„Bilder ziehen uns heute noch in den Bann“

Saarlouis · Die saarländische Variante des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelt sich in Meister-Fotos des Fotografen Paul Hartmann. Gut 200 dieser Fotos haben Paul Burgard, Mitarbeiter des Landesarchivs, und Hartmann-Tochter Gabi Hartmann jetzt zum Buch „Wirtschaftswunder – Das Saarland in der Warenwelt (1949 – 1964) zusammengestellt. Mit Burgard sprach darüber SZ-Redakteur Johannes Werres.

 Der Buchautor Paul Burgard Foto: Barbara Scherer

Der Buchautor Paul Burgard Foto: Barbara Scherer

Foto: Barbara Scherer

Herr Dr. Burgard, wie hat Paul Hartmann seine Fotomotive selbst erlebt? Auch als Wirtschaftswunder , wie wir die Zeit heute nennen?

Burgard: Was man den Bildern anmerkt, und worüber auch seine Kinder noch heute zu erzählen wissen, das ist die Akribie, die hohe fotografische Professionalität, die Liebe zum Detail, mit der er zu Werke ging. Ob er ein kunstvoll arrangiertes Schaufenster oder nur einen sehr prosaischen Küchenstuhl zu fotografieren hatte, immer verstand er es, seine Objekte so zu inszenieren, dass sie, obwohl doch eigentlich tote Materie, lebendig wirkten, Strahlkraft bekamen. Deswegen ziehen uns diese Bilder auch heute noch so sehr in ihren Bann. Ob Hartmann selbst seine Arbeit als eine Ablichtung eines Wirtschaftswunders empfand, ist die Frage. Das Wirtschaftswunder entstand als Begriff ja erst 1955, und jenseits der glänzenden Geschäfts- und Produktwelt lag damals auch in saarländischen Städten ja noch sehr viel in Trümmern. Gleichwohl: Wer so intensiv wie Hartmann mit den Neuerungen der Unternehmenswelt konfrontiert wurde, dürfte auch für das Wirtschaftswunder ein besseres Sensorium entwickelt haben als andere Zeitgenossen.

Jedes Foto in dem Buch ist exakt beschrieben. War dazu viel Recherche nötig?

Burgard: In der Tat war diese Recherche sehr viel zeit- und arbeitsaufwändiger, manchmal auch viel spröder, als ich das von vielen anderen Publikationen her kannte. Man muss sich hier mit Dingen und Zusammenhängen beschäftigen, zu denen einem oft sogar das gewissermaßen alltägliche Basiswissen fehlt. Zwar hat Hartmann in seinen Fotobüchern immer recht akribisch Ort und Art der Aufnahme sowie seinen Auftraggeber notiert. Aber was machen Sie mit abgebildeten Gegenständen, von denen Sie nicht mal wissen, was sie eigentlich darstellen, was lässt sich über die längst nicht mehr existierenden Hersteller von französischen Zigarettenautomaten oder Plastikrührgeräten herausfinden? Ich musste oft ziemlich weite Wege für die Beantwortung solcher Fragen zurücklegen.

Die meisten Fotos in dem Buch entstanden in Saarbrücken. Hat Paul Hartmann nur dort fotografiert?

Burgard: Nein, natürlich hat Hartmann über den Tellerrand seiner Heimatstadt hinausgeblickt. Auch in Saarlouis, wo er beispielsweise Aufnahmen in der Zündholz- und Zigarettenfabrik machte. Aber in der Hauptsache, da haben Sie recht, hat er sich in der Landeshauptstadt betätigt, was nicht nur deswegen naheliegend war, weil er hier seine Firma hatte, sondern weil er als der saarländische Industriefotograf der 1950er Jahre hier auch die meisten Kunden fand. Gleichwohl repräsentieren Hartmanns Unternehmens- und Produktfotografien natürlich nicht nur das Saarbrücker Wirtschaftswunder , sie sind repräsentativ für die gesamte Entwicklung im damaligen Saarland.

Welchen Anteil an diesem Buch hat die Tochter, Gabi Hartmann?

Burgard: Gabi Hartmann war von Anfang an die treibende Kraft hinter dem Projekt der Publizierung des fotografischen Nachlasses von Paul Hartmann, schon beim ersten, vor drei Jahren erschienenen Band "Aufbruch". Dass die saarländische Öffentlichkeit diese wunderbaren Bilder nun seit ein paar Jahren neu entdecken darf, das ist nicht zuletzt ihr und ihren umtriebigen Herausgeber-Aktivitäten zu verdanken.

Ilka Desgranges, Saarbrücker Zeitung, stellt das Buch am heutigen Freitag, 4. November, ab 19.30 Uhr in der Saarlouiser Buchhandlung Bock und Seip vor. Der Eintritt ist frei.

Zum Thema:

Auf einen Blick Paul Hartmann wurde 1909 als Sohn des Hoffotografen Georg Hartmann geboren. 1946 Gesellenprüfung als Fotograf, 1948 Eintritt ins elterliche Geschäft in Saarbrücken; ein Schwerpunkt Industrie und Werbefotografie. Hartmann starb 1971. Sein Nachlass, rund 60 000 Fotos, wird im Saarländischen Landesarchiv aufgearbeitet. Paul Burgard und Gabi Hartmann (Hg.): Paul Hartmann - Wirtschaftswunder . Das Saarland in der Warenwelt (1949 - 1964), Geistkirch Verlag, 37,80 Euro. we

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort