Merkur-Interview  Wie Jugendliche die Corona-Pandemie erleb(t)en „Endlich wieder Leute treffen“

Die Corona-Pandemie dauert schon über zwei Jahre. Sie hat vor allem Jugendlichen eine der wichtigsten Phasen ihres Lebens geraubt. Der Merkur sprach mit vier 17- bis 21-Jährigen aus Zweibrücken und Umland darüber, was besonders schlimm für sie war in der Pandemie – aber auch über seltene Glücksmomente.

 Abi-Foto mit Masken: Nur ein Beispiel dafür, wie die Pandemie die Schulzeit verändert hat (Bild: Helmholtz-Abiturienten 2022).

Abi-Foto mit Masken: Nur ein Beispiel dafür, wie die Pandemie die Schulzeit verändert hat (Bild: Helmholtz-Abiturienten 2022).

Foto: Volker Baumann

Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal von Corona in Deutschland gehört hatten?

Julian G. (21): Ich habe von Corona zuerst durch Scherze auf Instagram erfahren und über Sie gelacht. Ich habe nicht daran geglaubt, dass es etwas Ernsthaftes wird.

Ben S. (19): Ich auch. Man hört öfter davon, dass irgendwo eine neue Krankheit ausgebrochen ist. In den Medien wird dann über mehrere Wochen Panik verbreitet und passieren tut aber nichts.

Julian G.: Man hat es oft mit einer Grippe verglichen, bis man mehr dazu erfahren hat.

Ben S.: Ganz am Anfang hat man sich auch noch nicht wirklich eingeschränkt. Abstand halten ja, aber mit Freunden habe ich mich trotzdem getroffen.

Saskia W. (17): Ich wusste auch nicht so recht, was Corona sein soll, und hatte deswegen ein wenig Angst.

Michelle S.: Da ich keine Nachrichten oder Ähnliches schaue, habe ich erst kurz vor dem Lockdown davon erfahren. Und dann hab ich mich einfach über die zusätzlichen „Ferien“ gefreut.

Wie haben Sie sich gefühlt, als die Einschränkungen immer weiter zunahmen?

Julian G.: Am Anfang war es mir relativ egal. Da ich kurz vor meinem Abi stand, hat sich nicht viel verändert.

Michelle S.: Für mich hat sich auch nicht viel geändert, deswegen hat es mich nicht wirklich interessiert.

Saskia W.: Mir war es nicht mehr egal ab dem Zeitpunkt, ab dem ich meinen Freund nicht mehr sehen konnte.

Michelle S.: Ja, stimmt. Meinen Freund nicht sehen zu können war schwer.

Ben S.: Als sich noch nicht viel geändert hatte im Alltag, war es noch nicht schlimm. Kleinere Einschränkungen wie Maske tragen oder Abstand halten waren kein Problem. Aber die Kontakteinschränkungen waren dann doch sehr belastend.

Saskia W.: Ich habe mich über die Online-Schule jedoch gefreut. Es war zwar eine Umgewöhnung, aber eigentlich ganz entspannt.

Was war Ihre erste Reaktion, als der Lockdown angekündigt wurde?

Saskia W.: Ich fand die Vorstellung, nicht rausgehen zu können, sehr unangenehm.

Julian G.: Zu dem Zeitpunkt habe ich dann mein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) an einer Schule gerade erst angefangen und es entstanden einige Fragen. Muss ich jetzt noch arbeiten? Wenn ja, wie genau? Die Antworten hat man immer nur sehr kurzfristig erhalten.

Ben S.: Es gab eine relativ große Unsicherheit darüber, wie es weitergehen soll. Ich wusste schon, dass eine lange Isolierung sehr schwer für mich wird. Und direkt nach dem ersten Versuch am Online-Unterricht hat man gemerkt: Da klappt ja gar nichts!

Michelle S.: Da ich sowieso nicht viel rausgehe, hat es mich nicht weiter eingeschränkt, und ich fand es okay. Es war aber ein ungutes Gefühl, gezwungen zu werden drinnen zu bleiben.

