Leben in der Warteschleife

Merchingen · Zehn syrische Flüchtinge wohnen im Pfarrheim im Merziger Stadtteil Merchingen. Viele haben eine lange und schwere Flucht hinter sich. Der 40-jährige Monir musste sogar Frau und Kinder zurücklassen.

 Brhane Fetwi (Dritter von links) hilft Flüchtlingen, eine Wohnung zu finden, hier ist er zu Besuch bei syrischen Asylbewerbern in Merchingen. Fotos: Rolf Ruppenthal

Brhane Fetwi (Dritter von links) hilft Flüchtlingen, eine Wohnung zu finden, hier ist er zu Besuch bei syrischen Asylbewerbern in Merchingen. Fotos: Rolf Ruppenthal

 Merchinger Bürger haben den Flüchtlingen Räder geschenkt.

Merchinger Bürger haben den Flüchtlingen Räder geschenkt.

Zehn Männer sitzen in einem sporadisch eingerichteten Aufenthaltsraum mit kahlen weißen Wänden im Pfarrheim in Merchingen . Sie haben sich auf einer Couch, ein paar Stühlen rund um einen Tisch im Gemeinschaftsraum versammelt. Viel Freizeitbeschäftigung gibt es für die 20- bis 40-jährigen Flüchtlinge aus Syrien in dem knapp 1000 Seelen zählenden Merziger Stadtteil nicht. "Es ist etwas langweilig hier", seufzt Mohammad. Mit den neun anderen Männern spiele der 26-Jährige ab und an Fußball, sonst gebe es aber kaum etwas zu unternehmen. Sie seien froh, Fahrräder von Merchingern geschenkt bekommen zu haben. Mit Leuten in Kontakt zu treten, sei schwierig. "Es gibt kaum jemand im Ort, der Englisch spricht", sagt er traurig. Mohammad hat einen Bachelor-Abschluss in Ingenieurwissenschaft und will sobald wie möglich ein Masterstudium in Stuttgart beginnen. "Dort lebt mein bester Freund", erzählt er. Doch davor müsse und wolle er, wie die anderen Flüchtlinge auch, die deutsche Sprache lernen. Aber erst wenn der Asylantrag abgesegnet und eine Aufenthaltserlaubnis gegeben ist, dürfen Mohammad und die neun anderen Flüchtlinge an Sprachkursen teilnehmen. Bis dahin heißt es jedoch warten.

Die zehn Männer sehen müde und erschöpft aus, haben alle eine monatelange Flucht hinter sich. "Wir sind froh, in Sicherheit zu ein", sagt Mohammad. Es sei einfach zu gefährlich gewesen, in Syrien zu bleiben. Daher habe er sich vor zehn Monaten von Damaskus auf den Weg nach Deutschland gemacht. Ein halbes Jahr sei er unterwegs gewesen, habe neben der Türkei, Griechenland und Mazedonien auch Serbien und Ungarn durchquert, bis er endlich vor vier Monaten in Deutschland ankam. Schwer und mühselig sei die Flucht gewesen - vor allem die Fahrt über das Mittelmeer. "Der Motor von unserem Schlepperboot ging kaputt", erinnert sich Mohammad und runzelt angestrengt die Stirn. Er versucht, locker über seine Flucht zu erzählen, doch seine Mimik und Gestik deuten an, dass es ihm schwer fällt, darüber zu berichten. Immer wieder huscht sein Blick zu seinen Cousins Yasin und Aasem, die ihn während der Flucht begleitet haben. "Dann ist ein Sturm aufgezogen." Zwei Tage sei das Boot auf offener See mit über 200 Menschen getrieben. Viele Frau und Kinder seien an Bord gewesen. "Einige Boote sind an uns vorbeigefahren, aber geholfen hat uns niemand", schildert Mohammad die aussichtslose Situation. Ein Erlebnis, an das er, Yasin und Aasem nur ungern zurückdenken. Irgendwann seien sie von der türkischen Marine abgeschleppt worden. Der Weg nach Griechenland sei ihnen so vorerst verwehrt geblieben, erklärt Yasin. Um mit einem Schlepper über See zu kommen, hätten sie dann erneut Geld bezahlten müssen.

Monir aus Aleppo sitzt ruhig neben Mohammad und hört nachdenklich zu, sein Blick geht ins Leere. Immer wieder nickt er, erinnert sich wohl an seine eigene Flucht. "Ich habe mich ganz alleine auf den Weg gemacht", erzählt er. Der 40-Jährige ist wegen seiner Volkszugehörigkeit aus Syrien geflohen. "Ich bin Kurde, daher musste ich so schnell wie möglich aus Syrien weg", erläutert er. Frau und vier Kinder hat er alleine zurücklassen müssen. Doch ihm sei keine andere Wahl geblieben, die Flucht wäre für seine Familie zu gefährlich gewesen. Alle zwei Monate könne er mal mit ihnen telefonieren, doch das reiche lange nicht aus: "Kein Ort ist wie daheim."

Er sei überwiegend zu Fuß unterwegs gewesen. Von der Türkei ging es über Bulgarien nach Rumänien, wo er mehre Tage im Gefängnis verbringen musste.

Anschließend ist er über Ungarn mit einem Truck nach Deutschland gefahren. 8000 Euro hat er trotz der Strecken, die er zu Fuß zurücklegt hat, für die Flucht zahlen müssen. Wieder wird sein Blick nachdenklich, sein Mund verzieht er zu einem traurigen Lächeln: "Ich hoffe, dass ich bald meine Familie herholen kann. Ich vermisse sie sehr." Der Zustrom von Flüchtlingen im Saarland hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Auch die Kreisstadt Merzig nimmt immer mehr Asylbewerber auf. "Die Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist enorm", sagt Bürgermeister Marcus Hoffeld (CDU ) im SZ-Gespräch. 188 Flüchtlinge haben bisher in Merzig ein Zuhause gefunden (Stand August 2015). Nicht mit eingerechnet sind 30 Minderjährige, die derzeit in Besseringen untergebracht sind, sowie Zuwanderer, die aufgrund von Familienzusammenschlüssen nach Merzig kommen. Und auch Flüchtlinge von außerhalb, deren Asylanträge genehmigt wurden, ziehen zu. "Die Situation kann sich stündlich ändern", erklärt Brhane Fetwi, der sich mit der Integrationsbeauftragten Heike Wagner um die Neuankömmlinge kümmert. Täglich würden neue Flüchtlinge in der Landesaufnahmestelle in Lebach hinzukommen, schildert Hoffeld die Situation: "Diese werden dann auf die Landkreise im Saarland verteilt."

Die meisten Asylbewerber im Landkreis Merzig-Wadern werden laut Hoffeld der Kreisstadt Merzig zugeteilt. Ende letzten Jahres waren mit rund 60 Flüchtlingen weniger als die Hälfte in der Kommune untergebracht. Alleine von August bis Dezember werden nun weitere 160 bis 170 Personen in der Kreisstadt erwartet. "Wir brauchen mehr Wohnraum", erklärt Hoffeld besorgt. Denn es gibt zwei Ziele, die der Merziger Bürgermeister verfolgt: "Wir wollen Turnhallen, Zeltstädte oder Container hier vermeiden." Zudem versuche man, die Flüchtlinge dezentral unterzubringen. "Das bedeutet, sie werden nicht nur an einem Ort, sondern in vielen verschiedenen Stadtteilen untergebracht", sagt Hoffeld. Wohnraum in der Kreisstadt sei jedoch beschränkt, daher seien regelmäßig Aufrufe an die Bevölkerung vonnöten. Auch Leerstände sollen genutzt werden. "Sanierungen sind geplant", versichert Hoffeld.

Eine dezentrale Unterbringung bietet auch Vorteile für die Flüchtlinge , meint Fetwi: "In kleinen Ortschaften gehen die Nachbarn freundlich auf die Flüchtlinge zu." Auch die Asylbewerber würden positiv reagieren, viele böten ihre Hilfe an, um zum Beispiel im Garten des Nachbarn auszuhelfen. Die größte Anzahl der Flüchtlinge in Merzig sind laut Fetwi Eritraer, Syrer und Afghanen. Bei der Unterbringung müsse jedoch auch auf die Herkunft geachtet werden. "Wenn Sunniten und Schiiten gemeinsam leben, kann das Zündstoff für Konfrontationen sein", erläutert er. Aber oft kommen die verschiedenen Religionsgruppen gut miteinander zurecht. "Viele wissen aber, dass sie in einem Boot sitzen", so Fetwi. Die Trennung habe aber auch sprachliche Gründe, erklärt Integrationsbeauftragte Wagner: "Wir wollen eine Kommunikation untereinander ermöglichen, das ist bei Flüchtlingen aus unterschiedlichen Ländern oft nicht möglich."

Die ehrenamtliche Hilfe sei in Merzig sehr ausgeprägt, erklärt Hoffeld: "Wir werden unterstützt, um das, was auf uns zugerollt ist, zu bewältigen." Er freue sich, dass so viele Menschen im Kreis aktiv anpacken würden. Es gebe Menschen, die Wohnraum zur Verfügung stellen, oder Leute, die die Flüchtlinge auf dem Weg in deren neues Leben begleiten. Sei es der Weg zum Amt oder in den Supermarkt. "Ohne die Ehrenamtler wäre das alles hier in Merzig nicht möglich", sagt Hoffeld.

Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, kann sich an die Merziger Integrationsbeauftragte Heike Wagner wenden unter Telefon (0 68 61) 8 53 82.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort