

Aber für die Mehrzahl der evakuierten Saarländer war sie schon deshalb eine Katastrophe, weil die Menschen ja vorher noch nie aus ihrer Umgebung herausgekommen waren. "Unsere Eltern waren noch nie verreist, auch die Nachbarbezirke waren fremd", sagen die meisten. Zu den besonders negativen Erinnerungen einiger unserer Gesprächsteilnehmer gehört das Verhalten der Einheimischen gegenüber den Flüchtlingen. " ‚Du Saarfranzos' sei ein richtiges Schimpfwort gewesen", erinnern sich mehrere. Und: "Ihr glaubt wohl, ihr kämt hier ins Wunderland", hätten die Einheimischen sie oft gerüffelt. "Die haben dann auch über uns gelacht und gesagt, wir sollen doch Französisch schwätzen - dabei haben wir das doch überhaupt nicht gekonnt", sagt eine Frau. Übereinstimmend aber immerhin die Erinnerung, dass wenigstens die Flüchtlingskinder und die gleichaltrigen Einheimischen meist schnell miteinander klargekommen seien.

Manche haben aber auch Glück gehabt. Ilse Hoffmann, 1924 in Malstatt geboren, war 1939 schon 15 Jahre alt und deshalb bereits Mitglied im "Bund Deutscher Mädel". Sie erinnert sich, dass sie deshalb überall besonders gut behandelt worden ist. Aber es gelang ihr, während dieses Evakuierungsjahrs eine Handelsschule zu besuchen, was sich später als Segen erwies: Dank ihrer Ausbildung landete sie in Heidelberg und war damit in Sicherheit: Die Amerikaner haben Heidelberg ja niemals bombardiert.

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