Das Opfer, das kein Opfer sein wird

Saarbrücken · Er ist einer der ganz Großen der französischen Choreografen-Szene. Am 28. Mai gastiert Jean-Claude Gallotta im Rahmen des Festivals Perspectives mit seiner Choreografie des "Sacre du printemps" im Großen Haus des Staatstheaters.

Saarbrücken. Wie findet man einen eigenen Zugang zu einem Ballettklassiker wie dem "Sacre du printemps", den schon so viele Größen der Tanzgeschichte choreografiert haben? Jean-Claude Gallotta, in Frankreich seit rund 30 Jahren selbst einer der Großen, hat dazu zwei Anläufe gebraucht. Bevor der gebürtige Grenobler zusammen mit seiner Partnerin Mathilde Altaraz 1979 seine berühmte Compagnie Groupe Emile Dubois gründete, ging er bei Merce Cunningham in die Lehre."Choreografen, die wie ich eher den abstrakten Tanz vertreten, schlagen um das Sacre meist einen großen Bogen", sagt er. "Weil es zu stark ist, weil es diese Geschichte hat und eine sehr mitreißende Musik." Doch diese Musik von Igor Strawinsky, die Gallotta schon als Kind kennenlernte, hat ihn einfach fasziniert.

Den ersten Versuch brach er jedoch ab. Erst 2009, während der Arbeit an dem Ballett "L'homme à tête de chou", zu Liedern von Serge Gainsbourg, hat es bei Gallotta dann klick gemacht: "Als ich die Tänzer sah, ihre Energie, habe ich mir gesagt, ich könnte versuchen, diese Energie mit dem Sacre rüberzubringen."

Aber nur durch die Bewegung, "impressionistisch, halb abstrakt". Den archaischen Ritus (nach-)zu erzählen, wäre für Gallotta viel zu konkret. Um der Poesie Raum zu geben, sucht er in seinen Tanzstücken immer eine Balance zwischen Abstraktion und Narration, Erzählerischem.

Sein Ausgangspunkt bei Sacre: Er übernahm das szenische Setting des Gainsbourg-Stücks, dasselbe Licht, denselben Bühnenhintergrund und wollte auch die Tänzer so modern wie bei Gainsbourg gekleidet sehen. "Die Zeit ab den 1950ern, als die Rockmusik aufkam, das ist meine Welt", sagt Gallotta schmunzelnd. "Ich habe mir vorgestellt, dass jede Frau, jeder Mann eine erwählte Person sein könnte wie in dem Frühlingsopfer."

Da die Sacre-Komposition mit 45 Minuten Länge nicht abendfüllend ist, wird diesem Ballett meist ein zweites bekanntes Werk vorangestellt. "Das finde ich blöd", sagt Gallotta. "Die Ohren sollten frisch, noch nicht verbrannt sein, um die Musik von Strawinsky aufzunehmen". Also hat er zwei kurze Tanzstücke choreografiert, die dem Zuschauer ein paar "Schlüssel" zum Sacre in die Hand geben. Getanzt wird in der Stille, nur mit ein wenig Wind "wie bei Fellini" und sanften elektronischen Klängen. Seinen Durchbruch hatte Gallotta 1981 mit seinem bis heute berühmtesten Ballett "Ulysse", 1986 gab ihm der Staat die Leitung eines der ersten choreografischen Zentren Frankreichs, in Grenoble, wo er seitdem mit seiner Compagnie residiert und jedes Jahr eine Wiederaufnahme und eine neue Kreation realisiert. Um "alle Farben des Lebens" zu zeigen, lässt er in jüngster Zeit oft auch Kinder, Senioren und Amateure in seinen Stücken tanzen. Und manchmal tanzt er auch selbst. "Faut que je danse"( Ich muss tanzen) heißt sein Solo von 2011. Ein Nimmermüder.

28. Mai, 20.30 Uhr, Staatstheater. Karten im Festival-Büro am St. Johanner Markt 13-15, Tel. (06 81) 93 81 56 18. Info: www.festival-perspectives.de

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