Sie packt ihr Schicksal an

Perl · Mareike Jungblut leidet seit ihrer Geburt an einer Bewegungsstörung. Trotzdem ist ihr die Ausbildung zur Bürokauffrau gelungen, heute arbeitet sie in der Seniorengalerie in Perl. Bis dahin war es ein weiter Weg.

 Mareike Jungblut ist stolz und glücklich in ihrem Job. Foto: Reusch

Mareike Jungblut ist stolz und glücklich in ihrem Job. Foto: Reusch

Foto: Reusch

Es dauert eben alles etwas länger. Die Bewegungen, das Sprechen. Sie ist ein wenig aufgeregt, da verhaspelt man sich ja sowieso schon mal. Und dann noch so ein schweres Wort: infantile Cerebralparese. Mareike Jungblut hat eine Behinderung, eine Bewegungsstörung. "Von Geburt an verlangsamt", nennt sie das selbst.

Es gab äußere Widerstände

Ihr Traum war es, Erzieherin zu werden. "Irgendwann hätten die Kinder dann aber gefragt, warum meine Kreise eckig sind." Vor allem Mareikes Feinmotorik ist eingeschränkt, ein gemalter Kreis wird dann eben eckig. Einen runden Kreis hinzubekommen, steht so zwar nicht im Anforderungsprofil einer Erzieherin. Die Arbeit mit Kindern erfordert aber motorische Fähigkeiten, die die 20-jährige Brotdorferin nicht hat. Stattdessen ist Mareike heute Bürokauffrau in der Seniorengalerie Moselpark in Perl . Und macht einen aufrichtig glücklichen Eindruck.

Bis dahin war es freilich ein weiter Weg. Man merkt das der fröhlichen, jungen Frau zwar nicht an. Von außen sehe das bestimmt alles ganz natürlich aus, meint sie auch selbst. Hinter allem, was sie tut, steckt aber Arbeit. Autofahren, telefonieren, lernen, das ist ein großer Aufwand, ein größerer, als ihn vollkommen gesunde Menschen aufbringen müssen. "Was andere in zwei Stunden lernen, lerne ich in sechs", sagt sie. Für den Führerschein hat sie zwei Jahre gebraucht. Trotzdem hat sie alles geschafft: Realschulabschluss, Ausbildung, Job.

Dabei galt es auch, äußere Widerstände zu überwinden. Ab der fünften Klasse hatte sie in der Schule eine Integrationshilfe an der Seite, einen Zivildienstleistenden, der zum Beispiel die Tafelbilder für sie abschrieb. Die Grundschulzeit musste sie jedoch ganz alleine bewältigen, weil die Grundschule nicht wollte, dass im Unterricht ein Dritter dabei sitzt. Mitschüler wollten später nicht verstehen, dass Mareike zusätzliche Hilfe bekam. Als sie sich für einen Ausbildungsplatz bewarb, gab ihr ein potenzieller Arbeitgeber zu verstehen, dass er das nicht wolle, also einen Mitarbeiter mit Behinderung. Da mache man sich natürlich Gedanken, erzählt sie. "Was, wenn der nächste das auch sagt, und der nächste auch?"

Stolz auf ihre Leistung

Sie bekam dann einen Ausbildungsplatz bei der KiTa GmbH Saarland in Dillingen, ergatterte anschließend die Stelle bei der Seniorengalerie in Perl . Das Alten- und Pflegeheim stellt regelmäßig Menschen mit Behinderung ein, derzeit arbeiten derer vier im Unternehmen. Dass Mareike etwas langsamer arbeitet und darauf im Arbeitsalltag Rücksicht genommen werden muss, nimmt die Heimleitung gerne in Kauf. So tickt allerdings längst nicht jeder Arbeitgeber: Ein Unternehmen mit 20 Mitarbeitern muss mindestens einen Kollegen mit Schwerbehinderung beschäftigen, andernfalls muss es eine Ausgleichsabgabe zahlen - und viele zahlen lieber das Geld, als jemanden mit Behinderung anzustellen. "Es kommt auf die soziale Verantwortung an, die ein Arbeitgeber empfindet", sagt Doris Klein, die bei der Arbeitsagentur für die Integration von Menschen mit Behinderung zuständig ist. Und da sei eben jeder verschieden.

Mareike jedenfalls ist angekommen, und ein gewisser Stolz auf ihre Leistung lässt sich nicht verbergen. Das sei auch nicht nötig, sagt ihre Chefin Gabriele Höhl, die Heimleiterin der Seniorengalerie. "Sie hadert nicht mit ihrem Schicksal , sondern packt es an. Das ist unterstützenswert und toll."

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