Noch kein Mittel gegen das Koma-Saufen

Saarbrücken. Saufen, bis der Notarzt kommt. Ein flapsiger Partyspruch mit ernstem Hintergrund: Der Trend zum Alkoholkonsum bis zur Bewusstlosigkeit, dem Koma-Saufen, scheint bei Kindern und Jugendlichen ungebrochen. Zwar kann das Statistische Landesamt erst Anfang Februar mit neuen Zahlen aufwarten

Saarbrücken. Saufen, bis der Notarzt kommt. Ein flapsiger Partyspruch mit ernstem Hintergrund: Der Trend zum Alkoholkonsum bis zur Bewusstlosigkeit, dem Koma-Saufen, scheint bei Kindern und Jugendlichen ungebrochen. Zwar kann das Statistische Landesamt erst Anfang Februar mit neuen Zahlen aufwarten. Doch Markus Zimmermann, Suchtbeauftragter der Landesregierung, erwartet keinen deutlichen Rückgang. Am Schreibtisch seines Büros im Institut für präventives Handeln in St. Ingbert sitzend, blättert er in Unterlagen und zeigt Grafiken mit mehr oder weniger stark nach oben verlaufenden Kurven. "Das sind die Fallzahlen der Jahre 2000 bis 2008", erklärt Zimmermann, "jede Farbe beschreibt eine Altersgruppe". Beispielsweise sind die Zehn- bis 13-Jährigen dunkelblau. Aus dieser Altersgruppe wurden 2008 elf Mädchen und 22 Jungen wegen Alkoholvergiftung behandelt - dahinter verbergen sich dramatische Erlebnisse.So etwa die Geschichte eines Jungen aus Neunkirchen, der sich mit 13 Jahren in Windeln gewickelt im Krankenhaus wiederfand. Nach einem Vollrausch, den er sich mit diversen Spirituosen und Absinth angetrunken hatte. "Für manche ist es ein heilsamer Schock, wenn sie merken, dass sie die Kontrolle über ihre Körperfunktionen verloren hatten", erzählt Ute Müller-Biehl vom Neunkircher Caritas-Beratungszentrum "Die Brigg". Die Sozialarbeiterin kämpft an der Front gegen Alkoholmissbrauch. "Die Brigg" ist Teil des Bundes-Modellprojekts "HaLT - Hart am Limit", ein von verschiedenen Gruppen und Institutionen unterstütztes Konzept zur Sucht-Prävention. "Wir wollen Alkohol nicht verteufeln, er ist Bestandteil unserer Kultur", sagt sie. Aber es sollte ein maßvoller Umgang sein. "Der Trend ist jedoch ein anderer." Zwar sei der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch des Nervengiftes leicht rückläufig (derzeit 9,9 Liter), "aber es wird immer früher und immer härter getrunken". Gerade auch von Mädchen. "Die mögen kein Bier und trinken stattdessen Mixgetränke, Sekt und Cocktails", berichtet Müller-Biehl. Das bestätigt der Suchtbeauftragte: "Das Trinkverhalten von Jungen und Mädchen gleicht sich an." Über die Gründe kann Zimmermann nur spekulieren. Eine Ursache sei sicherlich das Internet, "wo man montags auf den Party-Bildern sehen kann, wie toll man sich am Wochenende die Kante gegeben hat". Auch macht er eine allzu liberale Haltung der Gesellschaft beim Thema "Jugend und Alkohol" aus. "Und dann ist da natürlich noch das Elternhaus", sagt Zimmermann.

Es sei keineswegs so, dass jugendliche Problem-Trinker zwangsläufig aus prekären Verhältnissen stammten. "Die kommen aus allen Gesellschaftsschichten", erklärt Müller-Biehl. Zu 71 Kindern und Jugendlichen mit auffälligem Trinkverhalten aus dem Raum Neunkirchen hat sie seit dem Jahr 2008 Kontakt aufgenommen, etwa 50 nahmen ihr Gesprächsangebot an. "Wird ein Jugendlicher mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert, bittet das Klinikpersonal die Eltern, sie von der Schweigepflicht zu entbinden. Stimmen sie zu, werden wir informiert". Doch diese Hilfe nimmt nicht jeder an: 13 Eltern lehnten das Gesprächsangebot ab. Oft aus Scham, "was völlig falsch ist. Ein Alkohol-Problem geht man besser früher als später an", sagt Müller-Biehl. Zimmermann sieht das genau so: "Zu früh gibt es nicht." Zudem rät er Eltern, die beim Nachwuchs ein problematisches Trinkverhalten feststellen: "Niemals aus dem Gespräch mit dem Kind aussteigen oder die Konfrontation vermeiden. Das wird sonst als Desinteresse ausgelegt." Es gibt viele Institute, die beim Sprung aus dem Teufelskreis Alkohol helfen. "Etwa hat jeder Landkreis eine Suchtberatungsstelle, bei der man sich anonym Hilfe holen kann", erklärt Zimmermann. "Es wird immer früher und immer härter getrunken."

Ute Müller-Biehl

Hintergrund

Wird ein Koma-Trinker wegen akuter Alkoholvergiftung medizinisch versorgt, fließt das in eine Statistik ein, welche die Verwaltung der behandelnden Klinik anonymisiert ans Statistische Landesamt weiterleitet. Im Saarland wurden 2008 rund 450 Kinder und Jugendliche wegen eines Vollrauschs stationär behandelt. Das waren 18 Prozent mehr als 2007 und doppelt so viele wie 2000. Besorgniserregend: Die Opfer werden immer jünger - insgesamt 77 Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis 15 Jahren erlitten 2008 im Saarland eine Alkoholvergiftung. tog

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