Wo Abbild zum Sinnbild wird

Ormesheim. Michael Kühr, Künstler, Kunstwissenschaftler und Kunstpädagoge, kann auf eine 50-jährige intensive Beschäftigung mit Fotografie zurückblicken

 Drei Ausschnitte aus der Fotokunst von Michael Kühr, zurzeit zu sehen in seinem Atelier in Ormesheim. Fotos: Michael Kühr

Drei Ausschnitte aus der Fotokunst von Michael Kühr, zurzeit zu sehen in seinem Atelier in Ormesheim. Fotos: Michael Kühr

Ormesheim. Michael Kühr, Künstler, Kunstwissenschaftler und Kunstpädagoge, kann auf eine 50-jährige intensive Beschäftigung mit Fotografie zurückblicken. Wie seine aktuelle Ausstellung zeigt, liegen die Wurzeln seines fotografischen Schaffens bei Otto Steinert, bei dessen Schüler Harald Boockmann er nach der Übersiedlung von Kroatien im Rahmen des Kunststudiums an der Werkkunstschule in Saarbrücken 1965 eine fundierte Fotografieausbildung erhielt, ergänzt durch die Grundlehre bei Oskar Holweck.

Bild wird zur neuen Realität

Die Saarbrücker Motive "Nacht", "Hochwasser" und "Im alten Hafen" entstanden bereits in den Jahren um 1965 mit Hilfe einer Mittelformatkamera. Sie belegen mit ihrem auf einen Ausschnitt reduzierten Blick auf die Welt ihre Zugehörigkeit zu einem fotografischen Gestaltungsvorgang, der seinen Ausgangspunkt in der Wahl des Objektes und seiner Isolierung aus der Natur nimmt. Die Dinge erfahren eine gewisse Entmaterialisierung und Befreiung aus der Dreidimensionalität ihrer realen Existenz, wie sie in den Experimenten im Makrobereich Ende der 60er Jahre noch eine Steigerung erfahren und eine hohe Abstraktion erreichen. Das Bild wird zu einer neuen eigenen Realität. Die Umsetzung in wenige fotografische Grauwerte - so kommt beispielsweise die Fotografie "Im alten Hafen" mit vier Helligkeitsstufen aus - und die Belichtung in der Dunkelkammer lösen das Motiv schließlich auch aus dem Zeitablauf heraus. Diese Bilder zeugen von Kührs feinem Gespür für die Wirkungen des Lichts.

Die Bilder der "Balkanreportage" sind Ausdruck eines neu geweckten Interesses am Menschen, seiner Lebensart und Kultur. Der Einfluss des Erlebnishorizontes des Fotografen wird spürbar. Gerade die Aufnahme "Mädchen aus Sarajevo" verdeutlicht, wie die fotografische Perspektive, die Ausschnitthaftigkeit und die Betätigung des Auslösers im richtigen Moment eine persönliche Interpretation der Wirklichkeit erlauben. Die Bazar-Atmosphäre wird durch die drei abgebildeten Menschen beinahe greifbar. Sie werden zum Hauptträger der Stimmung und geben gleichzeitig auf eindringliche und erzählerische Weise ihr Wesen preis: eine Mischung aus überschäumender Lebensfreude, dem stillen Genießen des Augenblicks und der unverhohlenen Ablehnung. Unter Kührs Händen wird die Wirklichkeit zur Überwirklichkeit, das Abbild wird zum Sinnbild: Der Mensch im Strom des Lebens. Für die subjektive oder kreative Fotografie ist das persönliche Erlebnis zugleich Voraussetzung und Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit. Der Fotograf bewirkt durch die Projektion seiner subjektiven Bildvorstellung auf den festgehaltenen Ausschnitt von Raum und Zeit eine Betonung der persönlichen Interpretation der Wirklichkeit.

Die im gleichen Zeitraum entstandenen Porträtstudien entstammen Kührs Bekanntenkreis. An sie knüpft er in den 80er und 90er Jahren wieder an. Der Einsatz der Digitalkamera macht eine vielfältige Bearbeitung am Computer durch Bildbearbeitungsprogramme möglich. Im spielerischen Umgang mit den verschiedenen Filtern entwickelt er neue Bilder, von welchen jedes Bild eine Metamorphose des vorhergehenden ist. Dieser Prozess wird auch auf Naturaufnahmen ausgedehnt, die ihren Reiz durch die Kombination des Abbildhaften mit dem illusionierten Relief erhalten, wie die Grafik "Walderdbeeren" zeigt. In Kührs jüngstem Werk "Friedenstriptychon" rahmen zwei Porträtstudien eines jungen Mannes und einer jungen Frau die Mitteltafel dieses klassischen Wandelaltars. Sie wird von einer Reproduktion des Gemäldes "The Germans to the Front" von 1900 des in Saarbrücken geborenen Schlachten- und Historienmalers Carl Röchling gebildet. Ein schmales Querrechteck darunter zeigt einen Soldatenfriedhof. Aktuelle Bezüge sind offensichtlich und beabsichtigt.

Die Ausstellung in Ormesheim ist noch bis zum 22. Februar, donnerstags und freitags von 16 bis 19 Uhr geöffnet. Danach kann sie ebenfalls weiterhin nach telefonischer Anmeldung besichtigt werden. Telefon (0 68 93) 62 13.

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