Julian G.: Es war irgendwie ein seltsames Gefühl. Niemand hat so recht verstanden, wie schlimm es ist – und auf einmal steigern sich die Einschränkungen quasi von null auf hundert.

Wie erging es Ihrem Umfeld und Ihrer Familie mit der Situation?

Julian G.: Es gab viel Angst. Meine Mutter kümmert sich um meine Großeltern und hat immer befürchtet, dass ich oder mein Bruder das Virus mitbringen könnten und sie daran sterben. Deswegen hat sie auch alle Maßnahmen noch verstärkt. Bei der kleinsten Erkältung galt: Fünf Meter Abstand, Masken tragen wenn andere im Raum sind und permanent lüften.

Saskia W.: Meine Eltern hat es nicht viel interessiert. Nur als meine Oma ins Krankenhaus gekommen ist, hatten sie Angst vor einer Infektion.

Michelle S.: Bei uns war es jedem egal. Keiner hat es beachtet.

Ben S.: Meine Mutter ist Lehrerin. Sie war sehr gestresst in dieser Zeit. Mein Vater hingegen konnte permanent im Homeoffice bleiben und war eher entspannt. In meinem Freundeskreis war es auch sehr unterschiedlich. Manche haben sich über weniger Schule und mehr Freizeit gefreut, andere waren immer im Stress, da wir viele Noten in sehr wenig Zeit machen mussten. Richtige Sorge entstand aber erst nach den Informationen über Long Covid.

Julian G.: Ja, es hieß immer, dass nur die Alten und Kranken etwas zu befürchten hätten – und dann hört man auf einmal von 20-Jährigen, die nicht mehr die Treppe hochlaufen können. Man hat gemerkt, dass Freunde in auf einmal besorgt waren.

Wie haben Sie die Zeiten im Lockdown verbracht?

Saskia W.: Online-Schule und Vorbereitung für meine Abschlussprüfung. Zu mehr kam ich nicht. Als die vorbei war, habe ich Videospiele gespielt.

Julian G.: Die Notbetreuung im FSJ, dann Online-Vorlesungen, verzweifeln und zocken.

Ben S.: Relativ verschieden. Aber viel Homeschooling, mit Leuten draußen treffen und Fahrrad fahren oder einzeln mit Leuten treffen. Das aber eher selten. Meinen 18. Geburtstag habe ich dreimal mit je zwei Leuten über mehrere Wochen gefeiert. Das war nicht wirklich, wie man es sich vorgestellt hatte.

Julian G.: Wir konnten sehr froh sein, dass wir in der Online-Zeit leben. Es war zwar kein perfekter Ausgleich, aber immerhin ein kleiner Trost.

Ben S.: Ja, aber dabei fehlt schon viel. Vor allem Mimik und Gestik. Es fühlt sich nicht gleich an.

Julian G.: Man hat während der Pandemie auch viele Hobbys gesucht. Während des Abis habe ich kaum noch Gitarre gespielt aus Zeitmangel, aber im Lockdown habe ich wieder angefangen. Ich habe auch viel gezeichnet und gelernt zu animieren.

Saskia W.: Ich habe auch viel gezeichnet und animiert! Außerdem habe ich noch gelernt, Spiele zu programmieren.

Michelle S.: Na ja, ich habe auch einfach Videospiele gespielt.

Was war das Schlimmste für Sie in den Lockdowns?

Michelle S.: Das Gefühl, dass man eingesperrt wird. Es war notwendig, aber sehr unangenehm.

Saskia W.: Dass ich meinen Freund drei Monate nicht sehen konnte, war schrecklich für mich.

Ben S.: Für mich waren es die fehlenden sozialen Interaktionen. Ich bin ein Mensch, der sowas einfach braucht, ansonsten werde ich schlecht gelaunt und schnell reizbar. Online reicht dafür nicht.

