Angst vor der Wahrheit

Meinung · Fünf Parteien haben sich rechtzeitig zur Bundestagswahl halbwegs ehrlich gemacht. Sie sagen den Bürgern mehr oder weniger offen, was nach dem Urnengang am 22. September 2013 passieren soll. Höhere Spitzensteuersätze, eine Vermögenssteuer oder -abgabe sowie eine höhere Erbschaftssteuer sind es bei den drei Parteien im linken Lager

Fünf Parteien haben sich rechtzeitig zur Bundestagswahl halbwegs ehrlich gemacht. Sie sagen den Bürgern mehr oder weniger offen, was nach dem Urnengang am 22. September 2013 passieren soll. Höhere Spitzensteuersätze, eine Vermögenssteuer oder -abgabe sowie eine höhere Erbschaftssteuer sind es bei den drei Parteien im linken Lager. Die FDP in Gestalt ihres Vorsitzenden Philipp Rösler bringt gerade neue Privatisierungserlöse ins Gespräch, auch bei der Bahn. Und selbst die CSU scheut sich nicht, wenigstens für den Bereich der Verkehrsinvestitionen ihre Idee von einer Pkw-Maut hoch zu halten. Alle diese Vorschläge polarisieren. Und trotzdem trauen sich die fünf Parteien, darüber zu reden. Alle fünf haben die entsprechenden Pläne bestätigt, zum Teil werben sie regelrecht damit.Nur eine Partei schweigt beharrlich. Die CDU, allen voran ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble. In dem jüngsten Parteitagsbeschluss der Union ist viel von soliden Finanzen und Sparen die Rede. Aber an keiner Stelle wird ausgeführt, wie und wo gekürzt werden soll. Im Gegenteil, es werden munter Mehrausgaben geplant, etwa für den Abbau der Kalten Progression im Einkommenssteuerrecht. Und wenn dann doch einmal, wie jetzt an den Feiertagen, konkrete Sparüberlegungen aus dem Finanzministerium bekannt werden, darunter die Streichung des verringerten Mehrwertsteuersatzes auf Lebensmittel, dann wird alles sogleich dementiert. Die CDU plant wieder einen Teflon-Wahlkampf. Die Union soll einerseits finanzpolitisch als grundseriös und solide erscheinen, aber zugleich keine einzige Wählergruppe verprellen. Hier wird das finanzpolitische Nichtstun der zurückliegenden Legislaturperiode geradezu zum Programm erhoben - und die Wählerverdummung zur Strategie gemacht.

Denn klar ist, dass nach der Wahl entweder Sparbeschlüsse kommen oder dass die Einnahmen gesteigert werden müssen. Wahrscheinlich beides. Die demografische Entwicklung verschärft die Finanzierungsprobleme der Sozialkassen weiter. Die erwartete konjunkturelle Abschwächung wirkt sich Defizit-beschleunigend aus. Es gibt großen Nachholbedarf bei Verkehrs-, Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen. Und auf der anderen Seite naht unabwendbar die ab 2016 geltende Schuldenbremse. Außerdem sind da noch die Risiken aus der Euro-Rettung.

Bisher haben Angela Merkel und Wolfgang Schäuble wegen der guten Konjunktur und der weiter sprudelnden Steuereinnahmen die finanzpolitische Stunde der Wahrheit immer weit hinauszögern können. Jetzt versuchen sie, auch noch über den Wahltag zu kommen. Die Wähler sollten ihnen das nicht durchgehen lassen. Schon, um vergleichen zu können.

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