Losheim „Die Welt ist eben nicht schwarz-weiß“

Losheim · Ellen Sandberg stellt am kommenden Dienstag ihren Familienroman „Der Verrat“ in Losheim vor.

 Ellen Sandberg alias Inge Löhnig

Ellen Sandberg alias Inge Löhnig

Foto: Frank Bauer

Unter dem Namen Ellen Sandberg hat die Münchner Autorin Inge Löhnig ihren spannenden Familienroman „Der Verrat“ veröffentlicht. Die Geschichte spielt teils in Frankfurt, teils auf dem idyllischen Weingut Graven an der Saar. Insbesondere geht es um drei Schwestern, Pia, Birgit und Nane, einen lange zurückliegenden Mord und die Frage, wie man es schafft, aus alten Mustern auszubrechen.

Frau Sandberg – oder sollte ich Sie lieber Frau Löhnig nennen? – wie sind Sie denn eigentlich auf Ihr Pseudonym gekommen? Ist ja vielleicht gar nicht so einfach, sich auch mit einem anderen Namen zu identifizieren…

ELLEN SANDBERG Ich habe tatsächlich ein Problem damit, mich als Frau Sandberg zu bezeichnen. Auf der Leipziger Buchmesse ist so eine kuriose Geschichte passiert. Da habe ich mich an der Hotelrezeption gemeldet, und es war kein Zimmer reserviert – bis sich dann auf Nachfrage herausstellte, dass es auf den Namen Sandberg reserviert war. Aber der Hintergrund für das Pseudonym war tatsächlich, dass ich unter meinem Namen Inge Löhnig klassische Ermittler-Krimis schreibe, mit der Hauptfigur Konstantin Dühnfort. Als dann mein Buch „Das Mörderkind“ erschien, beschwerten sich viele Leser, dass da Löhnig draufstand, aber nicht Dühnfort drin war, diese beiden Namen sind offensichtlich bei vielen Lesern sehr miteinander verknüpft. Also beschloss ich, meine anderen Romane – die eigentlich spannende Familienromane sind, wie jetzt „Der Verrat“ – unter Pseudonym zu schreiben.

Und wie haben Sie das gefunden?

SANDBERG Ich wollte etwas Nordisches, das war klar, und habe eine Liste mit Vornamen erstellt. Für den Nachnamen habe ich einen Namensgenerator im Internet genutzt, den verwende ich oft auch für die Namen meiner Figuren. Dann habe ich zur Schere gegriffen und aus meiner Liste Vor- beziehungsweise Nachnamen ausgeschnitten und auf dem Tisch gegeneinander verschoben, und als da stand „Ellen Sandberg“, sagte mein Bauch „Ja“.

„Der Verrat“, eine Familiengeschichte mit Krimi-Elementen, spielt auf einem Weingut an der Saar – wie kamen Sie denn auf dieses Setting? Waren Sie schon mal da?

SANDBERG Nein, das muss ich zugeben. Ich habe in meinem Exposé zu der Geschichte zuerst damit geliebäugelt, über eine Musikerfamilie zu schreiben, Schauplätze wären der Lago Maggiore gewesen, Wien oder München. Aber ich merkte schnell, dass ich mit den Musikern nicht recht warm wurde, wahrscheinlich, weil ich selbst eher unmusikalisch bin. Und das Setting sollte auch nicht so elitär, so abgehoben sein.

Da hatte ich dann meine erste Schreibkrise. Aber ich las eine Reportage über einen Winzer an der Saar – und mich haben die Gegensätze in seinem Leben sehr beeindruckt: Einerseits steht er als Bauer mit schlammverschmierten Gummistiefeln im Weinberg, und dann jettet er im Anzug zu den exklusiven Weinmessen, beliefert die Sterne-Gastronomie - für eine einzelne Flasche Wein werden teils Tausende von Euro gezahlt. Das fand ich spannend, und so habe ich mein Weingut Graven erfunden und den Winzer Thomas von Manthey.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen ja drei Schwestern, Pia, Birgit und Nane, die vorsichtig formuliert, etwas sperrige Figuren sind. Weil keine von ihnen eine typische Heldin ist …

