Wer wusste was – und wann?

Berlin · Was wussten deutsche Politiker wirklich? Welche Rolle spielte der damalige NOK-Präsident Willi Daume? Nach der Aufregung um die Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik bleiben viele Fragen offen.

Nach dem neuerlichen Wirbel um die dunkle, steuerfinanzierte Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik blieben Sport und Politik überraschend gelassen. Das Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordern unisono die Veröffentlichung des wissenschaftlichen Abschlussberichts, der nach der Überarbeitung durch Datenschützer wohl keine brisanten Namen enthalten dürfte. "Ich habe dieses Projekt initiiert, um Aufklärung zu erreichen und Aufarbeitung zu ermöglichen. Deshalb hoffen wir im DOSB, dass uns der Abschlussbericht baldmöglichst zugeht", sagte DOSB-Präsident Thomas Bach.

Unter Berufung auf Ergebnisse der Arbeit einer Forschergruppe der Berliner Humboldt Universität mit dem Titel "Doping in Deutschland 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation" hatte die "Süddeutsche Zeitung" am Samstag über systematisches Doping in der Bundesrepublik seit Beginn der 1970er-Jahre berichtet. Laut einer Studie seien damals Anabolika an Minderjährige verabreicht worden. Bereits 1988 habe es einen Antrag zur Erforschung der Wirkungsweise des Blutdopingmittels Epo gegeben. Etliche Politiker hätten von Doping gewusst, es zumindest geduldet und die Sportmedizin sogar unter Druck gesetzt, Kritiker seien kaltgestellt worden.

Ex-Innenminister Hans-Dietrich Genscher und der deutsche Topfunktionär Walther Tröger stritten jegliche Mitwisserschaft ab. Genscher, 1972 Innenminister, hielt es für "völlig ausgeschlossen", dass Politiker vor Olympia 1972 in München Doping-Druck auf bundesdeutsche Sportler ausgeübt haben. Auch Tröger, von 1961 bis 1992 Generalsekretär im Nationalen Olympischen Komitee (NOK) und damit rechte Hand des NOK-Präsidenten Willi Daume, wies die Vorwürfe zurück. Das Doping-System der Bundesrepublik sei mit dem der ehemaligen DDR nicht vergleichbar, sagte er.

Im Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das seit Gründung 1970 dem Bundesinnenministerium (BMI) untersteht, seien laut der "Süddeutsche Zeitung" "jahrzehntelang die Fäden für umfangreiche Tests mit zahlreichen leistungsfördernden Substanzen" zusammengelaufen - von Anabolika, über Testosteron und Östrogen bis hin zum Blutdopingmittel Epo. Dies sei der Studie zufolge "nicht als Reaktion auf das Staatsdoping der DDR, sondern aus eigenem Antrieb" geschehen. Mindestens 516 Forschungsvorhaben wurden aufgelistet. Obwohl die wissenschaftliche Arbeit viele alte Erkenntnisse wiederholt, zeichnet sie ein Sittenbild der einstigen Seilschaften aus Politik, Sport und Wissenschaft im Westen Deutschlands. Bereits vor zwei Jahren hatten die Wissenschaftler unter Leitung von Professor Giselher Spitzer von "staatlich subventionierten Anabolika-Forschungen" in der Bundesrepublik gesprochen. Diese seien nach 1970 an der Uni Freiburg beim umstrittenen Sportmediziner Joseph Keul "konzentriert" worden.

Der Abschlussbericht der vom DOSB 2008 initiierten und vom BISp mit 525 000 Euro bezuschussten Arbeit ist noch nicht veröffentlicht. Bislang hatten beide Organisationen Datenschutzbedenken als Grund genannt. Diese seien jetzt ausgeräumt, "so dass einer Veröffentlichung insoweit nichts mehr im Weg steht", so das BMI. Die Wissenschaftler wiederum befürchten bei einer Veröffentlichung ihrer Studie Klagen und fordern Rechtsschutz von ihrem Auftraggeber - schließlich werden einige noch Aktive schwer belastet.

Zahlreiche Drahtzieher der großen westdeutschen Olympia-Erfolge scheinen eine späte Entlarvung als Falschspieler zu befürchten. "Man darf keine Liste wie auf den Steuer-CDs erwarten oder dass Olympia-Helden massenhaft des Dopings bezichtigt werden. Viele Sportler und Funktionäre sind schon tot, da tut man sich natürlich leichter", sagte der Pharmakologe Fritz Sörgel nach Studium des 800-Seiten-Berichts. Genau diese Namen wollen Spitzenfunktionäre wie Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, wissen. Im Zuge der Transparenz müssten "die Namen veröffentlicht werden, insbesondere von Personen, die noch einen Posten im Sport bekleiden", sagte Prokop.

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