Das Lesen als Dehnung der Zeit

Saarbrücken. Nach der Lektüre des im Gollenstein-Verlag in der Reihe "Spuren" erschienenen Romans "Das Lese-Liebeseheglück" des deutsch-georgischen Schriftstellers Giwi Margwelaschwili kennt man den Unterschied zwischen Leser-Vergnügen und Lesevergnügen

Saarbrücken. Nach der Lektüre des im Gollenstein-Verlag in der Reihe "Spuren" erschienenen Romans "Das Lese-Liebeseheglück" des deutsch-georgischen Schriftstellers Giwi Margwelaschwili kennt man den Unterschied zwischen Leser-Vergnügen und Lesevergnügen. Denn in dem 417 Seiten starken Text passiert nichts außer, dass übers Lesen und die Rolle des Lesers in der Begrifflichkeit eines philosophischen Seminars diskutiert wird.Der Roman entstand in der Folge eines vierwöchigen Stipendienaufenthaltes im Jahr 1990 in Saarbrücken des damals noch und seit 2011 wieder in Tbilissi lebenden Autors. Darin steigen am Vorabend der Französischen Revolution "Realweltpersonen", darunter der ehemalige Saarbrücker Kulturdezernent Rainer Silkenbeumer, SR-Literaturredakteur Ralph Schock und der Autor in die Jagdszene eines Wandteppichs im realexistierenden Hotel Fuchs ein. Ihr Plan sieht vor, Fürst Ludwig, nicht standesgemäß, aber glücklich vermählt mit der "Gänsegretel" genannten Katharina Kest in die Zukunft blicken zu lassen. Daraufhin soll er eine in den Chroniken am 11. April 1786 vermerkte Pantomime zu Ehren der Gattin unterbrechen, damit die Zeit anhält und sich sein alsbald von den Zeitläuften zerstörtes Eheglück verlängert. Das gehört zum "Weltverbesserungs- und Glücksbewahrungsprogramm" Margwelaschwilis, der auf diese Weise schon die Bibel, die Ilias und die Buddenbrooks die Macht der Literatur spüren ließ. Das "Lese-Liebeseheglück" Fürst Ludwigs kann dabei nur der Leser bei seinem "Aufenthalt in der Gesichtsbuchwelt des Gänsegretels" bewahren, indem er liest und dadurch die Zeit dehnt.

Diesen Vorgang zu erklären, füllt die Seiten eines Buches, "dessen vertüftelte, immer wieder zu den metathematischsten Dingen abschwenkende Schreibweise", ein Umstand, der "keinem an geradlinig-transparenten Geschichten gewöhnten Leser lange gefallen kann", bemerkt der Autor in der Mitte des Romans.

Määndern und Abschweifen mag in der postmodernen Literatur üblich sein, der sich Margwelaschwili, Träger des Gustav-Regler-Preises 2002, zurechnet. Daher umkreist der Roman die Rahmenbedingungen einer Geschichte, die nicht erzählt wird. Es ist eine Gebrauchsanweisung, was nicht das Problem ist, ebenso wenig der Dauerdiskurs. Sehr wohl aber, dass alles recht langweilig ist. Es verschreckt den Leser, um den der Roman wirbt.

Dabei muss der Autor kein guter Leser seines Werks sein. Jedoch sorgten bei der Vorstellung des Romans im Rathausfestsaal Saarbrücken ein ungünstig platziertes Mikrofon und ein von Margwelaschwili hastig heruntergelesener Text für Verständnisschwierigkeiten. Das hätten Stadt, Verlag und SR als Veranstalter dem 85-jährigen Autor und seinem Publikum ersparen und ihm demjenigen zur Seite stellen können, der für Margwelaschwili die Macht über das Glück des Buchweltpersonals und den Ruhm des Autors entscheidet: einen (Vor)Leser. Doch gerade dieses Erlebnis bringt es auf den Punkt: "Das Lese-Liebeseheglück" ist ein anspruchsvolles Buch über den Leser - aber keines zum lustvollen Lesen.

Giwi Margwelaschwili: Das Lese-Liebeseheglück. Gollenstein, 456 Seiten, 24,90 Euro.

Foto: Gollenstein

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