Mehr HIV-Tests in Saarbrücken"Theoretisch kann es jedem passieren""Der HIV-Virus zerstört körpereigene Abwehrzellen"

Saarbrücken. Es ist wie so häufig: Kaum gibt es einen prominenten Fall, rückt ein Problem ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So auch im Fall der No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa. Die 27-Jährige ist HIV-positiv und soll mit drei Männern ungeschützten Sex gehabt haben. Deshalb war sie kurz in Haft

Saarbrücken. Es ist wie so häufig: Kaum gibt es einen prominenten Fall, rückt ein Problem ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So auch im Fall der No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa. Die 27-Jährige ist HIV-positiv und soll mit drei Männern ungeschützten Sex gehabt haben. Deshalb war sie kurz in Haft. Für Frank Kreutzer, Deutsche Aidshilfe Saar, hat der traurige Fall wenigstens einen positiven Nebeneffekt: "Es ist eine Debatte in Gang gekommen." Nicht nur das: Nicole Regneri vom Gesundheitsamt bestätigte, dass sich in den letzten Tagen mehr Menschen einem HIV-Test unterzogen: "Es lässt sich vermuten, dass das auf den Fall Benaissa zurückzuführen ist."Das Gesundheitsamt bietet einen kostenlosen, anonymen HIV-Test an. Je früher eine Infizierung diagnostiziert wird, desto schneller kann mit der Behandlung begonnen werden. Doch das wirksamste Mittel gegen HIV bleibt Prävention. Da sieht Frank Kreutzer akuten Handlungsbedarf: "Die Grundinformationen sind bei fast allen jungen Leuten da, dennoch gibt es immer noch viele falsche Vorstellungen von HIV." So denken zum Beispiel viele, die Pille schütze vor dem Virus. Die Deutsche Aidshilfe geht daher an die Schulen und erklärt den Jugendlichen, wie sie sich schützen: "Beispielsweise zeigen wir an einem Modell, wie man ein Kondom überstreift."Wichtig sei auch der Kampf gegen die Diskriminierung und die Ausgrenzung Infizierter: "Wir versuchen ein Bewusstsein zu schaffen, warum sich der Virus von anderen Krankheiten unterscheidet." Dafür sei wichtig zu wissen: HIV überträgt sich nur sehr schwer und etwa nicht durch Küsse oder Umarmungen.Auch Mike Mathes beschäftigt sich an Schulen im Saarland mit den Themen Prävention und Akzeptanz. Der Künstler mit Atelier in Saarlouis trägt selbst seit 25 Jahren den HIV-Virus in sich. Er legt Wert auf das Gespräch mit den Jugendlichen und sieht die Hauptschwierigkeit im praktischen Umgang mit dem Thema: "Vor allem Mädchen haben oft ein Problem damit, auf einem Kondom zu bestehen. Dabei wissen sie es meist besser." Zudem glaubt er: "HIV hat durch bessere Therapien seinen Schrecken verloren. Doch junge Leute übersehen oft, dass die Krankheit nach wie vor nicht heilbar ist." Er weiß nur zu gut, dass sich das Leben eines Infizierten von Grund auf ändert. Was ist der Unterschied zwischen HIV und einer Aids-Erkrankung?Gospodinov: Der HIV-Virus loggt sich in die körpereigenen Abwehrzellen (CD4-Zellen) ein, vermehrt sich dort und zerstört sie. Die Folge sind zum Beispiel Erkrankungen der Lunge oder des Nervensystems. Treten solche Erkrankungen auf, sprechen wir von Aids - das geschieht etwa, wenn die Zahl der CD4-Zellen auf unter 100 sinkt. Normal sind 600 bis 1200.Wie wird HIV therapiert?Gospodinov: Man braucht dafür drei verschiedene Medikamente, die die Viren töten. Die müssen sehr genau eingenommen werden und haben starke Nebenwirkungen. Der Virus kann aber nicht gänzlich besiegt werden, weil er sich stark wandelt und es keinen spezifischen Impfstoff gibt.Sinkt durch eine Therapie die Ansteckungsgefahr?Gospodinov: Die Übertragungsgefahr kann drastisch reduziert werden. Dennoch kann und darf ich