Dopingrepublik Deutschland

Berlin · Der Druck der Öffentlichkeit hat gewirkt: Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft hat am Montagnachmittag die brisante Studie zum Doping in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht.

Die Geheimniskrämerei um die lange unter Verschluss gehaltene Studie zum Doping in der Bundesrepublik Deutschland hat ein Ende. Auf Druck der Öffentlichkeit ist gestern Nachmittag der brisante Abschlussbericht auf der Internetseite des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) publiziert worden. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Initiator des Projektes und das BISp hatten eine Verzögerung der Veröffentlichung des Abschlussberichts mit Datenschutzbedenken begründet.

"Die vielfach formulierte These, das Dopingproblem in der Bundesrepublik sei erst mit dem Konsum von Anabolika in den 1960er Jahren offen zutage getreten, lässt sich eindrucksvoll widerlegen", heißt es in dem 117-seitigen inhaltlichen Abschlussbericht der Berliner Humboldt-Universität. Die Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik beginne demnach nicht erst 1970, sondern bereits 1949. Bis 1960 seien im deutschen Sport Amphetamine "systematisch zum Einsatz gekommen". Auch die Elite des deutschen Fußballs hätte Amphetamine genommen.

Meistens ohne klare Namensnennung wird auch die Mitwisserschaft von damaligen Verantwortlichen im Sport angeprangert. "Es stellt sich mithin die Frage, wie ernsthaft Verantwortliche in der deutschen Sportlandschaft den Kampf gegen das Doping tatsächlich betrieben haben", hieß es. "Nach den Projektergebnissen zu urteilen, erscheint dies zweifelhaft." So sei zum Beispiel der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in der Anabolika-Frage in mindestens zwei Lager zerfallen. "Während die damals beteiligten Sportmediziner (Steinbach, Mellerowicz) sich gegen den Anabolika-Einsatz aussprachen, hatte DLV-Präsident Max Danz, ebenfalls ein Mediziner, gegen die Anwendung nichts einzuwenden. Seiner Aussage nach habe er sich selbst regelmäßig diese Präparate verschrieben - unklar blieb, an wen: Gesunde Olympiakader? Kranke, Verletzte?"

"Erschütternd, wie damals um Gold gekämpft wurde. Diese abstrakten Hybridwesen und deren Leistungen haben für mich keine Bedeutung. Wichtig ist, dass es heute nicht nur durch mich möglich ist, annähernd die alten Leistungen zu bezwingen - sauber!", sagte der deutsche Diskus-Olympiasieger Robert Harting.

Fast zeitgleich zu den Enthüllungen der dunklen Doping-Vergangenheit in der Bundesrepublik haben sich frühere DDR-Doping-Opfer für die Gründung eines Fonds für geschädigte Athleten aus dem Westen ausgesprochen. "Wenn es Geschädigte im Westen gibt, muss man Ost und West zusammen denken", sagte Ines Geipel, Vorsitzende des Dopingopfer Hilfevereins DOH. Die 53-Jährige hatte schon zur Einrichtung eines Fonds für DDR-Dopinggeschädigte beigetragen. Geipel ist "heilfroh", dass die Dopingstudie vorliegt. "Endlich werden die Fragen an den Sport erneuert", meinte sie und fügte mit Blick auf die Doping-Praktiken in Ost und West hinzu: "Die Einheit hat es bereits Anfang der 70er-Jahre gegeben."

DOH-Vorstandsmitglied Uwe Trömer, selbst ein anerkanntes DDR-Doping-Opfer, appellierte an die Sportler, deren Gesundheit wegen Dopingmissbrauchs Schaden genommen hat: "Meldet euch bei uns! Geht an die Öffentlichkeit." Zudem forderte er ehemalige Westsportler auf, "reinen Tisch" zu machen. Nach der Veröffentlichung über die Doping-Praktiken in der Bundesrepublik "muss die Sportgeschichte Ost und West neu geschrieben werden".

Der ehemalige DDR-Weltklasse-Hochspringer Rolf Beilschmidt forderte mehr Transparenz in der Aufarbeitung. "Mich überrascht das nicht. Unter uns DDR-Athleten war bekannt, dass auch im Westen gedopt wurde", bemerkte der heutige Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Thüringen. "In der Aufarbeitung wurde nach der Wende lange mit zweierlei Maß gemessen."

Dagegen ist für Heide Ecker-Rosendahl, Doppel-Olympiasiegerin von 1972, die Doping-Enthüllung überraschend. "Ich habe nie von systematischem Doping in meiner Zeit gehört", sagte sie. "Man hat munkeln gehört, dass es irgendetwas gibt, aber wenn man etwas nicht weiß, heißt es ja nicht, dass es das nicht gegeben hat. Ich habe 1972 aufgehört, und danach hat man sich häufiger gefragt, ob die irgendetwas mit Mitteln machen, die nicht erlaubt sind", sagte Ecker-Rosendahl.

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