SANDBERG Das stimmt, und ich merke aus den Reaktionen, dass ich einige Leser damit etwas überfordere. Der Leser identifiziert sich meist mit der ersten Romanfigur, die eine längere Handlungspassage hat, das ist in dem Fall Pia, die Korrekte, Verkopfte, Kontrollierte. Und ich wollte, dass ab einem bestimmten Punkt die Sympathien zu Nane wechseln. Und das hat nicht jeder mitgemacht. Vielleicht, weil die beiden Schwestern nicht dem klassischen Schema Heldin und böse Gegenspielerin entsprechen. Aber die Welt ist eben nicht schwarz-weiß.

Alle Frauen in dieser Geschichte kämpfen gegen den „Fluch“, der scheinbar auf ihnen lastet – so nennt die Mutter die fatale Fähigkeit der Frauen der Familie, sich seit mehreren Generationen durch die Leidenschaft für den falschen Mann ihr Leben zu ruinieren.

SANDBERG Ja, ich lote damit das Phänomen der „Transgenerationalen Wiederholung und Übertragung“ aus, dass man in einer Familie bestimmte Erwartungshaltungen, Verhaltensweisen, Verletzungen oder Erlebnisse von einer Generation in die andere überträgt – oft, ohne es zu wissen. In „Der Verrat“ ist es, dass die Frauen Pech in der Liebe haben. Da wiederholen sich Muster, und Pia erkennt das, aber sie sagt, „das ist kein Fluch, jede hat ihre Entscheidungen selbst getroffen, jede ist allein ihres Unglücks Schmied, ich werde das nicht tun“ – und die Frage ist, ob sie es mit ihrem rationalen Ansatz schafft, aus diesem Muster auszubrechen.

Sie waren lange in der Werbebranche tätig. Wie sind Sie dann zur Schriftstellerin geworden, was gab den Ausschlag?

SANDBERG Das ist gut 20 Jahre her, da las ich eine wunderbare Buchrezension über einen deutschen Krimi. Ich war begeistert, kaufte mir das Buch – und habe es nach kurzer Zeit in die Ecke gepfeffert und laut in mein stilles Arbeitszimmer hinein gesagt „Das kann ich auch. Und das kann ich besser“. Allerdings: „Hochmut kommt vor dem Fall“, und so musste ich 200 Seiten meines ersten Versuchs wegwerfen, weil ich merkte, dass meine Phantasie mit mir durchgegangen war. Ich hatte so viele Handlungsstränge begonnen, die ich nicht mehr aufgelöst bekam. Vor meinem geistigen Auge stand ein wirres buntes Wollknäuel. Danach habe ich mich mit dem Handwerk des Schreibens beschäftigt. Ich belegte Workshops und las Fachliteratur. Seither plane ich meine Romane.

Und das machen Ihre Romanfiguren so mit?

SANDBERG Manchmal entwickeln sie tatsächlich ein Eigenleben, zum Beispiel meine böse Gegenspielerin Sabine in meinem nächsten Buch, die wollte einfach nicht so böse sein, wie ich mir das vorstellte.

Wenn Sie schreiben, sind Sie meist für sich, in Ihrem Arbeitszimmer, bei der Lesung gibt es ja den Kontakt mit dem Publikum, „dem Leser“ – wie gehen Sie mit dieser Situation um?

SANDBERG Anfangs mochte ich das überhaupt nicht. Bei der ersten Lesung, es war eine Kurzgeschichte, bat ich meinen Mann, sie an meiner Stelle vorzulesen – er ist ein wunderbarer Vorleser, der unseren Kindern tausende Seiten vorgelesen hat. Während er also an jenem Abend las, dachte ich nur: Nein, das klingt in meinem Kopf ganz anders! Außerdem habe ich einen Hang zum Perfektionismus, also nahm ich Sprechtraining, und stelle meine Lesung so bewusst zusammen, dass es ein interessanter Abend für das Publikum wird, ohne zu viel zu verraten. Nun mache ich das seit zwölf Jahren, ich habe immer noch Lampenfieber vor jeder Lesung, aber es macht inzwischen auch sehr viel Spaß.

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