HIV-Infizierten keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr empfehlen. Ein Restrisiko besteht immer.Saarbrücken. Aids ist noch immer eine tödliche Krankheit - trotz des medizinischen Fortschritts. Im Saarland sind 2008 zehn Menschen an der Krankheit gestorben, 25 haben sich neu mit dem HIV-Virus infiziert (siehe Infokasten). Doch vor HIV und Aids kann man sich schützen - wenn man die Zusammenhänge kennt und über die Verbreitung der Seuche Bescheid weiß. Ein weiterer wichtiger Punkt: Dieses Wissen muss in der Praxis auch angewendet werden. Hier sehen Experten Defizite. Der Künstler und Aids-Aktivist Mike Mathes (47) bringt das Problem auf den Punkt: "Die jungen Leute sind theoretisch sehr gut aufgeklärt. Doch in der Praxis entstehen oft Schwierigkeiten."Christian Stauch (22) aus Schwalbach nennt dafür ein Beispiel: "Ich glaube, es kann zu Verstimmungen führen, wenn man von seiner Freundin einen HIV-Test verlangt." Dennoch ist er der einzige Teilnehmer der SZ-Umfrage, der einen solchen Test absolviert hat: "Ich bin seit kurzem in einer frischen Beziehung. Meine Freundin und ich haben beide einen HIV-Test in der Tasche." Dafür gebe es aber einen Grund: "Ich habe als Zivildienstleistender im Krankenhaus gearbeitet. Bei der Gelegenheit wurde mein Blut untersucht. Meine Freundin arbeitet ebenfalls im Krankenhaus."Wie Christian Stauch sagen auch die anderen Befragten, dass sie sich der Gefahr durchaus bewusst sind: "Theoretisch kann es jedem passieren", meint Danica Lehnhoff (24) aus Schoeneck in Frankreich. Sie glaubt aber, dass HIV unter jungen Leuten seinen Schrecken verloren hat: "Das liegt wohl daran, dass man heute die Symptome viel besser bekämpfen kann." Zudem sieht sie ein Aufklärungs-Defizit bei jungen Leuten: "Viele glauben immer noch, man sieht es den Infizierten an, dass sie HIV-positiv sind." Sie selbst hat bislang noch keinen Aids-Test gemacht. "Ich habe es aber vor, sobald ich eine neue Beziehung eingehe."Ähnlich äußert sich Ann-Marie Melvander (28) aus Düren: "Der Fall der No-Angels-Sängerin hat mich nachdenklich gemacht." So will sie sich demnächst testen lassen, auch wenn sie betont: "Ich schütze mich natürlich entsprechend."Auch für Daniel Wollscheid (22) aus Rehlingen ist der Gebrauch von Kondomen beim Sex das allerwichtigste: "Man muss sich halt schützen." Er selbst habe daher auch keine Angst vor einer HIV-Infektion: "Man kann ja genug dagegen tun." Einen Aids-Test hat er noch nicht gemacht. Trotzdem hält er so etwas für sinnvoll und macht einen Vorschlag für mehr Vorbeugung: "Vielleicht sollte das Gesundheitsamt an den Schulen einen freiwilligen HIV-Test anbieten."Markus Scholl (21) aus Illingen hat ebenfalls keine Angst vor einer Infektion: "Ich bin seit über vier Jahren in einer festen Beziehung. Da kann ich mir sicher sein, dass ich nichts habe." Sollte er irgendwann eine neue Beziehung eingehen, will er aber über einen Test nachdenken. "Es gibt immer noch viele falsche Vorstellungen, was HIV anbelangt." Frank Kreutzer, Deutsche Aidshilfe Saar"Viele glauben immer noch, man sieht es den Infizierten an, dass sie HIV-positiv sind."Danica Lehnhoff

StichwortMit HIV haben sich in Deutschland etwa 83 000 Menschen infiziert, davon um die 900 im Saarland. Die Gesamtzahl der Todesfälle beläuft sich auf zirka 27 500 (im Saarland: etwa 325). Die Zahl der saarländischen Neuinfizierten im Jahr 2008 wird auf 25 und bundesweit auf 3 000 geschätzt. Nur etwa 350 Neuinfizierte waren Frauen. 2008 sind geschätzt etwa zehn Menschen im Saarland an Aids gestorben. Quelle: Robert-Koch-Institut. gda

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