Ein Parallelleben als Pornodarsteller „Ich kann mir kein Leben ohne Porno vorstellen“

Saarbrücken · Die Spanier Zeus und Stiff führen nach außen hin ein ganz gewöhnliches Leben. Sie fallen höchstens mal auf, weil sie ein schwules Paar sind. Ihr kleines Geheimnis: Sie drehen seit Jahren Pornos. Was macht das mit ihnen?

 Stiff Vargas (links) und daneben seinen Ehemann Zeus.

Stiff Vargas (links) und daneben seinen Ehemann Zeus.

Foto: Rich Serra

Eigentlich suchte Stiff am Valentinstag vor drei Jahren nur die schnelle Nummer, den gewohnten Dating-Kick. Er suchte das, was er schon seit Jahren immer wieder sucht. Gut bestückte Männer. Männer ohne Hemmungen. Männer, die ihm das geben, was er braucht. Immer wieder.

Deshalb wischte er in seiner Dating-App Grindr so lange nach links, bis Zeus auf seinem Bildschirm erschien. Es machte Klick. Er schenkte ihm ein Herz, bekam innerhalb weniger Sekunden eins zurück. Heute sind die beiden Männer aus Spanien verheiratet.

Das erzählt der etwas schüchtern wirkende Stiff an einem Dienstagmittag in einem Saarbrücker Café. Er ist gekommen, um über die „vida paralela“ zu sprechen. Über das Parallelleben. Über die ganz eigene Welt zweier Pornodarsteller.

Neuanfang im Saarland

Seit knapp einem Jahr lebt Stiff mit seinem Partner im Saarland. Was sie hier machen, soll geheim bleiben. Auch wenn sie gleichzeitig ausdrücklich wollen, dass ihr Foto in der Zeitung erscheint.

Hier leben sie diskret, zurückgezogen, in der Saar-Community sind sie noch nicht ganz angekommen. Wie auch? Stiff, der eigentlich einen anderen Namen hat, spricht kaum ein Wort Deutsch. Wenn er „Schritt für Schritt“ meint, sagt er „Langsam, langsam“. Lacht dann kurz und gibt damit zu verstehen, dass seine Sprachkenntnisse damit ausgeschöpft sind.

Wie alles begann

 Die Pornodarsteller Stiff (rechts) und Zeus Vargas beim Kaffeetrinken in Saarbrücken.

Die Pornodarsteller Stiff (rechts) und Zeus Vargas beim Kaffeetrinken in Saarbrücken.

Foto: Fatima Abbas

Pornos dreht der 45-Jährige mit der Glatze seit dem Sommer 2016. Kurz nachdem er Zeus im Internet kennengelernt hat.

Kurz nachdem ihm das widerfuhr, was er mit dem spanischen Wort „morbo“ beschreibt. Eine exakte Entsprechung gibt es im Deutschen nicht. Das Online-Wörterbuch Pons übersetzt es mit „krankhaftem Interesse“. Ein Interesse, das Stiff erst angezogen, dann ausgezogen hat. Und wieder lacht er mit hochgezogener Augenbraue: „Wir drehen Pornos, weil wir gerne vögeln.“

Dann bestellt er Kaffee. Früher habe er 16 am Tag getrunken, jetzt sei er mit sechs bis zehn „moderat“ unterwegs. Er lächelt, nuschelt sein katalanisches Spanisch und gestikuliert. Plaudert viel aus dem verruchten Nähkästchen. Die Kellnerin in Sichtweite ist für ihn kein Hindernis, sein Handy zu zücken und eine Szene mit Zeus zu zeigen. Während Stiff Nintendo spielt, schiebt sich sein Partner Zeus einen Vibrator in den Anus. In einem anderen Film taucht Stiff plötzlich mit Sturmmaske auf und fordert von Zeus, der hinterm Tresen steht, das Geld aus der Kasse. Er bekommt am Ende nicht nur das Geld.

