Landesparteitag in Völklingen Ein beschwerlicher Neuanfang der Linken

Völklingen · Der neue Landesvorsitzende Jochen Flackus will die Partei einen. Doch die Gräben zwischen den beiden Lagern sind immer noch tief.

 Astrid Schramm gratuliert ihrem Nachfolger als Landesvorsitzender der Linken, Jochen Flackus. Zuvor rechnete sie mit ihren Gegnern Thomas Lutze und Andreas Neumann ab.

Astrid Schramm gratuliert ihrem Nachfolger als Landesvorsitzender der Linken, Jochen Flackus. Zuvor rechnete sie mit ihren Gegnern Thomas Lutze und Andreas Neumann ab.

Foto: BeckerBredel

Selbst führende Genossen können vieles, was in der saarländischen Linken abläuft, nur noch mit Galgenhumor ertragen. Und so fragt einer von ihnen vor Beginn des Parteitages in der Völklinger Hans-Netzer-Halle den Reporter: „Haben Sie genügend Popcorn dabei?“ Die folgenden Stunden, das muss man der Partei lassen, sind ebenso unterhaltsam wie ein Kinofilm. Einer über zerrüttete Familienverhältnisse und den Versuch, sich zusammenzuraufen.

Der erste Höhepunkt ist der Auftritt von Astrid Schramm. Die Landesvorsitzende tritt nicht mehr an, weil sie mit ihren Rivalen Thomas Lutze (Bundestagsabgeordneter und Schatzmeister) und Andreas Neumann (Landesgeschäftsführer) nicht länger zusammenarbeiten will.

Vor dem Abtritt kommt erst die Abrechnung. Schramm ist nervös, sie klammert sich an ihr Manuskript. Der Landesverband befinde sich „wohl in der größten Krise seines Bestehens“, sagt sie. Schramm greift Neumann und Lutze frontal an, sie wird dafür stellenweise niedergebrüllt. Haarklein schildert sie den Prozess der Zerrüttung. „Der Umgang und der Umgangston in diesem Vorstand sind inzwischen nur noch unterirdisch.“ Es geht vor allem um die Mitgliederdatenbank. Die, sagt Schramm, sei in einem katastrophalen Zustand. „Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob wirklich alle, die in dieser Mitgliederdatenbank geführt sind, tatsächlich und wissentlich Mitglieder unserer Partei sind.“ Die Vorwürfe, dass Lutze und Neumann die Aufstellung der Liste für die Bundestagswahl manipuliert haben, müssten aufgeklärt werden, „dann muss es Konsequenzen geben“, so Schramm.

In der Tat gibt es Fragen. Fast ein Drittel der 2500 Mitglieder zahlt keinen Beitrag. Weil diese Menschen nur als Stimmvieh in die Partei geschleust wurden? Die Finanzrevisionskommission empfiehlt auch deshalb, den alten Landesvorstand nicht zu entlasten (was die 150 Delegierten dann aber doch tun). Schramm spricht von einer „Bankrotterklärung für diesen Schatzmeister und für seine Unterstützer“. Lutze räumt ein, die vielen säumigen Mitglieder seien ein Defizit, das der neue Vorstand in Angriff nehmen müsse. Er sei aber dagegen, in Wahlkampfzeiten Mahnungen zu verschicken. Im Übrigen wolle er sich nicht an Diskussionen „unter der Gürtellinie“ beteiligen.

Viele Delegierte sind ratlos. „Ich weiß nicht mehr, wer Recht hat, wer die Wahrheit sagt“, sagt Marilyn Heib. Lothar Schnitzler ruft: „Hört auf mit dem Krawall, ich hab’s satt!“ Eine Delegierte fordert ein Machtwort von Oskar Lafontaine. Doch der ist nicht da, der 74-Jährige tut sich das alles nicht mehr an.

Den interessantesten Redebeitrag liefert Bernhard Haupert, ein einfaches Mitglied aus Illingen, das sich auf Nachfrage als Soziologie-Professor mit jahrzehntelanger Erfahrung als Mediator zu erkennen gibt: „Die Familie hat sich komplett zerstritten. Es gibt keine Möglichkeit mehr, miteinander zu sprechen.“ Haupert sagt, man müsse sich jetzt jemanden von außen holen, einen Mediator. Er bietet seine Hilfe an, aber die Partei will davon nichts wissen.

Stattdessen soll eine gerechte Ämterverteilung den Streit zwischen den Lagern kitten. Der Deal sieht unter anderem vor: a) Jochen Flackus wird Landeschef, b) er schlägt einen Geschäftsführer seines Vertrauens vor, c) Thomas Lutze zieht sich aus dem Vorstand zurück und d) Lutzes Verbündeter Andreas Neumann wird dafür Parteivize (neben der Saarbrücker Stadträtin Patricia Schumann und Landtags-Vizepräsidentin Barbara Spaniol).

Im Lutze-Lager halten viele Flackus für den verlängerten Arm Lafontaines, weshalb er gleich zu Beginn sagt: „Ich bin bald 63 Jahre. Ich finde meinen Weg mittlerweile allein.“ Die Linke habe im Saarland keine politische Ausstrahlung mehr, das gehe so nicht weiter. „Wer denkt eigentlich von uns noch an unsere Wähler, die vor diesem Scherbenhaufen stehen?“, fragt Flackus. „Wir müssen dieses Problem lösen oder uns wird es irgendwann nicht mehr geben.“

Er plädiere dafür, alle Gruppierungen in der Partei einzubeziehen. Er biete an, mit allen fair zusammenzuarbeiten. „Es ist ein Versuch“, sagt Flackus, „ich kann nicht versprechen, dass es funktioniert.“

Obwohl alle von Neuanfang reden, erhält Flackus nur 62 Prozent der Stimmen. Das sei unter den Rahmenbedingungen ordentlich, sagt er. Lutze sagt: „Ich hätte mit knapp über 50 Prozent gerechnet.“ Es zeigt, wie beschwerlich der Neuanfang ist. Dass Andreas Neumann nun zum Parteivize aufsteigen soll, gefällt den Flackus-Leuten eigentlich nicht, aber es ist der Preis für Lutzes Rückzug aus dem Landesvorstand, den Flackus zur Bedingung für seine Kandidatur gemacht hat. Am Ende wird auch Neumann, nachdem er noch seine Mitgliedschaft in einer katholischen Studentenverbindung rechtfertigen muss, in einer Kampfabstimmung gewählt.

Neumanns Nachfolger als Geschäftsführer ist die interessante Personalie des Tages. Nachdem Flackus seinen ursprünglichen Kandidaten zurückgezogen hat (siehe Infobox), präsentiert er einen alten Bekannten: Leo Stefan Schmitt, zu Lafontaines Zeiten 20 Jahre lang SPD-Abgeordneter im Landtag. Er verspricht: „Ich kenne alle Tricks, wie man versucht zu manipulieren oder Mehrheiten zu bekommen.“ Er garantiert, dass diese Tricks mit ihm keine Chance haben. Aber Schmitt sagt auch, dass er den Job nur bis zum nächsten Parteitag machen wird.

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