Girls’ und Boys’ Day im Saarland Eine Kampfansage an überholte Rollenbilder

Saarbrücken · Der Girls’ und Boys’ Day soll jungen Menschen Berufe schmackhaft machen, die traditionell vom jeweils anderen Geschlecht bevorzugt werden.

 Als Erzieher und Kita-Leiter ist der Saarländer Timo Banzet einer der wenigen Männer in seiner Branche.

Als Erzieher und Kita-Leiter ist der Saarländer Timo Banzet einer der wenigen Männer in seiner Branche.

Foto: Oliver Dietze

Die Mutter von Timo Banzet kann weiterhin alle Handwerksunternehmer zu ihren Freunden zählen, bei denen ihr Sohn zu Schulzeiten ein Praktikum absolviert hat. Denn nach diesen Probewochen habe der ein oder andere seiner Mutter angedeutet, „dass unsere Freundschaft beendet ist, wenn Du mir Deinen Sohn als Lehrling schickst“. Noch immer erzählt Timo Banzet, der inzwischen 28 Jahre alt ist, diese Anekdote. Statt Dächer zu decken oder an Autos herumzuschrauben, ist der Völklinger inzwischen Leiter der städtischen Kita Hirtenwies in Saarbrücken. „Ich habe zwei linke Hände und alles Handwerkliche kam für mich nicht infrage“, sagt er. Meister, Mutter und Sohn begriffen das sehr schnell.

Der Umgang mit Menschen – das ist sein Ding. Dass es am Ende kleine Menschen sind, war ursprünglich nicht der Plan. Bei seiner Ausbildung zum Erzieher an der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik in Saarbrücken hatte er eigentlich eine spätere Tätigkeit in der Jugend- und Heimerziehung im Sinn. Dennoch ist er froh, dass es so gekommen ist, auch wenn er als Leiter einer Kita immer noch ein Exot ist.

Dass Mädchen und Jungen einmal über den Tellerrand der für sie üblichen Berufe hinausschauen – wie Timo Banzet es tat –, ist Sinn des Girls‘ und Boys‘ Day, der an diesem Donnerstag bundesweit stattfindet. Schülerinnen und Schüler ab der Klassenstufe 5 können an diesem Tag in Berufe hineinschnuppern, die immer noch bevorzugt vom anderen Geschlecht gewählt werden. Für die Mädchen sind das viele Tätigkeiten im Handwerk und dem so genannten MINT-Bereich, wobei „MINT“ für die Berufsfelder Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik steht. Die Jungen hingegen sollen das Arbeitsleben auf den Feldern Erziehung, Soziales, Gesundheit und Pflege sowie einige handwerkliche Berufe kennenlernen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden – beispielsweise Gesundheit und Körperpflege. Dieses Jahr läuft der Girls‘ und Boys‘ Day weitgehend online ab. Was im Saarland passiert, lässt sich auf den jeweiligen Webseiten nachlesen (Link: siehe unten).

„Die beruflichen Rollenklischees sind bei den jungen Leuten weiterhin stark verankert“, sagt Dunja Sauer. Sie ist zusammen mit Janina Kiefer Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Ihr Büro haben sie bei der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie unterstützen die Beauftragten an der Beratungsfront in der Saar-Arbeitsagentur und in den Jobcentern (siehe Info).

Die meisten jungen Frauen streben nach wie vor zu kaufmännischen Berufen und zu Arbeiten in Büros, gefolgt von medizinischen Fachangestellten, Verkäuferinnen und Friseurinnen. Das geht aus einer Ausbildungsplatz-Bilanz der BA für 2020 hervor. Bei den jungen Männern ist der Kfz-Mechatroniker der begehrteste Lehrberuf. Danach folgen Verkäufer, Kaufmann und Industriemechaniker.

Die Arbeitsagentur-Expertinnen Sauer und Kiefer wissen, dass sie dicke Bretter bohren müssen, damit es bei den jungen Leuten Klick macht und sie die eingetretenen Pfade verlassen. „Bei der Berufswahl ihrer Kinder sind die Eltern immer noch das große Vorbild“, wissen sie. Aber auch der Freundeskreis, die Schule oder der Austausch in sozialen Medien „üben einen wichtigen Einfluss aus“.

Dennoch werben sie dafür, dass die Jungen, aber vor allen Dingen die Mädchen das Beratungsangebot der Arbeitsagentur annehmen, um Alternativen ausloten zu können. „Die Beraterinnen und Berater vor Ort nehmen sich viel Zeit, um auf die jeweilige Situation der Ratsuchenden einzugehen“, sagt Dunja Sauer. Wenn eine junge Frau beispielsweise schon eine Familie hat, käme auch eine Teilzeit-Ausbildung infrage.

Für Timo Banzet steht fest, dass er den Sozialbereich nicht mehr verlassen will. „Es gibt hier eine Menge Möglichkeiten“, weiß er. Nach der Realschule hatte er zunächst die Saarbrücker Fachoberschule Gesundheit und Sozialwesen besucht. Diese schloss er mit dem Fach­abitur ab. Dort und später auch an der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik musste er etliche Praktika absolvieren, unter anderem im Theresienheim in Saarbrücken-Burbach, ein Zentrum für heilpädagogische Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Dort betreute er Wohngruppen mit Jugendlichen, war anschließend Schulsozialarbeiter in verschiedenen Förderschulen und absolvierte sein Anerkennungsjahr bei den Jugendhilfezentren der Stadt Saarbrücken. Dort sorgte er bei einer Mädchen-Wohngruppe für einen geregelten Tagesablauf.

Nach dem Ende der Erzieher-Ausbildung zog es ihn in den Kita-Bereich. In der Katholischen Kindertageseinrichtung St. Bartholomäus in Saarbrücken-Klarenthal wurde er stellvertretender Leiter. 2016 übernahm er die Leitung der Kita im St. Wendeler Stadtteil Niederlinxweiler, bis er 2020 das Angebot annahm, Chef in der städtischen Kita Hirtenwies in Saarbrücken zu werden, die im Oktober erst an den Start gegangen war. In sechs Gruppen werden dort mehr als 120 Kinder betreut – acht Wochen bis sechs Jahre alt. Er ist Chef über 25 Mitarbeiterinnen, hat daher für die Kinderbetreuung nicht mehr so viel Zeit. Doch für Timo Banzet ist es eine „spannende Herausforderung, eine Kindertageseinrichtung von null aufzubauen“. Inzwischen läuft der Betrieb, auch wenn Corona dem Team einiges abverlangt. Er selbst will noch weiterkommen, studiert derzeit parallel Bildungs- und Sozialmanagement an der Hochschule Koblenz.

In einer weiteren Anekdote erinnert er sich, wie sehr die beruflichen Rollenklischees in der Gesellschaft noch verhaftet sind. Als er mit 16 Jahren schon einmal ein Praktikum in der Kita Klarenthal absolvierte und den Boden unter der Garderobe kehrte, „fragte mich eine Mutter, was ich denn ausgefressen habe, dass ich hier Sozialstunden leisten muss“. Einen männlichen Erzieher „konnte sie sich einfach nicht vorstellen“.

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