„Hart an der Grenze des Qualitätsverlusts“

Saarbrücken · Das Problem ist längst diagnostiziert, nur die adäquate Behandlung durch die Politik fehlt: Gegen den Personalengpass in deutschen Krankenhäusern haben gestern im Saarland rund 4000 Klinikmitarbeiter protestiert.

 Mitarbeiter des Klinikums Saarbrücken demonstrieren für mehr Personal. Foto: Becker&bredel

Mitarbeiter des Klinikums Saarbrücken demonstrieren für mehr Personal. Foto: Becker&bredel

Foto: Becker&bredel

Unter die rund 500 Demonstranten vor dem Saarbrücker Klinikum auf dem Winterberg hat sich auch ein Chefarzt gemischt. "Ich habe noch nie an einer Demo teilgenommen, aber diese Aktion hier unterstütze ich aus vollster Überzeugung", sagt er. Der Personalmangel an Krankenhäusern sei inzwischen "ein echtes Problem". Zwar könne "eine adäquate medizinische Behandlung der Patienten noch gewährleistet werden", aber bei der Pflege bewege man sich aufgrund des Personalmangels "hart an der Grenze des Qualitätsverlusts". Eine Station mit 25 Patienten werde je nach Tageszeit von nur einer Krankenschwester und zwei Hilfskräften betreut. Ein Pfleger, der ebenfalls an der Aktion teilnimmt, antwortet auf die Frage nach den Folgen des Personalmangels: "Die Zahl der Druckgeschwüre bei Patienten nimmt zu." Druckgeschwüre entstehen, wenn sich Patienten wund liegen.

Ärzte, Schwestern, Krankenpfleger - sie alle stehen um Punkt 13 Uhr vor dem Klinikum Saarbrücken und halten Schilder mit Zahlen hoch. Ausgedacht hat sich die Aktion "Jetzt schlägt's 13!" der Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi: Um auf den Pflegenotstand aufmerksam zu machen, halten Klinik-Mitarbeiter in ganz Deutschland Plakate mit Nummern in die Luft: Von der Zahl 1 bis zu der Zahl 162 000. Nach Verdi-Berechnungen fehlen genau so viele Stellen an deutschen Krankenhäusern, darunter 70 000 für Pflegekräfte. Und während Verdi-Chef Frank Bsirske um Punkt 13 Uhr vor der Berliner Charité die "1" hoch hält, streckt Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand auf dem Saarbrücker Winterberg das letzte Schild mit der 162 000 in den sonnigen Mittagshimmel.

"Wir brauchen mehr Personal. Die Politik muss jetzt handeln", ruft die 53-Jährige den Mitarbeitern vor dem Klinikum zu. Sie ist auf einen alten, von Verdi bereit gestellten Feuerwehrwagen geklettert, um zu den Demonstranten zu sprechen. Unterstützt werden diese von SPD , Linken, Grünen und Piraten. Auch die Saarländische Krankenhausgesellschaft nennt den Protest "richtig und wichtig". "Wenn die Politik jetzt nicht handelt," ruft Bühler auf dem alten Feuerwehrwagen, "nimmt sie eine Gesundheitsgefährdung der Patienten billigend in Kauf." Folge der Personalnot an deutschen Krankenhäusern sei unter anderem, dass viele Patienten "länger Schmerzen aushalten müssen". Mehrere ausländische Studien hätten zudem belegt, dass zwischen der Personalnot an Kliniken und der Zahl der dortigen Todesfälle ein Zusammenhang bestehe. Soll heißen: Menschen sterben aufgrund des Personalmangels. Bühler geizt während ihrer Rede nicht mit harten Worten wie diesen. Von der Politik fordert sie ein Gesetz für eine verbindliche Personalvorgabe in Kliniken sowie eine sichere Finanzierung. Die Personalbemessung selbst solle eine Expertenkommission festlegen. Gegenüber der SZ erklärt Bühler zudem, dass das von der Bundesregierung geplante Krankenhausstrukturgesetz nicht ansatzweise ausreiche, um genügend Personal beschäftigen zu können.

Forderungen, die auch bei Mitarbeitern der übrigen Krankenhäuser im Saarland gestern viel Beifall fanden. Nach Verdi-Angaben kam es vor allen Kliniken des Landes zu Protestaktionen. Die Gewerkschaft sprach von insgesamt rund 4000 Teilnehmern im Saarland. Bundesweit demonstrierten Beschäftigte aus mehr als 1300 Kliniken für mehr Personal.

Unterdessen trafen sich gestern die Gesundheitsminister von Bund und Ländern im rheinland-pfälzischen in Bad Dürkheim zu ihrer jährlichen Tagung. Am Nachmittag traf dort auch die Gewerkschafterin Sylvia Bühler ein. Sie hatte sich von Saarbrücken aus auf den Weg zu dem Weinort am Rande des Pfälzer Walds gemacht, um den Ministern den "Bad Dürkheimer Appell" für mehr Personal an deutschen Krankenhäusern zu überreichen. In ganz Deutschland warten nun Klinikmitarbeiter gespannt darauf, ob die Politik das von ihnen diagnostizierte Problem beheben kann - und will.

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