Corona-Krise und Schulschließungen Der Stress in den Familien steigt stark an

St. Ingbert/Bliestal · Der Alltag in Familien hat sich radikal verändert: Die Schulen sind zu, Kinder sollen allein zu Hause lernen. Kleinere Geschwister wollen beschäftigt werden. Experten empfehlen, auch mal Abstriche zu machen. Zudem gibt es Beratungsstellen, an die man sich wenden kann.

 Schüler müssen zurzeit zu Hause lernen, das ist keine einfache Situation in den Familien.

Schüler müssen zurzeit zu Hause lernen, das ist keine einfache Situation in den Familien.

Foto: dpa-tmn/Ulrich Perrey

Es ist eine Situation, in der jede Menge Sprengstoff steckt. Die Kinder sitzen zu Hause, sollen je nach Alter sinnvoll beschäftigt werden oder Aufgaben lösen, die aus der Schule zugesandt werden. Die Eltern arbeiten ebenfalls vom heimischen Schreibtisch aus, oder haben Jobs, die sie außerhalb der eigenen vier Wände extrem fordern, wie beispielsweise im Krankenhaus. Andere haben Existenzängste, fürchten auch um die Gesundheit ihrer Angehörigen. Keine Frage, eine explosive Mischung – besonders in Familien, die ohnehin in schwierigen Verhältnissen leben, oft auf engstem Raum, finanziell am Existenzminimum. Doch auch die Otto-Normal-Familie ist vor Konflikten derzeit nicht sicher: Der Teenager, der lieber auf der Playstation spielt, als sich mit Mathe- oder Physikformeln zu beschäftigen, die Angst, die diese Krise auch für Kinder und Jugendliche mit sich bringt und die Ungewissheit, wie lange es so weitergeht, gehören ebenso dazu wie die Frustration, die Freunde nicht mehr zu sehen. Und Eltern sind im Stresstest, weil sie plötzlich als Hilfslehrer, Köche und im Job gefordert sind.

Seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen warnen Fachleute vor einem deutlichen Anstieg bei der häuslichen Gewalt. Bis zu Beginn der vergangenen Woche war bei den entsprechenden Stellen des Saarpfalz-Kreises noch keine solche Meldung eingegangen, die sich auf die besondere Herausforderung in der Corona-Krise zurückführen ließe. Und auch an den Hilfstelefonen war es recht ruhig. Doch auch hier befürchtet man, dass da noch so einiges anrollen wird. Davon berichten Elke Desgrange, Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle, Stephan Christ, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes und Cornelia Kazakob-Marsollek, stellvertretende Fachbereichsleiterin des pädagogischen Bereiches des Kreisjugendamtes, in einer Telefonkonferenz mit unserer Zeitung.

Eines ist klar: Der Stresslevel sei hoch. Die Herausforderungen riesig, manche Familien etwa haben keinen oder eben nicht ausreichend Computer, aber mehrere Kinder, die einen solchen benötigen. Da braucht es eine eigene Lösung. Wenn das so ist, müsse Kontakt mit der Schule aufgenommen werden, raten sie. In wieder anderen Familien müssen kleinere Kinder betreut werden, die Spielplätze sind derzeit zu, Treffen mit anderen Müttern fallen aus, auch das sei „eine große Herausforderung“, zumal dann, wenn kein Garten vorhanden ist. Wer hier Ratschläge braucht, könne sich mit seinen Sorgen an diverse Beratungsstellen wenden (Übersicht siehe Text unten). Und ganz praktische Tipps haben sie auch noch: Fernsehsender oder andere ließen sich derzeit viel einfallen, von der täglichen „Sendung mit der Maus“ bis zum online Sporttraining der Basketballer von Alba Berlin für verschiedene Altersstufen. Das andere große Thema ist das Lernen, wenn die Schulen zu sind. Zu diesem Themenfeld sind beispielsweise die Schoolworker erreichbar.

Der Alltag hat sich für die Familien aber auch darüber hinaus radikal verändert. Man sollte nicht unterschätzen, dass gerade die älteren Kinder und Jugendlichen viele Ängste haben, sich Sorgen machen. Es gelte da die Infoflut an Nachrichten über die Coronakrise einzudämmen, sie anzuleiten, sich nicht permanent damit zu beschäftigen, sie auf die Gefahr von „Falschmeldungen“ hinzuweisen. Generell müsse man aufpassen, was jüngere Kinder sehen: „Bilder bleiben haften.“ Ein- bis zweimal am Tag Nachrichten darüber anzuschauen, reiche zudem für Größere generell aus. Man sollte nicht den ganzen Tag am Coronaticker hängen, sich jetzt besser auf den Alltag konzentrieren, versuchen, diesen gut zu überstehen.

Der ist kompliziert genug. Hausaufgaben und schulisches Lernen berge schon ohne eine Krisensituation ein Konfliktpotenzial. Nun könnte sich dies verschärfen. Für das, was da jetzt zu bewältigen ist, seien mehrere Dinge zentral: eine angepasste Struktur, Regeln, wie beispielsweise simpel die, dass das Handy nicht neben den Hausaufgaben liegen darf, gemeinsame Prinzipien, wie das Lernen ablaufen kann, aber auch die Kommunikation zwischen Lehrer, Schülern und Eltern sei wichtig. Man sollte sich ruhig an den Lehrer wenden, wenn es hakt, beispielsweise bei der Aufgabenmenge. Wer selbst damit nicht klarkomme, könne sich an die Beratungsstellen wenden, „Wir nehmen dann auch Kontakt mit den Schulen auf.“ Grundlegend will man aber Eltern unterstützen, dies selbst zu tun.

„Ich glaube aber auch, dass Eltern sich und ihre Kinder nicht überfordern sollen“, betonen sie. Es sei wichtig, die Aufgaben zu erledigen, aber man dürfe auch mal Abstriche machen, wenn es die Situation erfordere. So wichtig Schule auch sei, es müsse für Eltern im Vordergrund stehen, dass sie als Familie mit den Kindern gut durch die Krise kommen. Man müsse nicht auf Biegen und Brechen Aufgabenpläne erstellen. Wenn Eltern das Gefühl haben: Das schaffe ich nicht mehr, dann sei den Kindern überhaupt nicht geholfen. Die Beratungsstellen wollen ganz praktisch und individuell unterstützen, denn man müsse bei allen Tipps die familienspezifischen Gegebenheiten beachten. Generell sei es aber wichtig, Interesse an den Kindern zu zeigen, mit ihnen etwas unternehmen – so weit möglich. Durch die Schulschließungen sollte die Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht leiden. Im Idealfall könne dies sogar eine positive Note bekommen: Eltern und Kinder könnten sich mehr austauschen, kreativ werden, das sei eine große Chance in der jetzigen Situation.

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