Lesung mit Silvia Bervingas und Matthias Wolf in Zweibrücken Witzige, teilweise verstörende Zeitzeugnisse: Liebesbriefe an Hitler

Zweibrücken · In einer szenischen Lesung stellten Silvia Bervingas und Matthias Wolf im Herzogsaal Liebesbriefe an Adolf Hitler vor. Die Veranstaltung im Begleitprogramm der Ausstellung „Gurs 1940“ fand in Zusammenarbeit mit dem Historischen Verein Zweibrücken statt.

 Matthias Wolf und Silvia Bervingas stellten im Herzogsaal Briefe an Adolf Hitler vor.

Matthias Wolf und Silvia Bervingas stellten im Herzogsaal Briefe an Adolf Hitler vor.

Foto: Susanne Lilischkis

Sie brachten ihre Gedanken beim Strümpfestopfen zu Papier, beim Warten auf Ehemänner und Söhne, die im Krieg kämpften, oder nach der Arbeit bei der Dresdner Bank. Oft über Jahre hinweg versuchten Frauen im Dritten Reich ihr Idol Adolf Hitler mit Liebesbriefen zu umgarnen. Diese teilweise witzigen, teilweise verstörenden Zeitzeugnisse wurden von einem amerikanischen Soldaten deutscher Herkunft nach Kriegsende in der ausgebombten Reichskanzlei gefunden. 50 Jahre später veröffentlichte er sie in einem kleinen Buch, aus dem Silvia Bervingas in einer szenischen Lesung am vergangenen Mittwoch im Herzogsaal zitierte.

„Adolflein, darf ich bald zu dir kommen? Ich küsse dich auf deine vier Buchstaben“, schreibt eine Eva. Und eine „Frau aus dem Sachsenland“ wird gleich deutlicher: „Ich möchte ein Kind von Ihnen haben.“

Silvia Bervingas gab jeder Frau eine Persönlichkeit. Gekonnt wechselte sie zwischen der koketten Verführerin, der einsamen Hausfrau und der enttäuschten Liebenden hin und her. Das Publikum war sofort gefesselt von den Dramen, die sich in den Briefen entfalteten. „So geht in rasender Eile das bisschen Leben vorbei“, schreibt eine Verfasserin, eine andere meint: „Ich habe mir vorgenommen, eine alte Junggesellin zu werden, mir gefällt doch sonst kein Mann.“

Matthias Wolf untermalte am Kontrabass das Geschehen musikalisch. Dunkle, unheilschwangere Töne ließen hinter den teilweise spaßigen Beiträgen die Schrecken des Krieges erahnen. Gekonnt dekonstruierte er das Deutschlandlied, entlockte seinem Instrument schrille Töne, wie es einst der virtuose Gittarist Jimi Hendrix anlässlich des Vietnamkrieges mit der amerikanischen Nationalhymne tat.

Die im Deutschlandlied genannten deutschen Frauen schrieben noch bis Kriegsende an die Reichskanzlei und ihren geliebten Führer. „So gerne ginge ich auch an die Front“, bietet S. am 16. Juni 1940 an. Einen Tag vorher war die 18. Armee der Wehrmacht in Paris einmarschiert. „Propagandaministerin wäre eine Beschäftigung, die mir liegen würde“, ist sich Maria W. sicher.

Immer wieder schob Silvia Bervingas Informationen über die Lage der Frauen im Dritten Reich ein. In Erlassen und Befehlen wird der deutschen Frau ihr Platz zugewiesen – und der liegt in der Familie. Ihre Aufgabe war es in erster Linie, Kinder zu bekommen und dem Mann den Rücken freizuhalten. „Ihr seid auf Befehl des Führers als letzte Söhne aus der Front zurückgezogen worden. Diese Maßnahme ist erfolgt, weil Volk und Staat ein Interesse daran haben, das eure Familien nicht aussterben“, befahl Heinrich Himmler seinen SS-Männern am 15. August 1942. Heimgehen, Kinder zeugen, dann zurück an die Front – zynischer kann man die Schrecken des Krieges kaum beschreiben.

Bervingas und Wolf spielten gekonnt auf der Klaviatur der Emotionen. Standen am Anfang der Lesung noch erotische oder witzige Briefe im Vordergrund, wurde mit fortschreitender Zeit das Vergebliche der Schreiben und das Aussichtslose der Situation dieser Frauen deutlich. „Ich habe jetzt acht Jahre gewartet“, schreibt Frau A. in ihrem Geburtstagsgruß an den Führer. Martha K. beschließt: „Wenn du nicht willst, muss ich mir jemand anderen suchen. Gib mir Bescheid.“ Währenddessen hinterlegt Margarethe sicherheitshalber ihren Wohnungsschlüssel bei der Vermieterin ihres winzigen Zimmers, das sie nach der Flucht beziehen muss. Falls Adolf Hitler zu Besuch kommen sollte und sie ist nicht da.

Matthias Wolf zeigte auf seinem Instrument mit ständigen Wiederholungen die Aussichtslosigkeit der Briefe und das Liebesleid ihrer Verfasserinnen. Manche von ihnen schreiben sich um Kopf und Kragen. „Ich hörte eine Stimme in meinem Kopf, sie sagte: Du sollst des Führers Frau werden. Ich weiß, dass ich in ein Konzertlager kommen kann. Aber es ist mir egal. Dann sehe ich mal eine nationale Einrichtung von innen.“ Es waren diese Ausflüsse von Naivität und Verblendung, die das Publikum frösteln ließen. Erreicht haben die Briefe den Führer wahrscheinlich nie. Auswirkungen für die verliebten Frauen hatten sie aber doch. So manche eifrige Briefschreiberin wurde in eine Heilanstalt eingewiesen. „Damit dieser Unsinn aufhört“, wie die Reichskanzlei schreibt.

Nach der Veranstaltung diskutierten die Besucher die Parallelen, die man in der aktuellen Situation sehen könnte. Wieder hat ein Diktator einen blutigen Angriffskrieg begonnen. Ein Diktator, der sich in ähnlicher Weise als starker Mann inszeniert, wie wir Deutschen es aus unserer Geschichte kennen. Auch das machte die szenische Lesung von Bervingas und Wolf hochaktuell.

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