Julian G.: Meine Freundin nicht sehen zu können. Und: so das Studium zu beginnen. Niemanden beim Studieren kennenlernen und keinen Austausch über die Aufgaben zu haben, macht es viel schwerer und nimmt einem den Spaß. Man sitzt von morgens bis abends am Laptop, schaut sich die Vorlesungen an und versucht die Augen offen zu halten, während der Professor monoton seinen Stoff abarbeitet. Man fühlt sich ganz auf sich alleine gestellt. Und wenn man etwas nicht versteht, macht man sich sehr viel Stress. Dazu noch sieben Tage die Woche zuhause zu sitzen, sorgt dafür, dass man mental irgendwann sehr belastet und ermüdet ist.

Gab es auch positive Aspekte an dieser Zeit?

Julian G.: Am Anfang hat Spaß gemacht, drinnen zu bleiben und viel zu zocken. Vor allem, dass es nicht nur akzeptiert war, sondern sogar gewünscht.

Ben S.: Das hat auf jeden Fall die Prioritäten geändert. Man hat auf einmal auch mal mehr Geld für Spiele investiert, statt in Aktivitäten draußen. Eine Zeit lang hat das Spaß gemacht.

Julian G.: Es war wie Ferien. Aber da man immer weniger zu tun hatte, war es dann nach vier Wochen auch sehr langweilig.

Saskia W.: Ein positiver Aspekt war definitiv, während der Online-Schule im Schlafanzug im Bett liegen und dabei zu essen wann man will.

Michelle S.: Das würde ich auch sagen. Nicht in die Schule fahren und mich fertig machen zu müssen, sondern stattdessen einfach zuhause zu bleiben, war schon angenehm.

Wie war Ihre Schulzeit während des Lockdowns?

Julian G.: Als es so richtig angefangen hat, war ich mit meinem Abitur fertig. Es war sehr schade, dass wir keinen Abiball hatten, aber daran konnte man nichts ändern. Mein FSJ in der Schule war dafür sehr entspannt. In Notbetreuung waren meist nur wenige Kinder. Die Studienzeit war wie gesagt schrecklich.

Ben S.: Am Anfang waren die Schulen sehr unvorbereitet und kamen mit der Situation nicht klar. Alles hat sehr lange gedauert. Dass man bei den langweiligen Fächern etwas anderes nebenbei machen konnte, war angenehm, jedoch hatte man immer sein bald kommendes Abi im Blick. In vielen Fächern, vor allem Leistungskursen, hat man nichts verstanden. Man hat jede Woche Arbeitsblätter bekommen; es wurde erwartet, dass man die dann einfach kann und der Inhalt wurde auch im Abi abgefragt.

Julian G.: Alle haben immer gesagt wie schwer es ist, jedoch hat keiner was geändert. Es war der gleiche Stoff in viel weniger Zeit auf einer völlig neuen Plattform.

Ben S.: Die Jahrgangsstufe unter uns hat Themen gestrichen bekommen. Aber bei uns, obwohl unsere komplette abiturrelevante Zeit von Corona eingeschränkt war, wurde das Abitur normal abgehalten mit dem ganzen Stoff.

Saskia W.: Am Anfang von Corona stand ich kurz vor der Abschlussprüfung und auf einmal gab es Online-Schule. Dafür wurden Videos und Aufgaben von allen Themen online gestellt. Das war weit besser für Leute, die nicht so gut im Unterricht aufpassen. Außerdem wurden Themen für die Prüfung gestrichen, was ich sehr gut fand. Wenn wir jedoch in der Schule waren, waren die Maßnahmen schrecklich. Man musste durch das ganze Gebäude laufen, nur um auf Toilette zu gehen und dann ganz außen herum um wieder zurückzukommen.

Michelle S.: Ich fand den Online-Unterricht langweilig. Es gab die Aufgaben per E-Mail, da die Schule zu unfähig für bessere Methoden war. Und da es immer die gleichen Aufgaben waren, hat man auch nichts gelernt.

Saskia W.: Bei uns auch, und es gab ein Riesen-Durcheinander mit den E-Mails.

Julian G.: Ich habe in der Notbetreuung auch gesehen, dass der Unterschied zwischen Kindern, welche zuhause Hilfe bekommen und denen, wo dies nicht der Fall ist, extrem war und immer extremer wurde.

