Portrait „Ich habe meinen Auftrag ernst genommen“

Saarlouis · Jetzt ist er 60: Der Saarlouiser Grünen-Politiker Hubert Ulrich bilanziert 30 Jahre kommunalpolitisches Leben.

Hubert Ulrich nach seinem Rücktritt im Jahr 1999.

Hubert Ulrich nach seinem Rücktritt im Jahr 1999.

Foto: B&B

Hubert danach. Als Treffpunkt schlägt er ein Café in der Saarlouiser Altstadt vor, das „Auszeit“ heißt. Hubert Ulrich, ein gutes halbes Jahr nach seinem Ausstieg als Langzeit-Landesvorsitzender der Grünen, gerade feierte er 60. Geburtstag. Stadtverbandsvorsitzender der Grünen in Saarlouis ist er noch, das Mandat im Stadtrat hat er auch noch.

Hubert Ulrich redet im „Auszeit“ ungewohnt entspannt, und es irritiert, dass sein Handy nicht dauernd klingelt, wie man das seit ewigen Zeiten kannte.

Würde man jetzt nicht mit ihm reden sondern über ihn, würde jeder nur von „Hubert“ reden, gesprochen mit zwei B, „Hubbert“. Und man würde zuerst reden vom „System Hubert“. Machterhalt im Kleinen, Durchsetzen um jeden Preis.

Von einem „System Ulrich“ weiß Hubert Ulrich nichts. Dass er viel versprechende Talente weggebissen haben soll? „Das ist Quatsch. Im Gegenteil.“ Hinter den Vorwürfen stecke „Dämonisierung“. Und „selbsterfüllende Prophezeiung.“ Weil es irgendwo geschrieben stand, meine man, es genau so auch zu erleben.

Vor genau 30 Jahren begann die Karriere des Hubert Ulrich als Kommunalpolitiker. Auch seine Gegner müssen anerkennen, dass er ein sehr erfolgreicher Kommunalpolitiker ist.

Der Musterfall war gleich 1987. Ulrich war gerade Grünen-Kreisvorsitzender geworden, in Saarlouis trat die rot-grüne Stadtratskoalition an. Ulrich war im KOMM-Verein engagiert, der ein Jugendzentrum betrieb. 1989 bekam es einen Vertrag mit der Stadt. Wenig später aber wollte die Stadt den Vertrag wegen Baufälligkeit der Immobilie Alter Betriebshof kündigen. Ulrich mobilisierte erstmals, wie er es von da an immer tat. „Hammerhart“ findet er das Verhalten der Stadt bis heute.

Damals überzeugte er, so berichtet er, viele Mitglieder des KOMM-Vereins, den Grünen beizutreten. Das trug bei zu einer Machtbasis der Grünen und 1992 zu einem neuen KOMM-Vertrag. Der Saarlouiser Ortsverband der Grünen war in den 80ern mit über 600 Mitgliedern der größte in Deutschland; heute sind es noch deutlich über 300, immer noch viele.

Mehrheitsbeschaffung wurde das Kennzeichen von Hubert Ulrich, manchmal auch robust. „Ich habe meinen Auftrag als Parteivorsitzender ernst genommen“, sagt er dazu. Von Anfang an sei er „Realo“ gewesen, eben kein „Fundi“. Es habe immer Leute in der Partei gegeben, „die nur geredet haben, die konnten die Welt wunderbar erklären, haben aber nichts auf die Reihe gekriegt. Und ich will nun mal gestalten.“

Alles für die Partei gegeben? Ulrich denkt lange nach. „Mir ist die Sache wichtig. Darum geht es mir.“

1993/1994 mobilisierten Hubert Ulrich und die Grünen massiv gegen den geplanten Bau eines Absinkweihers der RAG, dem der Fraulauterner Wald zum Opfer gefallen wäre. Ohne den geballten Protest der Bürger wäre Widerstand gegen ein Bergbau-Vorhaben politisch und rechtlich kaum durchsetzbar gewesen. Aber die Saarlouiser waren alarmiert – vor allem, weil Hubert Ulrich bis zur Erschöpfung von Haus zu Haus ging und an jede Tür klopfte. Natürlich nicht allein, „immer im Team, aber den Anstoß habe ich gegeben, hier wie auch bei vielen anderen Aktionen“.

Da waren zum Beispiel die rund 8000 Unterschriften gegen die Schließung des Freibades im Stadtgarten. Das Bad wurde trotzdem geschlossen. Und da waren ab 2007 die heftigen Auseinandersetzungen um den Plan der RAG, in Ensdorf ein Großkraftwerk zu bauen. Auch da, so bescheinigte ihm kürzlich sein Nachfolger als Landesvorsitzender, Markus Tressel, sei er „mit treibende Kraft“ gewesen. Das Kraftwerk wurde nicht gebaut.

Und ganz sicher war er es, der 2009 eine rot-rot-grüne Koalition im Saarland verhindert hat. Zu SPD-Chef Heiko Maas habe er bis heute „gar kein Verhältnis“. Von Linken-Chef Oskar Lafontaine habe er „ohnehin nie was gehalten“, sagt er heute noch.

