Eine Region probt den Ernstfall

Saarbrücken. Es ist acht Uhr am Morgen. Im französischen Cattenom, zwölf Kilometer von der saarländischen Grenze entfernt, ereignet sich ein Störfall. Kühlmittel tritt durch ein Leck im Kühlmittelkreislauf eines der vier Druckwasserreaktoren im örtlichen Kernkraftwerk aus. Die Temperatur im Reaktor steigt

Saarbrücken. Es ist acht Uhr am Morgen. Im französischen Cattenom, zwölf Kilometer von der saarländischen Grenze entfernt, ereignet sich ein Störfall. Kühlmittel tritt durch ein Leck im Kühlmittelkreislauf eines der vier Druckwasserreaktoren im örtlichen Kernkraftwerk aus. Die Temperatur im Reaktor steigt. Der Kraftwerksbetreiber setzt eine Alarmmeldung an die zuständigen Behörden in den Anrainerstaaten ab.Dieser fiktive Unfall ist der Ausgangspunkt einer länderübergreifenden Katastrophenübung, die gestern und heute in Saarbrücken durchgeführt wird. An der Stabsrahmenübung mit dem Namen "Exercices Nucléaires '3 en 1'" (Nuklear-Übung drei in eins) nehmen Krisenstäbe aus Frankreich, Luxemburg, Belgien Rheinland-Pfalz und dem Saarland teil. Örtliche Einsatzkräfte wie Feuerwehr oder Rotes Kreuz sind an diesem ersten Teil der Übung nicht beteiligt.

"Unser Ziele ist es, mit dieser Übung herauszufinden, wie unser Krisenmanagement funktioniert", sagt Uwe Schröder vom saarländischen Innenministerium, der die Übung koordiniert. Es gehe darum, ein Kommunikationsnetzwerk aufzubauen, sich mit den Partnern im In- und Ausland abzusprechen und verlässlich Informationen auszutauschen.

9.30 Uhr im fiktiven Szenario: Anwohner in Perl beobachten eine dunkle Rauchwolke über dem AKW Cattenom. Hubschrauber kreisen über der Stadt. Besorgte Bürger wählen den Notruf. Erste Gerüchte über einen Unfall im Kraftwerk machen die Runde.

"Für uns ist es wichtig, dass die Menschen in der Großregion sofort und einheitlich informiert werden", sagt Schröder. Die Öffentlichkeit werde "an der Lage orientiert" informiert, es würden keine Informationen zurückgehalten. Eine erste Pressemitteilung sei bei der Übung bereits zwei Stunden nach dem simulierten Unfall herausgegeben worden. Im Notfall würden die Bürger über Lautsprecherdurchsagen, Alarmsirenen und Radio- und Fernsehsendungen über die aktuelle Lage informiert.

Im Übungsszenario meldet der Kraftwerksbetreiber um 13 Uhr eine Verschlimmerung der Situation. Nach aktuellen Prognosen ist eine Kernschmelze in den nächsten 24 Stunden nicht mehr auszuschließen. Die Meldung gelangt im Saarland ins 250 Mann starke Krisenzentrum im Saarbrücker Landespolizeipräsidium. Hier müssen aufgrund der aktuellen Informationslage schnelle Entscheidungen getroffen werden. Strahlenschutzberater bewerten die gemeldeten Prognosen und schlagen daraufhin Maßnahmen vor. In der Übung lauten die Empfehlungen: Evakuierung eines Bereichs von zwei Kilometern rund um das Atomkraftwerk, Personen in einem Bereich von vier Kilometern sollen sich in ihre Häuser begeben und Fenster und Türen schließen, im Umkreis von sieben Kilometern sollen Jod-Tabletten ausgegeben werden. Welche Maßnahmen zum Einsatz kommen, entscheidet die politische Führung.

"In der Übung wird es am Ende nur zu einem örtlich begrenzten Austritt von radioaktiven Stoffen kommen", erklärt Schröder. Man habe nicht den größtmöglichen Unfall für das Übungsszenario gewählt, weil zuerst getestet werden soll, wie die Zusammenarbeit in der Großregion funktioniert.

Die saarländische Innenministerin Monika Bachmann (CDU) besuchte den Krisenstab am Nachmittag. "Mit der Übung wollen wir keine Katastrophe herbeireden", sagte sie, "wir wollen unsere Kompetenzen in der Großregion zusammenwürfeln und voneinander lernen. Die Ergebnisse der Übung sollen nicht in der Schublade verschwinden, sondern ausgewertet werden und zur Verbesserung der Katastrophenschutzmaßnahmen beitragen."

Im Anschluss an die Übung sind noch zwei weitere geplant. Die zweite Übung findet im Dezember unter Leitung Luxemburgs statt. Den letzten Teil der Übungsreihe übernimmt Frankreich im Frühjahr 2013.

 Proben für den Ernstfall: Einsatzbesprechung im Krisenzentrum des Landespolizeipräsidiums in Saarbrücken. Foto: Dietze

Proben für den Ernstfall: Einsatzbesprechung im Krisenzentrum des Landespolizeipräsidiums in Saarbrücken. Foto: Dietze

Die Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und dem Saarland, Kurt Beck (SPD) und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), forderten jüngst die Abschaltung des Atomkraftwerks in Cattenom. Allein in diesem Jahr kam es, nach Angaben der Bürgerinitaive "Cattenom Non Merci", zu zehn sicherheitsrelevanten Ereignissen.

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