Die erzwungene Energiewende

Johann Nicolaus Eisenhauer ist berühmt. Wegen eines berühmten Nachfahren: Dwight D.

Eisenhower, 34. Präsident der USA, stammte aus der Familie des Karlsbrunners, der 1741 in die USA auswanderte. Über Johann Nicolaus selbst ist freilich wenig bekannt. Auch nicht, warum er aus dem Warndt aufgebrochen ist in die Neue Welt. Klar ist nur, dass seine Gründe zur Auswanderung stark gewesen sein müssen: Mitte des 18. Jahrhunderts war Amerika für Europäer noch unendlich fern, voller Risiken und Rätsel, und die Fahrt übers Meer war langwierig und gefährlich.

Warum hat Eisenhauer das auf sich genommen? Warum haben viele andere Warndtbewohner im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert ihre Heimat verlassen, um in die Neue Welt zu ziehen? Uwe Eduard Schmidt, Forsthistoriker und leidenschaftlicher Archiv-Rechercheur, hat dieser Frage nachgespürt. Seine Antwort: Auswanderung hatte nichts zu tun mit Abenteuerlust und nur selten mit Politik. Wohl aber mit dem Reglement, dem die damals Herrschenden den Wald unterwarfen, und mit ihren Energie-Konzepten. Strenge neue Forstgesetze verboten den Armen plötzlich, den Wald umsonst zu nutzen; statt Holz wurde Kohle als Brennstoff propagiert. Energiewende von oben, sagt Schmidt: "Regenerativ ist out - fossil ist in." Der Haken: Die verordnete "neue" Energie konnten sich Arme nicht leisten.

Schuldenbremse, das Wort hat Fürst Ludwig nicht gekannt. Wohl aber die Sache, die es bezeichnet. Sein Vater Wilhelm Heinrich hat gern gebaut und dafür enorme Kredite aufgenommen. Als Ludwig 1768 die Herrschaft in Nassau-Saarbrücken übernimmt, muss er sparen. Trotzdem schafft er es, in Saarbrücken Schloss und Ludwigskirche fertigzustellen, seinen Ludwigspark anzulegen und im Warndt ein Jagdschloss zu errichten. Doch dann ist er pleite: 1770 beantragt er beim Kaiser die Einsetzung einer Schuldentilgungskommission. Die prüft die Bonität des Fürsten , vor allem Ludwigs einträglichste Immobilie, den Wald. 1774 sind neutrale Schätzer zwei Monate lang im Forst unterwegs. Penibel, "im Quierschieder Wald haben sie die dicken Eichen gezählt", sagt Schmidt. Niederschmetterndes Ergebnis: Die Fürsten haben über Jahre viel mehr Holz einschlagen lassen, als der Wald verträgt. Allein für den Bedarf der Glas- und Eisenhütten sind 1766 vier Mal so viele Bäume gefällt worden, wie ein "nachhaltiger" Hiebsatz zuließe. Und 1767 muss Wilhelm Heinrich einen profi tablen Holzverkaufsvertrag auflösen, peinliche Affäre - er kann nicht so viele dicke Bäume liefern, wie er zugesagt hat, sein Wald gibt sie einfach nicht her.

Die Gutacher drücken neue Regeln durch: nachhaltiges Wirtschaften - 100 Jahre lang darf nur so viel Holz geerntet werden, wie nachwächst. Viel zu wenig für die junge Industrie. Für den privaten Bedarf erst recht. Holz wird knapp. Das soll aber die Glas- und Eisenhütten nicht bremsen: Die Fürsten und später auch ihre Nachfolger forcieren Kohlefeuerung. Doch technisch klappt das erst mal nicht. Holz wird teuer. Schmidt hat dazu eine Zahl parat: In den 1830er Jahren kostet ein Festmeter Holz so viel wie 60 Arbeitsstunden.

Der Wald soll derweil wachsen, wachsen, wachsen. Wehe dem Bauern, der nach traditioneller Art sein Vieh drin weiden lässt: Das ist jetzt verboten. Und wer sich, wie früher, Brennholz aus dem Wald holt, ist nun "Holzdieb", muss harte Strafen zahlen oder gar ins Gefängnis. Zu Hunderten wandern biedere Leute als "Forstfrevler" in den Knast. Selbst Schulkindern bleibt die Haft nicht erspart. Freilich nicht erst seit der Wald-Taxation von 1774: Schon 60 Jahre zuvor haben sich fürstliche Förster Sorgen gemacht um die Bäume. Und 1745 hat Forstmeister Maltitz eine strenge Forstordnung formuliert, die Privatleuten fast jede (Umsonst-)Waldnutzung untersagt.

