„Geschlafen oder korrupt?“

Berlin · Nur wenige Wochen nach seiner Wahl steht IAAF-Präsident Sebastian Coe massiv unter Druck. Im Doping- und Korruptionsskandal gibt der zweimalige Olympiasieger aber alles andere als eine gute Figur ab.

Sebastian Coe rang um Fassung, sein Stuhl schien von einer bohrenden Frage zur nächsten immer unbequemer zu werden. Der noble Lord wurde förmlich gegrillt. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung des spektakulären Berichts der Wada-Untersuchungskommission über den Skandal in der internationalen Leichtathletik erhielt der neue IAAF-Präsident vor den TV-Kameras von Channel 4 einen Vorgeschmack auf das, was da in den kommenden Wochen über ihn hereinbrechen wird.

180-Grad-Kehrtwende?

"Haben Sie während ihrer Arbeit geschlafen oder sind Sie korrupt?", fragte Interviewer Jon Snow nach der Verantwortung des langjährigen IAAF-Vizepräsidenten. Und Coe? Er versuchte, seine Miene nicht entgleiten zu lassen, betonte seinen Willen nach Aufklärung und beteuerte, von Korruption und Doping-Vertuschung innerhalb des Weltverbandes nichts gewusst zu haben.

Wie so vieles in den vergangenen Monaten, so perlten auch diese Vorwürfe an dem zweimaligen Olympiasieger über 1500 Meter ab. Zur Erinnerung: Nach Bekanntwerden der ARD-Vorwürfe hatte Coe diese als "Kriegserklärung an die Sportart" bezeichnet, danach die Experten mit dem Wort "sogenannt" diskreditiert und noch vergangene Woche den russischen Leichtathletik-Verband auf einem guten Weg im Anti-Doping-Kampf gesehen.

Doch die Zeit des Herumlavierens ist auch für Coe vorbei. Die IAAF wird sich nun mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie den russischen Leichtathletik-Verband ARAF ausschließt. Es wird eine wegweisende Entscheidung nicht nur für die gesamte Sportart sein, sondern sie wird auch Einfluss auf den kompletten Weltsport nehmen. Und Coe muss nach seinen Aussagen eine 180-Grad-Kehrtwende hinlegen.

Zuzutrauen ist ihm das. Der Brite, Architekt der Olympischen Spiele 2012 in London, ist smart. Aber vor allem ist Baron Coe of Ranmore ein Machtpolitiker erster Güte. Nicht umsonst enthielt sein "Manifesto" genanntes Wahlprogramm auch eine finanzielle Hilfe für alle Mitgliedsverbände.

Kritik gab es schon früher

Spötter behaupteten schon damals, eine gewisse Anbiederung sei notwendig, um auf einen Posten zu kommen, auf dem man etwas verändern könne. Bei seiner Abschlussrede vor der Abstimmung in Peking sparte Coe das Thema Doping komplett aus. Erst nach seiner Wahl betonte er seine "Null-Toleranz-Haltung". Während seiner Amtszeit solle eine von der Leichtathletik unabhängige Anti-Doping-Organisation aufgebaut werden. Dies wird jetzt nicht mehr reichen.

Der Freund von IOC-Präsident Thomas Bach - beide gehörten Anfang der 1980er Jahre der ersten IOC-Athletenkommission an - stand bereits in der Vergangenheit in der Kritik. Vor allem wegen seiner Arbeit in der PR- und Marketingagentur CSM. Die Firma berät Bewerber bei der Vergabe von Sport-Großereignissen und verdient dabei gut. So auch bei der Vergabe der ersten Europaspiele an den wegen andauernder Menschenrechtsverletzungen umstrittenen Ausrichter Baku.

Coes Engagement ist es zu einem Großteil zu verdanken, dass London die Olympia-Wahl 2005 gegen Paris knapp gewann. Und auch als Organisations-Chef der Sommerspiele heimste er viel Lob ein. Seit 2012 ist er zudem Chef des Britischen Olympischen Komitees. Der einstige Nationalheld in Großbritannien wurde weltweit respektiert - jetzt scheint sich das Blatt zu wenden. Nach dem schockierenden Wada-Report über ein korruptes Dopingsystem kämpft das Sport-Reich Russland um seine Reputation. "Solange nicht irgendwelche Beweise genannt werden, fällt es schwer, die Beschuldigungen anzunehmen. Sie haben weder Hand noch Fuß", wies Kremlsprecher Dmitri Peskow gestern den Ermittlungsbericht der unabhängigen Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur zurück. Unbeeindruckt davon entzog die Wada als erste Konsequenz aus dem Skandal dem Moskauer Anti-Doping-Analyselabor die Zulassung. "Die Wada hat damit rasch auf eine der Schlüssel-Empfehlungen reagiert, die ihre unabhängige Kommission in ihrem Bericht erhoben hatte", erklärte Wada-Chef Craig Reedie.

Die große Frage ist nun: Wird es zu weiteren Sanktionen gegen Russlands Leichtathleten kommen? "Wer im Sport so skrupellos betrügt, muss damit rechnen, dass ihm eine deutliche Sprache entgegenschlägt - und drakonische Strafen gehören sicher dazu", sagte Dagmar Freitag, Sportausschussvorsitzende im Bundestag: "Entscheidend ist nun, wie der Leichtathletik-Weltverband IAAF mit dem Vorschlag umgeht." Die IAAF hat vom russischen Verband verlangt, bis Ende der Woche einen Bericht vorzulegen.

Nur: Beschränken sich Russlands Machenschaften auf die Leichtathletik ? "Dieses Prinzip ist in jeder Sportart machbar", sagte Doping-Experte Fritz Sörgel: "Wenn man das Labor im Griff hat und Proben verschwinden lassen kann, wäre es auch im Schwimmen oder Fußball machbar."

Zum Thema:

Auf einen BlickPressestimmen zum Wada-Bericht: "Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): Schweinestall Leichtathletik . "The Sun" (England): Coe wird durch Enthüllungen lächerlich gemacht."LA Times" (USA): Der 323-seitige Bericht der Wada liest sich wie ein Spionage-Roman."The Daily Nation" (Kenia): Athleten, Trainer und die Regierung sollten den Bericht der Wada genau studieren. Kenias Offizielle müssen aus den Fehlern Russlands lernen, um Doping besser aufzuspüren, zu bestrafen und zu verhindern."Moskowi Komsomolez" (Russland): Doping ist leider ein unverzichtbarer Teil des professionellen Sports. Andere Nationen haben die besseren Mittel, um es zu verschleiern. dpa/sid

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