Gewichtige Werke im Fokus Tor zur Musikgeschichte weit aufgestoßen

HOMBURG · Das Homburger Sinfonieorchester spielte am Sonntag anspruchsvolle Werke von Lutoslawski, Strauss oder Rachmaninow und bot dabei eine starke, umjubelte Vorstellung.

 Unter der Leitung von Manfred Neumann (rechts) in Vertretung von Jonathan Kaell brillierte Veit Stolzenberger bei Strauss Oboenkonzert.

Unter der Leitung von Manfred Neumann (rechts) in Vertretung von Jonathan Kaell brillierte Veit Stolzenberger bei Strauss Oboenkonzert.

Foto: Thorsten Wolf

Am vergangenen Sonntag hat das Homburger Sinfonieorchester das Tor zur Professionalität mit gewichtigen Werken aus der jüngeren Musikgeschichte zwischen 1936 und 1951 weit aufgestoßen. Die Herausforderungen mit Witold Lutoslawski, Richard Strauss und Sergej Rachmaninow als Zeitzeugen von Faschismus und Stalinismus waren enorm, wie schon die kenntnisreichen Werkeinführungen von Florence Scherer erahnen ließen. Hinzu kam für die Liebhabermusikerinnen und mehrheitlichen Feierabendmusiker die Umgewöhnung an den Gastdirigenten Manfred Neumann, der den verhinderten Chefdirigenten Jonathan Käll vertrat. Aber dank sprechenden Dirigiergesten, einer überaus präzisen Schlagtechnik und einer mitreißenden Musizierlust der Homburger Sinfoniker zerstoben bei der „Mala Suita“ (Kleine Suite) zur Eröffnung jegliche Bedenken. Lutoslawski vollendete sie 1951 für das mit Blech- und Holzbläsern üppig besetzte Polnische Radiosinfonieorchester, nachdem er zuvor mit Aufführungsverboten im Sozialistischen Realismus als Nonkonformist abgestempelt war. Begeistert verfolgten die Zuhörer im Kulturzentrum Homburger Saalbau das befreiende Spiel mit Volksmusikzitaten aus Galizien im ersten Satz „Fujarka“ (Pfeifchen), die auftrumpfende „Hurra-Polka“, das „Piosenko“, ein „Liedchen“, das von der Klarinette aus zunächst durch alle Holzbläserstimmen und zuletzt durch die Klangpracht des großen Orchesters wanderte, und nicht zuletzt den „Taniec“ (Tanz), der wie Strawinskys Petruschka im Finalsatz mit puppenhaften Verrenkungen und allerlei maskenhaften Überraschungen aufwartete.

Ein Zeitdokument besonderer Art ist auch das 1945 entstandene Oboenkonzert von Richard Strauss, dankbar zwar, aber wegen der erforderlichen besonderen Atemtechnik „für jeden Solisten gnadenlos“, so die Einschätzung von Albrecht Mayer, des Solo-Oboisten der Berliner Philharmoniker. Angeregt hatte es der Solooboist John Lancie vom Pittsburgh Symphony Orchestra, als er mit anderen amerikanischen Befreiern den berühmten Rosenkavalier-Komponisten Ende April 1945 auf Panzern in dessen Villa bei Garmisch aufsuchte. Was der 81-Jährige zunächst etwas mürrisch als „Handgelenksübung“ aufgriff, erwies sich bald als Glücksfall für das nicht gerade überquellende Oboenrepertoire.

In Homburg empfahl sich für die „gnadenlose“ Herausforderung Veit Stolzenberger als Solooboist der Berliner Symphoniker und in gleicher Funktion bei der Deutschen Radiophilharmonie. Im heiteren D-Dur zogen zur Verdrängung der jüngsten Kriegsschrecken die anmutig angeordneten Sätze „Allegro“, „Andante“, „Vivace“ und „Allegro“ an den Hörern vorüber und beschworen eine heile Welt, die gerade in Trümmern lag.

Im aufblühenden Orchesterklang faszinierte Veit Stolzenberger im ersten Satz „Allegro moderato“ mit schier endlosen Atembögen, mit inniger Versunkenheit in die Altersweisheit des „Andante“-Satzes und mit bravourösen Solokadenzen zum scherzoartigen Finalsatz „Vivace“, der dann doch wieder in der melodiösen Elegie des Kopfsatzes endete. Das Publikum konnte nicht genug davon haben und erklatschte sich vom Solooboisten mit der „Èvocation peruenne“ (Peruanische Götterbeschwörung) von Henri Tomasi eine Zugabe aus einer ganz anderen, uns etwas fremden Welt.

Der größte Brocken war für den Dirigenten und für das Orchester die äußerst komplexe dritte Sinfonie a-Moll op. 44 des russischen Spätromantikers Sergej Rachmaninow. Fernab aller politischen Verwicklungen wurde sie 1936 im Schweizer Domizil Senar vollendet und im gleichen Jahr von Leopold Stokowski und dem Philadelphia Orchestra uraufgeführt. Unter der „säuerlichen Aufnahme“ bei Publikum und Presse litt der Komponist sehr.

Hätte er doch die begeisternde Herangehensweise der Homburger Musiker erleben dürfen, ihr Wechselspiel zwischen nostalgischer Idylle und knalligen Modernismen im ersten Satz, ihre zugespitzte Groteske in der Scherzo-Episode des schwelgerischen langsamen Satzes oder das fein gestaltete Fugato im Finalsatz, mit dem sich der Komponist vor seinem ehemaligen Lehrer Sergej Tanejew verbeugte! Er hätte seine Minderwertigkeitskomplexe als Komponist womöglich beiseite geschoben und wäre in den minutenlangen Begeisterungsjubel mit eingetaucht.

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