Unterricht an der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen Physik im Wald, Theater im Park

Neunkirchen · Seit dieser Woche dürfen die Fünft- und Sechstklässler wieder zur Schule. An der Gemeinschaftsschule in Neunkirchen geht’s in die Natur – wie vor Corona.

 Besser als jeder Unterricht zuhause: Joshua (hinten rechts) und seine Mitschüler aus der Klasse fünf schaufeln Waldboden für die neuen Hochbeete der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen in die Schubkarre.

Besser als jeder Unterricht zuhause: Joshua (hinten rechts) und seine Mitschüler aus der Klasse fünf schaufeln Waldboden für die neuen Hochbeete der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen in die Schubkarre.

Foto: Katja Sponholz

Der elfjährige Joshua weiß nicht genau, wie viele Tage und Wochen er in der letzten Zeit beim Lernen zuhause oder in der Notbetreuung verbracht hat. Aber dass es eindeutig zu lang war, steht außer Frage. „Ich bin das erste Mal wieder im Wald. Das ist einfach das Coolste!“, sagt er begeistert, als er an diesem Morgen Erde in eine Schubkarre schaufelt. Seit Montag dürfen in der letzten Phase der Schulöffnung in Corona-Zeiten auch die Fünft- und Sechstklässler im Saarland wieder zur Schule gehen. Tageweise gibt es für sie nun Präsenzunterricht. Doch was für andere Schüler die Ausnahme vom üblichen Stundenplan darstellen würde, ist für die Kinder der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen Normalität.

Regelmäßig besuchen sie ihre Waldschule im Kasbruch Furpach, um das zu lernen, was in üblichen Lehrplänen nicht im Mittelpunkt steht. Am Mittwoch sammelten sie mit Sozialarbeiter Heinrich Pohl Erde und Äste für die neuen Hochbeete im Schulgarten, walkten mit Künstlerin Stephanie Laub aus Schafwolle Taschen und sammelten Insekten, um mit Physiklehrer Christian Lamberti die Funktionsweise eines Tablet-Mikroskops kennenzulernen. „Über Durchlüftung und Frischluftzufuhr müssen wir uns in unserem Outdoor-Klassenzimmer keine Gedanken machen“, sagt Schulleiter Clemens Wilhelm lächelnd.

Ein paar Kilometer weiter, im „Hauptgebäude“ der Schule, sieht das zwangsläufig anders aus. Hier gibt es nicht nur Maskenpflicht sondern auch strenge Vorgaben an die Abstände, die auf dem Pausenhof, im Klassenzimmer und natürlich auch bei den Prüfungen eingehalten werden müssen. Am Mittwoch fanden die an der Gemeinschaftsschule gleich in dreifacher Form statt: als Spanisch-Prüfung für die Abiturienten und als Abschlussprüfungen für den Mittleren Bildungsabschluss und den Hauptschulabschluss.

Dass die Schüler der Theaterklasse deshalb ausquartiert werden mussten und Unterricht unter freiem Himmel im Wagwiesental hatten, war für sie kein Problem. Im Gegenteil: „Angenehm hier draußen – nicht so warm!“, meint Ida (11). Im Park gebe es zwar mehr Ablenkung als in der Aula, bilanziert ihre Lehrerin, Schauspielerin Tina Münster-Domke, „aber so viel anders als in der Schule ist es auch nicht“. Dass die Kinder ihrer Meinung nach an diesem Morgen nach zwei Monaten Pause noch etwas „verhalten“ sind, habe wohl andere Ursachen: „Sie wissen noch nicht so recht, wie sie dabei mit den Abständen umgehen sollen“, vermutet Münster-Domke.