Dann legt Stiff das Handy beiseite und schwärmt. Ja, sein Mann Zeus, der drehe seit zwölf Jahren. Der sei ein Profi, in der Heimat Barcelona werde er gefeiert wie ein Star, wie einer der ganz Großen. 2017 sei er für den Pornodarsteller-Preis Ninfa nominiert gewesen. 230 Filme habe er auf dem Buckel.

Über Geld spricht man in der Branche nicht so gerne. Die Gagen variieren je nach Bekanntheitsgrad, je nach Marktwert in den sozialen Netzwerken. 18 bis 26 Minuten, so die übliche Länge. Mal gemeinsam, mal mit anderen, mal gemeinsam mit anderen.

Sex-Shows und Eifersucht

Während Stiff all das erzählt, leuchten seine Augen. Doch in das Leuchten mischt sich sekundenweise etwas Düsteres, ein Aufflackern von Traurigkeit. „Wenn Zeus aufhören würde, würde ich das auch sofort tun“, sagt der 45-Jährige. Dann schielt er aufs Handy. Es ist kurz nach 13 Uhr. Zeus schläft noch. Vielleicht ist sein Mann bald wach. Stiff will ihm dann den Standort schicken.

„Weißt du, er fragt sich immer, mit wem ich gerade unterwegs bin. Er ist sehr eifersüchtig.“

„Du nicht?“

„Doch, sehr sogar.“

„Wie macht ihr das bloß?“

Ein tiefer Seufzer. Stiff steht auf und sucht den Ausgang. Jetzt braucht er schnelles Nikotin.

„Natürlich ist das hart, ihn beim Sex mit anderen zu sehen. Bei einigen Shows muss ich mich von der Bühne entfernen, weil ich es nicht mit ansehen kann.“ Shows, zu denen laut Stiff auch mal mehrere tausend Zuschauer kommen. Menschen, die ihn und seinen Mann beim Akt anfeuern. Shows, die sie mal nach Berlin, Bordeaux, Valencia oder Porto treiben. Die großen Auftritte, die Stiff anfangs am liebsten gemieden hätte, weil er sich abgrundtief geschämt hat. „Doch man gewöhnt sich irgendwie dran.“

Die Liebe zu Zeus ist größer als die Scham. „Ich habe mich zuerst in seinen Schwanz verliebt.“ Und Stiff ist vermutlich nicht der Einzige, dem es so ergangen ist.

Ein Star der sozialen Netzwerke

Denn Zeus inszeniert sich gerne als Sex-Symbol. Wer ihn bei Facebook sucht, findet eine griechische Gottheit in Calvin-Klein-Unterwäsche. „Model und Pornodarsteller“. Lasziver Blick, Skorpion-Tattoo auf der Leiste, 118 Likes – allein für das Foto. Seine offizielle Berufsbezeichnung: „Sex“. Ein paar Klicks weiter gibt der 33-Jährige im Profil der Seite fuckermate.com statt der Körpergröße die Penisgröße an. 19 Zentimeter.

28 100 Fans schenken ihm auf Twitter ein „Gefällt mir“. Wenn ihn die Plattform nicht immer wieder wegen Inhalten unter der Gürtellinie blockieren würde, wäre sein Gefällt-Mir-Stamm womöglich noch größer. Stiff erreicht im Vergleich gerade einmal knapp 1600 Likes.

Vom Kennenlernabend bis zum gemeinsamen Neuanfang

Dass sich mehr aus dem Grindr-Date vor drei Jahren ergeben würde, hätten beide nicht gedacht. Zumal Stiff zuvor nichts mit Pornos am Hut hatte.

Zeus offenbart Stiff noch am Kennenlernabend, womit er sein Geld verdient. Und dass in seinem Vertrag stehe, dass er keinen festen Partner haben dürfe. Sie verstecken sich, bis sie ein Bekannter beim Knutschen erwischt. Das erzählt Zeus nun höchstpersönlich. Er schwingt sich neben seinen Partner, der jetzt automatisch schweigsamer wird. Zeus rührt in seinem XXL-Kaffee und erzählt, dass er am Ende Stiff zuliebe gekündigt hat. „Hallo! Ich bin Zeus. Ich kann überall was kriegen!“ Dann lacht er schrill, entblößt mitten im Café seinen Rücken, um ein Tattoo zu zeigen: „Ich glaube an mich“.

