Siegeszug der Parteilosen

Saarbrücken · Noch nie seit Einführung der Direktwahl 1994 hat es so viele parteilose und von CDU und SPD unabhängige Bürgermeister gegeben. Die Wähler sehnen sich in den Gemeinden nach Sacharbeit statt Parteipolitik.

 Sensationell gewann der parteilose Klauspeter Brill im Mai die Bürgermeisterwahl in Lebach. Foto: Seeber

Sensationell gewann der parteilose Klauspeter Brill im Mai die Bürgermeisterwahl in Lebach. Foto: Seeber

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Dass Lebach eines Tages mal keinen CDU-Bürgermeister mehr haben könnte, dazu war über Jahre hinweg viel Vorstellungskraft erforderlich. Noch mehr Fantasie verlangte allerdings der Gedanke daran, dass ein parteiloser Kandidat diese schwarze Vorherrschaft brechen könnte. Vor einer Woche nun stach der unabhängige Kandidat Klauspeter Brill in der Stichwahl den CDU-Bewerber Rainer Fries mit 74 zu 26 Prozent aus. Die Wahl des 43 Jahre alten Elektroingenieurs aus der IT-Branche ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die immer mehr parteilose oder jedenfalls von CDU und SPD unabhängige Kandidaten als Bürgermeister in die Rathäuser bringt.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil im Saarland die Volksparteien die Kommunalpolitik bisher stets dominierten. Während freie Wählergruppen beispielsweise in baden-württembergischen und bayerischen Gemeinden stärkste Kraft sind, spielen sie im Saarland kaum eine Rolle. "In Baden-Württemberg werden in erheblichem Umfang parteilose Kandidaten gewählt, weil die Bürger überzeugt sind, dass sie Kommunalpolitik als Sachpolitik und nicht als Parteipolitik betreiben", sagt der Trierer Politikwissenschaftler und Kommunal-Experte Professor Wolfgang Lorig. In der Wahl parteiloser Kandidaten drückt sich mithin der Wählerwunsch aus, dass die Parteien in den Stadt- und Gemeinderäten stärker zusammenarbeiten mögen - mit einem Verwaltungschef, der gewissermaßen über den Parteien steht. Brill bestätigt diese These: Er sagt, er habe gewonnen, weil die etablierten Parteien gute Ideen nicht umgesetzt hätten, nur weil sie vom politischen Gegner gekommen seien.

Nirgendwo wird die seit Jahrzehnten nachlassende Wählerbindung zu den großen Parteien so deutlich wie in den Kommunen. Noch vor einem guten Jahr konnte sich kaum jemand vorstellen, dass Ottweiler eines Tages einmal von einem CDU-Bürgermeister regiert würde. Umgekehrt gilt das auch für einstige Unions-Hochburgen wie Perl oder Eppelborn, wo heute SPD-Bürgermeister regieren. Dass sich Wähler heutzutage mehr von Personen und Themen als von familiären Wahltraditionen leiten lassen, nutzt auch parteilosen Kandidaten. Damit ein Parteiloser gewählt wird, müssen aber mehrere lokale Faktoren zusammentreffen: Er muss bekannt, bodenständig und charismatisch sein - und den Kandidaten der etablierten Parteien muss es an diesen Eigenschaften mangeln. Das zeigen etwa die zurückliegenden Wahlen in Nalbach, St. Ingbert und vor einer Woche in Lebach.

Der Illinger Bürgermeister Armin König (CDU) macht für die Schlappen seiner Partei bei zurückliegenden Bürgermeisterwahlen auch die Qualität der eigenen Kandidaten verantwortlich. Die Verbände der Partei neigten zu "unprofessionellen Auswahlmethoden", erklärte er. Wer gewinnen wolle, müsse "jung genug sein, um Perspektiven zu bieten, frische Ideen haben, darf nicht im politischen Klein-Klein-Klüngel verhaftet sein und muss gut vernetzt und kommunikativ sein. Reine Verwalter haben keine Chance mehr. Die Menschen wählen auch niemanden, von dem sie den Eindruck haben, dass er zum Abschluss seiner Karriere ein Gnadenbrot im Rathaus erhalten soll". König fordert "ein Coaching-System für junge Frauen und Männer mit Perspektive".

Dem hält CDU-Generalsekretär Roland Theis entgegen, eine langfristige Planung des personellen Nachwuchses könne nicht der einzig richtige Weg sein. Menschen ohne langjährige politische Erfahrung könnten stattdessen Kompetenzen und Qualitäten in anderen Bereichen mitbringen, die sie etwa für ein Bürgermeisteramt befähigen. Das belegten Beispiele wie der Erfolg von Holger Schäfer, eines früheren Bundeswehr-Offiziers, bei der Wahl in Ottweiler. "Und das unterstreicht gerade auch die Tatsache, dass in Lebach ein völliger Quereinsteiger die meiste Unterstützung gefunden hat, der in keiner Weise der etablierten Parteienlandschaft zuzurechnen ist."

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