Auch das szenische Spielen auf der Wiese ist – genauso wie der Unterricht im Wald – Bestandteil des pädagogischen Konzeptes der GGS Neunkirchen. Schule soll den Kindern dabei als Ort eines begreifbaren Lernens vermittelt werden, sagt Schulleiter Wilhelm. Und gleichzeitig gibt er lachend zu: „Wir sind ein bisschen verrückt!“ So hat die Schule einen eigenen, gelben amerikanischen Schulbus, der die Klassen nicht nur in den Wald, sondern auch zu kulturellen Veranstaltungen oder Ausflügen ins ganze Land bringen kann. Unterrichtet werden die 860 Schüler von insgesamt 70 Lehrern – zusätzlich von 25 pädagogischen Mitarbeitern wie Künstlern, Fotografen, Musikern oder Sportlern.

„Was üblicherweise in den Klassen läuft, ist nicht unsere Vorstellung von Unterricht“, meint Wilhelm. Gerade, weil der soziale Kontakt, die Begegnung und persönliche Beziehung, das kreative Arbeiten in kleinen Gruppen eine besondere Rolle in dieser Schule spiele, habe Corona das Schulleben erschwert. Umso mehr freut es den Leiter, dass nach dem abrupten Schulschluss Mitte März nun wieder Leben ins Gebäude einzieht. „Ich glaube das, was die Kinder vermisst haben, und was die Schule im Kern ausmacht, das ist das Zusammensein, das Erleben“, sagt Wilhelm.

Um dies auch in den langen Wochen des Home-Schoolings irgendwie zu ermöglichen, wurden nicht nur alle digitalen Möglichkeiten ausgeschöpft, sondern gemeinsame Wettbewerbe gestartet – im Fußball genauso wie beim „Nachhaltigkeits-Challenge“ mit Blumensamen. Darüber hinaus hätten die Lehrer mit ihren Schülern und Eltern telefoniert, um nachzufragen, wie das Lernen in Corona-Zeiten läuft. Schon früh richtete die Schule über ihre Sozialarbeiter auch eine Notbetreuung ein für Kinder in besonderen Lernsituationen. „Natürlich haben wir Schüler, die mit dieser Zeit gut klarkamen und ihren Weg gehen werden“, bilanziert Wilhelm. Einige brauchten jedoch die Kontinuität der Schule, die sich wie ein roter Faden durch ihren Alltag ziehe. Für diese Kinder und Jugendlichen gab es die Chance, dreimal in der Woche zur Betreuung in die Schule zu kommen. Auch nach der Rückkehr in den Präsenzunterricht, der reduziert auf vier Stunden, tageweise und im Wechsel mit Unterricht zuhause stattfindet, soll dieses Angebot nicht komplett wegfallen.

 Der Leiter der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen, Clemens Wilhelm

Der Leiter der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen, Clemens Wilhelm

Foto: Katja Sponholz
 Künstlerin Stephanie Laub zeigt Fünftklässlern der „Waldklasse“, wie aus Schafwolle Taschen hergestellt werden können.

Künstlerin Stephanie Laub zeigt Fünftklässlern der „Waldklasse“, wie aus Schafwolle Taschen hergestellt werden können.

Foto: Katja Sponholz

Auf viele liebgewonnene Arbeitsgruppen und Projekte werden Schüler und Lehrer der GGS wegen der Corona-Pandemie allerdings auch in der nächsten Zeit noch verzichten müssen. Das Lernzentrum etwa bleibt aus Sicherheitsgründen vorerst noch geschlossen. Dennoch glaubt Wilhelm, dass man aus den Erfahrungen der Corona-Zeit auch für die Zukunft lernen kann. Weil vielleicht so manchem bewusst geworden sei, wie wichtig Schule, Beziehung und Begegnung sei: „Kinder werden in ihrer Schulzeit geprägt für ihr Leben. Und wir werden die Menschen, durch die Menschen, die uns begleiten“, betont er. Wenn man dies wisse, bedeute es im Umkehrschluss, viel mehr für die Schulen tun zu müssen – nicht nur äußerlich und nicht nur finanziell: „Gerade diese Phase“, ist er überzeugt, „wäre eine Riesen-Chance, mehr in Bildung zu investieren.“

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