Durchs Dickicht der Geschichte

Wörschweiler · Die Autorin Gabi Heleen Bollinger aus Wörschweiler hat wieder einen neuen Film gedreht. Diesmal geht es um den saarländischen Rabbiner Friedrich Schlomo Rülf. Der dokumentarische Film gründet auf jahrelangen Recherchen.

 Der neue Film schildert das Leben des Rabbiners Friedrich Salomon Rülf, der auf diesem Foto mit seinen drei Söhnen um das Jahr 1933 zu sehen ist. Foto: Yedida Kaouly-Rülf

Der neue Film schildert das Leben des Rabbiners Friedrich Salomon Rülf, der auf diesem Foto mit seinen drei Söhnen um das Jahr 1933 zu sehen ist. Foto: Yedida Kaouly-Rülf

Foto: Yedida Kaouly-Rülf

Die Filmautorin Gabi Bollinger aus Wörschweiler sorgt mit einem neuen Film wieder für Aufsehen. Nach ihrem auf dem Max-Ophüls-Festival und beim internationalen Filmfestival in New York vor knapp zwei Jahren preisgekrönten Dokumentation "Das geht nur langsam" hat sie jetzt den Film "Geschichte weitererzählen - Der Rabbiner Schlomo Rülf" gedreht.

"In dem Film erzählt 80 Jahre nach der Auswanderung des Saarbrücker Rabbiners Friedrich Salomon Rülf nach Palästina seine Tochter Yedida ihrem Enkel Yehuda von ihrem Urgroßvater", sagt Bollinger im Gespräch mit unserer Zeitung. In seiner neuen Heimat Israel habe Rülf mitgeholfen, das Schulwesen für eine ,,freie jüdische Jugend" aufzubauen. Rülf wurde 1896 in Braunschweig geboren. Nach Studium und Promotion am Jüdisch-Theologischen Rabbinerseminar in Breslau war er im Ersten Weltkrieg Feldhilfsrabbiner. 1923 heiratete er Anneliese Neumann aus Breslau, mit der er drei Söhne , Itzchak (geboren 1925), Joseph (geb. 1928) und Jochanan (geb. 1931) hatte. 1926 wurde Rülf als Distriktsrabbiner nach Bamberg berufen, wo er zeitweise auch als Vorsitzender der jüdischen Jugendverbände Bayerns amtierte, 1929 übernahm er die jüdische Gemeinde in Saarbrücken. Nachdem seine Frau 1932 gestorben war, ging er Ende 1933 eine zweite Ehe mit der Rabbinertochter Ruth Unna ein, aus der zwei Kinder, Benjamin (geb. 1934) und Jedidja (geb. 1940), hervorgingen.

Das Saargebiet unterstand damals einer Regierungskommission des Völkerbunds. "Im Land herrschte eine Atmosphäre der Internationalität", schrieb Rülf später in seiner Autobiografie.

Dennoch kam es schon vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu antisemitischen Ausschreitungen, die sich im Abstimmungskampf in brutaler Gewalt äußerten. Rülf setzte sich beim Völkerbund für die Juden an der Saar ein und wurde Mitinitiator des "Römischen Abkommens": Es beinhaltete, dass jüdische Emigranten nach der Rückgliederung an Hitler-Deutschland bis März 1936 ihr Vermögen mitführen konnten. Er selbst fand mit Frau und fünf Kindern in Nahariya eine neue Heimat und baute dort eine moderne Gesamtschule auf. Die Dokumentation geht mit Rülfs Tochter Yedida Kaouly auf authentische Spurensuche. Im September 2008 wurde in Saarbrücken zu Ehren Rülfs der Platz vor der Freitreppe an der Berliner Promenade in "Rabbiner-Rülf-Platz" umbenannt.

Morgen Abend, 19.30 Uhr, wird der Film in einer Preview in der Synagogengemeinde Saar in Saarbrücken, Lortzingstraße 8, gezeigt. Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei. Der Film von Gabi Heleen Bollinger ist am Samstag, 10. Oktober um 18.45 Uhr im SR-Fernsehen zu sehen.

Was Gabi Bollinger interessiert, das sind "Geschichten über Menschen unmittelbar in meiner Umgebung. Ich arbeite also quasi vor der Haustür. Mag sich auch für einige Leute die Shoa irgendwo im Dunkel der Geschichte befinden - mich beschäftigt dieser Teil der deutschen Geschichte. So ist das eben": So beschreibt die Wörschweiler Filmemacherin ihr Engagement. Es gebe zusätzlich "noch ganz sachliche Gründe" für den Film.

Rabbiner Rülf war Religionslehrer, aber auch Ratgeber in allen Lebenslagen. Die Bibel spricht von Rabbinern als Gelehrten, die nicht nur in theologischen Fragen, sondern auch in weltlichen Angelegenheiten konsultiert werden können. Diese Rolle habe Rabbiner Rülf mehr als einhundert Prozent ausgefüllt, so Bollinger. Er habe sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er frühzeitig - nach dem Ersten Weltkrieg - den aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland erkannt habe, "so dass er auf ein friedliches deutsch-jüdisches Nebeneinander nicht hoffen konnte".

In Israel habe Rülf seinen Weg als Rabbiner konsequent weitergeführt - er wurde tatsächlich Lehrer. Er wollte der Jugend, meist Kindern von Geretteten, die Werte des Judentums mitgeben, damit sie sich für den Aufbau des Staates Israel einbringen konnten. "Auch hier wieder die Erkenntnis, dass man nur in Israel sein Judentum frei leben kann." Heute werde in Israel natürlich eine andere, auch kritischere Zionismus-Diskussion geführt als zu Rülfs Zeiten. Aber Zionismus ist in Zeiten des wieder aufkommenden Antisemitismus nicht vom Tisch. Bollinger bleibt nachdenklich: "Wir wissen doch, dass auch am Abend der Film-Premiere die Synagoge wieder von der Polizei bewacht werden wird. Wie also könnte man solche Themen überhaupt übersehen?"

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Zur PersonGabi Heleen Bollinger wurde 1953 in Zweibrücken geboren. 1968 zog sie mit ihren Eltern an die Elfenbeinküste. Ab 1973 studierte sie Musikwissenschaft, Germanistik und Erziehungswissenschaften an der Uni Saarbrücken und gab nebenbei Konzerte. Mit drei Musikern gründete sie 1975 die Gruppe Espe. Bis 1993 war sie in Israel mit jiddischen und deutschen Liedern unterwegs, spielte 19 Platten ein und trat in vielen TV-Sendungen auf. Mitte der 1980er begann sie ihre journalistische Arbeit. Sie lebt in Wörschweiler , ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne . jkn

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