Zu denen, die diese strengen Regeln durchsetzen müssen, gehört Johannes Köhler, herrschaftlicher Jäger in Ludweiler und Karlsbrunn. Ein Mann "von Stand", Köhlers zwölf Kinder haben wohlmögende Paten, sogar die Gräfin von Forbach ist dabei. 1728 baut sich Köhler einen prächtigen Wohnsitz, das heute noch erhaltene "Hiwwelersch Haus". Beamter bleibt man ein Leben lang, damals wie heute - doch 1749 ist Köhler laut einer Tauf-Notiz "gewesener" hochfürstlicher Jäger. Und im selben Jahr wandert er mit seiner Familie nach Nordamerika aus. Ist der Forstmann nicht streng genug gewesen mit seinen Dorfgenossen und so bei seinem Dienstherrn in Ungnade gefallen? Beweisen könne man das nicht, sagt Schmidt, vermuten schon. Hat Köhler doch enge Verbindungen zu Eisenhauer, dem einfachen Pottaschenbrenner: Auch Eisenhauers Frau ist Patin eines Köhler-Kindes. Und beide Familien wohnen benachbart, Eisenhauer hat sich, ebenfalls 1728, eine Hütte am heutigen Ort des Jagdschlosses gebaut. Doch Eisenhauers steht nur wenig Land zur Verfügung, um ihre große Familie - elf Kinder - zu ernähren. Sie wandern aus, im November 1741 kommen sie in Philadelphia an. Möglich, meint Historiker Schmidt, dass Eisenhauer von Amerika aus brieflich Kontakt hielt zu Köhler. Nein, nachzuweisen sei auch das nicht. Sicher sei aber: Eisenhauer konnte schreiben, "sehr ungewöhnlich damals für einfache Leute".

Nicht nur Eisenhauer und Köhler wandern aus. Zwischen 1773 und 1792 verlassen 32 Karlsbrunner ihr Dorf Richtung Amerika. Zwischen 1836 und 1862 sind es weitere 98 Menschen, "fast die Hälfte der Dorfbewohner" (Schmidt) - ein Aderlass. Stets spielen "grüne" Ressourcen die entscheidende Rolle. Schmidt zitiert einen Brief, den drei Ausgewanderte ihren daheimgebliebenen Ehefrauen geschickt haben: " ‚So viel Gras, dass man mähen kann, so viel als man will‘ - Gras, das ist das einzige Argument fürs Auswandern!" Es hat genügt: Die Frauen haben Haus und Hof verkauft und sind ihren Männern gefolgt.

Das 19. Jahrhundert steht dann im Zeichen der Kohle . Doch auch Bergwerke brauchen Holz : Grubenholz, in rauen Mengen. Die Forstleute stellen sich drauf ein. "Der Wald wird zur Holzfabrik", sagt Schmidt - im Grünen wird regelrecht umgebaut: Schnell wachsende Bäume müssen her. Vor allem Fichten. Auch Pappeln. Und Bäume aus Nordamerika; sie auszuprobieren, haben Fachleute schon Ende des 18. Jahrhunderts dringlich geraten. Im Garten am Karlsbrunner Jagdschloss testen Förster in kleinem Stil, bereits 1799 stehen dort 48 angepflanzte Waldbäume. Im großen Stil geht es erst ab 1867 weiter, Preußens Forstverwaltung lässt im Warndt hektarweise Stech- und Sitkafichten, Douglasien, Lebensbäume, Weymouthskiefern, Scheinzypressen, Roteichen, Hickorys setzen. Ein Teil der Versuchspflanzungen steht noch heute.

Sie wären freilich vergebliche Liebesmüh‘ gewesen, müsste man, wie noch zu Fürst Ludwigs Zeiten, die Stämme auf dem Wasserweg von A nach B flößen. Doch im 19. Jahrhundert kommt ein neues Transportmittel auf: "Die Eisenbahn ist der Schlüssel", sagt Schmidt, "industrielle Revolution, Verkehrsrevolution, Forstrevolution bedingen einander, sie laufen gleichzeitig ab." Und auch gleichzeitig mit der Energiewende , weg vom Holz , hin zur Kohle . Ihr erzwungener Beginn hat viele Warndtbewohner ins Elend gestürzt und aus dem Land getrieben. Ende des 19. Jahrhunderts ist diese Wende vollzogen. Die Auswanderungswelle ebbt ab.

 Karlsbrunn 1755: eine Handvoll Häuser im Wald. Das große Haus rechts oben (Verlängerung des Windrosen-Südpfeils) baute sich der „hochfürstliche Jäger“ Johannes Köhler. Die Hütte rechts unten (2. von unten) gehörte dem Pottaschenbrenner Johann Nicolaus Eisenhauer. Bild: Landesarchiv Saarbrücken, Best. Katasterkarten

Karlsbrunn 1755: eine Handvoll Häuser im Wald. Das große Haus rechts oben (Verlängerung des Windrosen-Südpfeils) baute sich der „hochfürstliche Jäger“ Johannes Köhler. Die Hütte rechts unten (2. von unten) gehörte dem Pottaschenbrenner Johann Nicolaus Eisenhauer. Bild: Landesarchiv Saarbrücken, Best. Katasterkarten

Zum Thema:

Auf einen BlickUwe Eduard Schmidt, 1960 in Göttelborn geboren, ist Professor für Forstgeschichte an der Universität Freiburg. Er hat sich speziell mit der Geschichte des Waldes im 18. und 19. Jahrhundert befasst. Zu einer Wandervorlesung ist er am 17. Juli, 17 Uhr, in Karlsbrunn zu Gast. Unter dem Titel "Von Menschen und Bäumen" geht es um Auswanderung in die Neue Welt und Baum-Importe aus Amerika. An historischen Stationen in Karlsbrunn will Schmidt verschiedene Facetten des Themas ins Licht rücken. Treffpunkt: Parkplatz gegenüber dem Schloss. Eintritt frei (Hutsammlung).Die Veranstaltungsform ist neu im Karlsbrunner Schloss-Programm. Initiiert hat sie Jörn Wallacher, früher Referatsleiter im Umweltministerium, jetzt ehrenamtlich in Karlsbrunn engagiert. dd

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort