„Wir sind von Spiel zu Spiel gewachsen“

Breslau/Krakau · Die deutschen Handballer haben sich eindrucksvoll in der europäischen Elite zurückgemeldet. Im ersten EM-Halbfinale seit acht Jahren wartet Norwegen. Nun soll eine Medaille her – und als Bonus die direkte WM-Qualifikation.

Müde, aber mächtig stolz machten sich die deutschen Handballer um 11.15 Uhr auf den Weg nach Krakau. Der rund dreistündige Bus-Trip aus Breslau in den Ort des EM-Halbfinales wirkte gestern Vormittag wie eine wahre Genussfahrt für die Profis von Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Zwei Jahre nach der erstmaligen Abstinenz bei einer EM sind die deutschen Jungspunde mit einem Mal wieder in der europäischen Handball-Elite angekommen. Heute um 18.30 Uhr (live im ZDF ) spielen die Profis um den überragenden Spielmacher Steffen Fäth gegen Norwegen um den Einzug ins EM-Endspiel.

"Wenn man im Halbfinale ist, will man eine Medaille", sagte der Wetzlarer Fäth, der am Vortag beim packenden 25:23 gegen Dänemark als Vorbereiter und sechsfacher Torschütze imponiert hatte. Zuletzt hatte eine deutsche Mannschaft 2008 in Norwegen ein EM-Halbfinale erreicht. Ein weiterer Sieg in den kommenden beiden Spielen würde zudem die direkte Qualifikation für die WM 2017 in Frankreich bedeuten. Die Playoffs vom 10. und 16. Juni könnten Sigurdssons Schützlinge damit umgehen. "Das wäre natürlich ein Traum. Das würde uns helfen, das Thema Regeneration und Planung zu meistern", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning. Sollte Deutschland sogar den Titel holen, wäre das Team auch ohne Umwege bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro dabei.

Während die Spieler immer noch aufgekratzt von ihrem außergewöhnlichen Erfolg von fünf Siegen in Serie schwärmten, quittierte Sigurdsson den Einzug ins Halbfinale mit zumindest äußerlich stoischer Gelassenheit. "Genauso mache ich das. Ich gehe in mich und sage: Super, geil", meinte der Isländer mit einem schelmischen Grinsen. Damit überdeckte der 42-Jährige recht gekonnt seine wahren Gefühle. Denn selbst er hatte den jetzigen Höhenflug der mit 24,6 Jahren jüngsten EM-Mannschaft nicht auf dem Radar. "Ich habe wirklich nicht daran gedacht. Wir haben unglaublich viele gute Mannschaften hinter uns gelassen. Darauf sind wir natürlich sehr stolz", kommentierte er: "Wir sind wie Norwegen: Wir haben das erste Spiel verloren und dann diese Welle erwischt. Wir haben von Spiel zu Spiel gedacht und sind von Spiel zu Spiel gewachsen. Das war nicht planbar."

Beim kommenden Gegner Norwegen war es ähnlich. Vor zwei Jahren noch 14. von 16, sind die Skandinavier eine ebenso große Überraschung wie Deutschland. "Da kommen zwei Märchen zusammen", urteilte Sigurdsson, "die sind sehr ähnlich aufgebaut wie wir. Die haben viele junge Spieler, die hungrig sind."

Tobias Reichmann, der mit seinem 19. von 20 Siebenmetern zum 24:23 (58.) gegen Dänemark den vorentscheidenden Treffer markierte, bewertet die Halbfinal-Ansetzungen Deutschland gegen Norwegen und Spanien gegen Kroatien jedenfalls positiv. "Es ist gut für den Handball, dass nicht immer die üblichen Verdächtigen um die Medaillen spielen", sagte der einzige Auslandsprofi im deutschen Team. Durch seinen polnischen Club KS Vive Kielce kennt er die Tauron Arena in Krakau, erwartet dort ein Spektakel und glaubt an den großen Wurf: "Das wird eine großartige Stimmung dort werden mit 15 000 Zuschauern, die vielleicht doch mehr hinter uns stehen als hinter Norwegen. Wir müssen einfach unser Spiel durchziehen, dann ist alles möglich."

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