Glosse Digital entgiften

Für einen Menschen mittleren Alters klingt „Detox“ verlockend. Deutet es doch an, dass er sich lästiger Gifte entledigen kann. Und diese sind bestimmt allein schuld daran, dass er sich manchmal älter fühlt und anfühlt.

Beim Digital Detox jedoch ist es seltsamerweise umgekehrt. Denn erst wenn der 50-Jährige mitbekommt, wovon Jüngere entgiften wollen, wird ihm klar: Er ist noch gar nicht so weit. Bekommt er doch täglich nur fünf statt 200 Whatsapp-Nachrichten. Manchmal merkt er stundenlang gar nicht, dass er nicht erreichbar ist. Er liest bisweilen noch auf Papier. Und er muss nicht zurück zu Wecker und Armbanduhr, weil er beides ohnehin nutzt.

Möglicherweise muss sich ein 50-Jähriger also erst noch digital vergiften, damit er sich trendgerecht entgiften kann. Und das, was jetzt verteufelt wird, technisch überhaupt verstehen. Aber gerade da droht ein neues Problem. Denn Kind, Neffe oder Patenkind, die Menschen mittleren Alters sonst digital betreuen, sind möglicherweise bald nicht mehr rund um die Uhr verfügbar. Denn wenn die Mutter oder Tante gerade am Handy verzweifelt und ihre Hilfe braucht, machen sie vielleicht Digital Detox. 

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