Ben S.: Bei uns sind auch extrem viele sitzengeblieben oder freiwillig zurückgegangen im Vergleich zu anderen Jahrgängen. Unser Stammkurs hat sich fast halbiert.

Was ist Ihre Meinung über den Umgang der Politik mit der Pandemie?

Julian G.: Am Anfang wurde sehr lasch reagiert. Dann hat man versucht, das nachzuholen, was nicht geklappt hat. Erst hat man an Vernunft appelliert, aber versagt, die Menschen über Corona richtig aufzuklären – und sich so zur schlimmsten Zeit das Vertrauen verspielt. Es hat Entlastung für Leute gefehlt, die es nötig hatten, und man hat schlecht auf „alternative“ Meinungen reagiert.

Ben S.: Ja, es ist traurig, wie viele Leute sagen, dass sie keine Ahnung mehr haben, wem sie vertrauen sollen. Die Politik war sich zu oft uneinig, hat ihre Meinung zu oft geändert und Skandale wie die Maskendeals hätte man sich nicht erlauben können.

Julian G.: Man hätte auch einfach mehr auf die Wissenschaft hören sollen. Wissenschaftler sagen eine Sache, woraufhin die Politik etwas völlig anderes macht und dann überrascht ist, wenn die Dinge passieren, die die Wissenschaftler angekündigt haben.

Saskia W.: Ich hab keine Ahnung. Meiner Meinung nach hätte man am Anfang mehr durchgreifen müssen und direkt alles schließen sollen, sodass keiner sich mehr ansteckt, aber das wäre auch schwierig gewesen mit Jobs und der Wirtschaft.

Michelle S.: Ja, finde ich auch.

Ben S.: Außerdem hat es sich so angefühlt, als wären der Politik am Anfang Jugendliche komplett egal gewesen. Das hat sich auch nicht viel gebessert.

Haben Sie sich immer an alle Beschränkungen gehalten?

Julian G.: Ja.

Saskia W.: Ja.

Ben S.: Ja.

Michelle S.: Nein, es gab trotz Kontakteinschränkungen manchmal Familientreffen mit mehr als den erlaubten Personen.

Ben S.: Na ja, ich kenne aber auch Menschen die sich mit 30 Leuten getroffen haben, um zu feiern.

Julian G.: Es hatte immer einen schlech­­ten Beigeschmack, wenn du dich selbst an alles hältst und dann Leute siehst, die sich an nichts halten und zum Beispiel in der Öffentlichkeit keine Maske tragen.

Ben S.: Das waren auch nicht nur Jugendliche, sondern auch viele ältere Menschen.

Julian G.: Ja, das stimmt.

Was hat Ihnen am meisten durch diese Zeit geholfen?

Julian G.: Meine Freundin und Computerspiele.

Ben S.: Die Hoffnung, dass es bald vorbei ist.

Saskia W.: Mit meinem Freund viel zu telefonieren – und zocken.

Michelle S.: Online-Freunde und Computerspiele.

Saskia W.: Mehr gab es ja auch nicht mehr.

Wie gehen Sie nun mit Ihrer wiedergewonnenen Freiheit um? Versuchen Sie, die verpasste Zeit nachzuholen – oder ist alles wieder wie davor?

Michelle S.: Für mich hat sich nichts geändert vor, während und nach Corona.

Julian G.: Ich bin froh, dass man wieder feiern, sich mit Leuten treffen und essen gehen kann.

Ben S.: Man kann einige Sachen jetzt nach der Schule nicht mehr nachholen, die man in der Zeit so gemacht hätte. Aber ansonsten hat sich nicht viel geändert im Vergleich zu davor.

Saskia W.: Es ist eigentlich fast gleich wie davor. Aber ich trage trotzdem noch die Maske, einfach um sicher zu sein.

Ben S.: Ich auch, ich war außerdem in letzter Zeit etwas krank, und da ist es auch einfach besser für die Menschen um mich herum.

Julian G.: Ich sehe es nicht wirklich als wiedergewonnene Freiheit, da ich mich nie eingesperrt gefühlt habe. Man hat sich zurückgehalten, um seinen Mitmenschen zu helfen – und jetzt wird es wieder normal.

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