So kam es zur ersten Jamaika-Regierung in einem Bundesland und letztlich zu Annegret Kramp-Karrenbauer als Ministerpräsidentin.Damals, 2009, habe es so richtig angefangen mit seiner „Dämonisierung“, sagt Ulrich. Doch die ist sicher älter. Spätestens 1999 begann, was er so nennt, und zwar mit der Dienstwagenaffäre. Vorgeworfen wurde ihm, er habe Autos mit dem üblichen Rabatt für Fraktionen gekauft und dann verkauft. Der Staatsanwalt ermittelte, und zwar ziemlich lang.

Ulrich trat als Landesvorsitzender zurück, „ein Fehler aus heutiger Sicht“. Die Ermittlungen – nach Ulrichs Ansicht aus politischer Absicht so lange hingezogen – wurden eingestellt, der Staatsanwalt fand nichts Strafbares. „Das Ganze sollte mich als Person diffamieren, das war alles ohne Substanz.“

Was keiner erwartet hatte: Ulrich wurde 2001 wieder Landesvorsitzender und blieb es bis 2017. Und 2002 trat er zum Erstaunen vieler erneut als Spitzenkandidat an, wurde in den Bundestag gewählt.

Heute bekennt er sich ohne Zögern zur aktiven Mehrheitsbeschaffung, so funktioniere Demokratie nunmal. „Ich habe Demokratie auf allen Ebenen kennen gelernt. Ich kenne die Mechanismen der Mehrheitsbeschaffung in der Politik. Ich schätze die Durchlässigkeit der Demokratie. Wer sich hier engagiert, kann auch etwas bewegen.“ Bewegen heiße oft „gegensteuern“.

Hubert Ulrich wuchs in einem sozialen Brennpunkt in Saarlouis auf. Besonders geprägt habe ihn das aber nicht, sagt er heute. Aber er spricht ohnehin nicht gern über sich ganz persönlich. Lässt sich nicht in die privaten Karten schauen.

Nach der Hauptschule, die er mit 14 verließ, folgten eine Lehre als Werkzeugmacher bei Ford (1973 bis 1976), zwei weitere Jahre als Qualitätsinspektor. Er sattelte auf dem zweiten Bildungsweg die Mittlere Reife und das Fachabi drauf. Begann in Aachen Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren. Wechselte nach Saarbrücken, um an der HTW als Diplom-Wirtschaftsingenieur abzuschließen.

„Das Studium habe ich immer selbst finanziert“, berichtet er. Und schiebt ein, wie wichtig ihm die Abschaffung der Studiengebühren durch Saar-Jamaika war. Er stand hinter verschiedenen Saarlouiser Tresen, im „Mex“ oder im „Humpen“ in der Altstadt.

Im „Mex“ lernte er auch Gabriel Mahren kennen. Das Duo agierte über die Jahrzehnte als das, was man in der Polit-Szene die Saarlouiser Grünen mit ihrem Einfluss auf die Szene im Saarland nennt. „Gabriel war immer mein Berater“, sagt Ulrich heute. Doch es war mehr: Es war diese Kombination aus robustem Mandat bei Hubert Ulrich und dem bei Freund und Feind geachteten rhetorischen Florett-Fechter und Hintergrund-Diplomaten Gabriel Mahren.

Hubert Ulrich ist ein Kind der Protestbewegung der 70er und der 80er: „Gegen Cattenom, Startbahn West, Dritte-Welt-Arbeit, gegen Volkszählung. Ich kam aus der Sponti-Bewegung in die Politik“, nennt er es. Als „Aktivist im besten Sinne des Wortes“ bezeichnete ihn kürzlich Nachfolger Markus Tressel.

1982 trat Ulrich den Grünen Saarlouis bei. 1985 betrieb er die Gründung der bis heute bestehenden Städtepartnerschaft mit Matiguas in Nicaragua. 1987 war er ganz vorne dabei bei „MAUS“. Das heißt „Messen für Aktiven Umweltschutz“, heute basiert in Trier. Dazu wurden Mess-Stationen rund um das Atomkraftwerk Cattenom aufgestellt, die bis heute Daten liefern.

Hubert Ulrich ist nun Privatier in Beaumarais. Er bekommt das so genannte Übergangsgeld, später das Altersruhegeld. Er kann sich, sagt er, nun mehr um seine Kinder kümmern. Zwei Töchter studieren, ein Töchterchen und ein Sohn gehen noch zur Schule. Er kann seinen Hobbys nachgehen, „Geschichte und Astrophysik“.

Und er braucht jetzt täglich Zeit für Sport. Das Einzige, was gegen die Schmerzen helfe, sagt er, die ihm eine lebenslange Schiefstellung der Hüfte bereitet. Auch das gehört zu diesem Politiker: Wie er sich zum Schrecken nicht Eingeweihter in Sitzungen wegen großer Schmerzen, die man ihm ansieht, plötzlich auf den Boden legt und dann nach ein paar Minuten entspannter wieder aufsteht.

Grünen-Politiker Hubert Ulrich nach dem Ausstieg aus der Parteiführung: Im HIntergrund das Kraftwerk Ensdorf, Ort heftiger Auseinandersetzungen.

Grünen-Politiker Hubert Ulrich nach dem Ausstieg aus der Parteiführung: Im HIntergrund das Kraftwerk Ensdorf, Ort heftiger Auseinandersetzungen.

Foto: Thomas Seeber

Auszeit heißt das Café, in dem er darüber spricht. Nach einer Auszeit geht es bekanntlich wieder weiter. Auch für Hubert Ulrich? Dazu mag er derzeit nichts sagen.

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