Bei auffälligen Werten klingelt sofort das Telefon

Saarbrücken · Bei der Telemedizin messen Patienten Gewicht oder Blutdruck zu Hause und lassen die Werte von Ärzten online überwachen. Seit 2012 läuft ein Projekt mit 600 Herzpatienten. Nicht alle Ärzte sind begeistert.

Jeden Tag wiegt sich Ines Schöpe - doch nicht mit einer gewöhnlichen Waage; ihr Gerät übermittelt das Gewicht direkt per Modem nach Düsseldorf. Dort, im Zentrum der SHL Telemedizin, wo Ärzte und Pflegekräfte arbeiten, werden die Werte erfasst. Weichen sie von Schöpes Normalgewicht ab, rufen die Mitarbeiter an und schicken die 48-Jährige gegebenenfalls zum Arzt. Bei Menschen mit chronischer Herzschwäche ist die Gewichtskontrolle wichtig, weil sich Wasser im Körper einlagern kann. Schöpe ist eine von 600 Patienten, die am Projekt "Herzstark" der Saarbrücker Krankenkasse IKK Südwest teilnehmen.

Die Telemedizin hat viele Facetten: Sie umfasst Behandlung und Kontrolle durch Ärzte per Internet oder Telefon, aber auch das digitale Hinzuziehen eines Facharztes bei einer OP. Experten schätzen, dass die Telemedizin an Bedeutung gewinnen wird, insbesondere im ländlichen Raum, wo häufig Ärztemangel herrscht.

Schöpe sagt, ihr damaliger Kardiologe sei alles andere als begeistert gewesen. "Er meinte, ich würde gar nicht zu den Patienten zählen, bei denen das Sinn macht." Sie vermutet hinter seiner Ablehnung eher die Angst, ihm könnten die Patienten weglaufen. Inzwischen hat sie den Kardiologen gewechselt und wiegt sich nicht nur täglich, sondern misst auch ihren Blutdruck und führt alle sechs Wochen ein Belastungs-EKG durch. Viel falsch machen kann sie nicht, die Geräte sind einfach zu bedienen. Sie kann ihre Daten jederzeit online einsehen und auch ihr Hausarzt - der laut Schöpe von dem Projekt begeistert ist - hat Zugriff darauf. "Einen richtigen Arzt können und wollen wir nicht ersetzen", betont Tanja Kuhlmann, Leiterin des SHL-Zentrums in Düsseldorf. Ziel sei vielmehr, den Ärzten die Arbeit zu erleichtern und die Kosten für die Kassen zu senken. Denn mit der Telemedizin könnten schwerwiegende Erkrankungen, die die Kassen in der Regel teuer zu stehen kommen, im besten Fall verhindert werden.

"Ein Gefühl von Sicherheit"

"Mit ,Herzstark' sollen auch die Lebensumstände der Patienten verbessert werden", sagt Martin Reinicke, Sprecher der IKK Südwest. Ines Schöpe fühlt sich wohl mit der Telemedizin: "Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit." Nicht nur, weil sie wisse, dass stets jemand ihre Werte im Blick habe, sondern auch, weil sie rund um die Uhr in Düsseldorf anrufen könne.

Derzeit wertet die IKK das Projekt aus. "Wir wollen herausfinden, ob damit die Zahl der Arztbesuche abgenommen hat", sagt Reinicke. Bei Ines Schöpe trifft das allerdings nicht zu. Nach wie vor geht sie alle drei Monate zur Kontrolle zu ihrem Kardiologen.

Ihr Mann Peter Schöpe leidet ebenfalls an Herzproblemen. Gerne würde er auch an "Herzstark" teilnehmen, doch die IKK erteilte ihm eine Absage. Die Kriterien sind genau festgelegt, die Kasse entscheidet, wer teilnehmen darf und wer nicht. Hier setzt die Kritik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Saar an. "Das zentrale Aufnahmekriterium ist, ob ein Patient wegen Herzschwäche im Krankenhaus behandelt wurde", sagt der Kardiologe Dr. Dirk Jesinghaus. Damit berücksichtige die Kasse aber nur eine Einzelsituation und nicht den gesamten Krankheitsverlauf. "Im Prinzip müsste der Arzt entscheiden, ob die Telemedizin für den Patienten Sinn macht." Jesinghaus betont, er sei ein Freund der Telemedizin. Allerdings dürfe das Konzept nicht pauschal auf alle Patienten mit chronischer Herzschwäche angewendet werden. "Man muss sich den einzelnen Patienten anschauen und entscheiden, was er wirklich braucht." Andernfalls würde Geld zum Fenster rausgeschmissen, das an anderer Stelle dringender gebraucht werde.

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HintergrundIm Saarland gibt es neben dem "Herzstark"-Projekt der IKK Südwest bislang nur vereinzelt Telemedizin-Angebote. Mehrere bundesweit tätige Kassen wie die Barmer GEK und die Techniker-Krankenkasse bieten einen Teledoktor an, den Patienten kostenlos konsultieren können. Bei der DAK können Patienten aus dem Saarland laut Sprecher Claus Uebel an dem Projekt "Mein Herz" teilnehmen, das dem "Herzstark"-Projekt der IKK sehr ähnlich ist und in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist.noe

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