Streit um Industriekultur-Erbe Denkmal-Aktivisten auf den Barrikaden

Völklingen · Falscher Umgang mit dem industriekulturellen Erbe? Gestern gab es dazu eine Fachtagung bei der Arbeitskammer.

  Der Wasserhochbehälter soll zum Haupteingang ins Völklinger Weltkulturerbe werden.

Der Wasserhochbehälter soll zum Haupteingang ins Völklinger Weltkulturerbe werden.

Foto: Iris Maria Maurer

Es war vielleicht kein Zufall, dass der Name des Kultusministers Ulrich Commerçon (SPD) gestern nicht ein einziges Mal fiel: Während der gesamten zwei Stunden nicht, in denen sich über zwei Dutzend Denkmalpfleger, Historiker, Archivare und Aktivisten über den Umgang mit dem industriekulturellen Erbe austauschten beim „Zukunftsforum“ der Arbeitskammer, das „Kultur und Kulturpolitik im Saarland“ beleuchtete. Dabei steht für die Industriekultur bekanntlich ein Ressortwechsel aus dem Wirtschaftsministerium in Commerçons Zuständigkeitsbereich an, dafür fehlt nur noch ein Kabinettsbeschluss. Das könnte dann doch tatsächlich der „Neustart“ für die Industriekultur werden, den die Arbeitskammer des Saarlandes bereits 2010 forderte, für eines der aus ihrer Sicht am schlechtesten gemanagten Politikfelder des Landes überhaupt.

Die Kritikpunkte formulierte gestern in einem Impulsvortrag der bei der Arbeitskammer beschäftigte Historiker Harald Glaser. Sein Fazit: Seit 30 Jahren mehr oder minder Stillstand, außer in Völklingen. Nicht wegen Geldmangel, sondern wegen Konzeptlosigkeit. Offensichtlich haben die Erfahrungen mit nie umgesetzten Ganser-Gutachten, vor sich hin dümpelnden Bergbau-“Premiumstandorten“, mit Gondwana-Untersuchungsausschüssen und floppenden „Erbe“-Ausstellungen auch den Optimismus aller Industriekultur-Aktivisten untergraben. Von einer Chance oder Zäsur durch mehr „Kultur“ für die Industriekultur durch Commerçons Zugriff war gestern nicht die Rede.

Könnten nicht etwa für das Weltkulturerbe Völklinger Hütte neue Zeiten anbrechen? Dessen angeblich denkmalschädliche „event-hascherische“ Nutzung als Ausstellungsstätte brüskiert seit über 20 Jahren jene, die das Industriedenkmal puristisch als technik- und sozialgeschichtliches Museum erschlossen sehen wollen. Just vergangene Woche entzündete sich der alte Streit wieder. Der vermeintlich unnötige Umbau des Wasserhochbehälters zum neuen Haupteingang rief kürzlich den früheren Industriedenkmalpfleger und Chef der Völklinger Hüttendenkmal-Bauhütte Norbert Mendgen auf den Plan (die SZ berichtete).

Mendgen hatte die Arbeitskammer ebenfalls um einen Vortrag gebeten. Weil zudem Mitglieder der Initiative Völklinger Hütte sowie Mitarbeiter des Weltkulturerbes zugegen waren, dominierte und emotionalisierte das Völklingen-Thema die gesamte Runde. Man geißelte die vermeintliche Ignoranz des Weltkulturerbe-Teams gegenüber der Arbeiterkultur und gegenüber der Kompetenz von Zeitzeugen, auch das Schreddern wichtiger Saarstahl-Dokumente wurde kritisiert. Spürbar: Hier ist viel persönliche Verletzung bei den frühen Denkmal-Aktivisten mit im Spiel; für sie ist der Weltkulturerbe-Generaldirektor Meinrad Maria Grewenig Quell allen industriekulturellen Übels.

Es brauchte lange, bis jemand moderierende Worte fand. Es war der Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs Hans-Christian Herrmann, der darauf hinwies, dass es keine unüberbrückbare Kluft geben müsse zwischen einem „Event-Ort“ und dessen technikgeschichtlicher Aufarbeitung. Warum nicht das Ausstellungsspektrum in diese Richtung erweitern? Herrmann verdeutlichte zudem, dass sich die in Völklingen aufgetauchten Konflikte und Probleme landesweit vervielfältigen lassen. Um Sozial- und Technikgeschichte, egal wo, aufzuarbeiten, brauche es als Basis dafür die Dokumente unternehmerischen Handelns, nicht nur von Saarstahl oder Saarberg. Doch darum habe sich hierzulande bisher nie jemand gekümmert, so Herrmann. Er regte eine „Stiftung saarländisches Wirtschaftsarchiv“ an.

Auch der im Wirtschaftsministerium tätige Industriedenkmal-Experte Delf Slotta bemühte sich um ein breiteres Panorama. Er sprach von der zwingend notwendigen gesellschaftlichen Akzeptanz für das Industrieerbe, ohne die kein Geld bei der Politik loszuschlagen sei. Auch rückte er die Vorstellung zurecht, den Normalbesucher interessiere, „ob sich die Schraube rechts oder links herum dreht“. Man müsse auch mal „Fünfe gerade sein lassen“. Slotta warnte davor, Masse statt Klasse zu erhalten. „Wenn wir uns an jedes Fördergerüst ketten, haben wir bald gar keines mehr“, meinte er. Eine Hierarchisierung der Denkmäler sei dringlich, und man müsse auch nicht alles auf einmal angehen. „Jeder Standort hat seine Zeit“, so Slotta. Allerdings müsse es für den Umgang mit dem Erbe endlich einen „Arbeitsplan“ geben. Damit benannte Slotta das wohl krasseste Defizit der vergangenen Jahrzehnte.

 Meinrad Maria Grewenig Foto: Oliver Dietze

Meinrad Maria Grewenig Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Der Weltkulturerbe-Chef erschien dann später als Zuhörer bei der Abschluss-Podiumsdiskussion. Dort warf Hubert Kesternich von der Initiative Völklinger Hütte ihm dann vor, im Weltkulturerbe „keine Auseinandersetzung mit dem Genius loci“ zu suchen, mit all dem, „was die Arbeiter dort an Blut, Schweiß und Tränen“ investiert hätten. In seiner weitläufigen Replik betonte Grewenig einmal mehr, in Völklingen „einen Kulturort des 21. Jahrhunderts zu entwickeln“. Im Übrigen werde die Ausstellung über die Familie Röchling demnächst als Dauerausstellung präsentiert, und das Thema Zwangsarbeit habe man ebenfalls integriert.

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