„Toleranz liegt nicht in unserem Wesen“

Fulbert Steffensky gehört zu den bekanntesten deutschen Theologen. Eines seiner Schwerpunktthemen ist die Toleranz. Mit dem 80-Jährigen, der in Rehlingen geboren wurde und heute in Luzern lebt, sprach SZ-Mitarbeiter Benjamin Rannenberg.

Herr Steffensky, Sie sind Ende der 60er Jahre in die evangelische Kirche eingetreten. Was versteht ihre Kirche unter Toleranz?

Steffensky: Die evangelische Kirche hat kein geschlossenes Lehrsystem und schon allein das erfordert Toleranz. Die Fähigkeit zu lassen und die anderen nicht im Stich zu lassen - das ist Toleranz. Wir stoßen dau ernd auf andere. Ich bin in einem Dorf groß geworden, das völlig einstimmig war, fast alle waren katholisch, alle glaubten auf dieselbe Weise. Da brauchte man eigentlich nicht besonders tolerant zu sein, weil man das Fremde nicht kannte. Ich meine damit nicht nur Ausländer, andere Hautfarben, sondern ich meine, wir sind umgeben von anderen Lebenskonzepten. Sogar in der eigenen Kirche, oft auch in der eigenen Familie. Es bleibt uns nichts anderes übrig - wenn wir uns als endliches Wesen begreifen - als andere zu lassen, aber sie nicht im Stich zu lassen. Toleranz ist nicht ein Begriff, in dem alles ertragen und alles geduldet wird.

Dürfen wir alles zulassen oder sind wir auch dann noch tolerant, wenn wir Grenzen setzen?

Steffensky: Ich glaube, es gibt keine Toleranz ohne das Bewusstsein von Grenzen. Ich bin nicht alle. Ich muss zum Beispiel nicht den Buddhismus lieben, ich muss nicht eine andere Hautfarbe lieben, aber ich muss sie ertragen. Das heißt, ich darf anderen kein Leid zufügen. Das ist übrigens gar nicht so leicht, weil Toleranz nicht im Wesen des Menschen liegt.

Kann zum Beispiel ein Neonazi, der jahrelang Ausländer hasste, Toleranz lernen?

Steffensky: Einem Neonazi gegenüber wäre ich zunächst einmal nicht tolerant. Die Toleranz hat ihre Grenzen, wo anderen Schmerzen und Unrecht zugefügt wird. Aber das Christentum gibt eigentlich niemanden auf. Es lässt niemanden von der Hoffnung aus. Das gibt einem Menschen das Recht, ein anderer zu werden. Oder anders gesagt, das Recht sich zu bekehren und darum gilt es folglich bei allen - auch bei Neonazis.

Prof. Fulbert Steffensky hält am Freitag, 18 Uhr, in der Saarbrücker Ludwigskirche den Vortrag "Unsere Freiheit und die Freiheit der anderen". Die Veranstaltung findet anlässlich des Themenjahrs "Reformation und Toleranz" im Programm zur Reformationsdekade der Evangelischen Kirche statt.

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