Deshalb hat er auch den Schritt ins Saarland gewagt. Er glaubt an sich. Und daran, sich jenseits der Pornobranche hier gemeinsam mit Stiff etwas aufbauen zu können.

Saarbrücken sei der erste Ort außerhalb Spaniens gewesen, an dem er Pornos gedreht habe. Doch dann seien die Vorschriften verschärft worden. Das hiesige Innenministerium kann auf Anfrage keine entsprechenden Vorschriften ausmachen. Nach Rücksprache mit dem Landespolizeipräsidium heißt es schriftlich: „Hier sind keine besonderen gesetzlichen Regelungen oder sonstigen Bedingungen bekannt, unter denen Pornofilme gedreht werden können oder nicht.“ Zeus sagt, sein erster Porno im Saarland sei in einem Hotelzimmer entstanden. Das Wirtschaftsministerium weist darauf hin, dass es sich in diesem Fall um einen privatrechtlichen Vertrag zwischen Hotelbetrieb und Produktionsfirma handelt. Auf gut Deutsch: Was im Hotelzimmer geschieht, bleibt im Hotelzimmer.

Doch das war damals. Heute leben Zeus und Stiff ihre Abenteuer nur noch in den Hotelzimmern der Heimat. Seitdem sie im Saarland sind, nur noch wenige Male im Jahr.

Ein Leben am Limit

Dass die beiden noch ein Paar sind, ist nicht selbstverständlich. Nur wenige halten dem Druck, der Eifersucht, den Intrigen der Branche stand. Was beiden klar ist: Zeus würde Stiff eher verlassen, als die Pornos aufzugeben. Diskotheken, Fiesta und Sex. Das ist sein Leben. „Wenn du einmal angefangen hast, ist es schwer, damit aufzuhören. Ich kann mir kein Leben ohne Porno vorstellen“, sagt Zeus. Sagt der Mann, dem man auf den ersten Blick gar nicht zutrauen würde, dass er einen 18-jährigen Sohn alleine großgezogen hat. Dass er kürzlich Großvater geworden ist. Mit 33. Zum Verständnis: Bis zu seinem 23. Lebensjahr hatte Zeus noch Beziehungen zu Frauen. Die Ehe mit Stiff begann im September 2017.

„Wenn du dich für einen Star hältst, kannst du tief fallen“, sagt Zeus wie aus heiterem Himmel und erwähnt Freddie Mercury. Um wie in Portugal 17 Shows am Tag durchzuhalten, sei ein kleiner pulvriger Helfer schon mal nötig. Viagra gehört seit Jahren zum Standardrepertoire.

Um HIV vorzubeugen, nehmen die beiden eine Pille, PrEp - „Prä-Expositions-Prophylaxe“. Kondome: eher selten. Stiff erzählt, dass es in der Szene Leute gebe, die nur auf Partys gingen, um sich absichtlich anzustecken. Diese Partys hätten sogar einen eigenen Namen. „Fiestas de las Infecciones“, zu Deutsch: Ansteckungspartys. „Das ist richtig krank“, sagt Stiff und schüttelt den Kopf.

So weit wollen er und Zeus nicht gehen. Auch wenn Grenzen in der Szene ein fragiles Konstrukt sind.

„Was hat der Porno mit dir gemacht, Stiff?“

„Ich habe die Scham verloren. Ich habe Selbstsicherheit gewonnen.“

„Und mit dir, Zeus?“

„Es ist mein Leben.“

„Wann hört dieses Leben auf?“

„Vielleicht gehe ich mit 40 in Rente.“ Zeus lacht. Stiff zuckt mit den Achseln. Das „Leben danach“ muss offenbar noch warten. Jetzt rauchen sie erst mal eine. Bevor sie sich bald wieder gemeinsam auf die Suche nach gut bestückten Männern begeben.

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