Wie ein Optiker-Schleifstein zum bewegenden Moment wurde

Saarlouis · Alte Menschen, die in ein Heim umziehen, bringen oft Lieblingsfotos aus ihrem langen Leben mit. Darüber erzählen sie in einer SZ-Serie. – Heute: Magdalena Zender, 94, die in der Awo-Seniorenresidenz in Saarlouis wohnt.

 Magdalena Zender lebt in der Awo-Seniorenresidenz in Saarlouis. Foto: Hartmann Jenal

Magdalena Zender lebt in der Awo-Seniorenresidenz in Saarlouis. Foto: Hartmann Jenal

Foto: Hartmann Jenal

So richtig schade, dass Magdalena Zenders Augen nicht mehr recht mitmachen. Ihr Fotoalbum, das weit in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts zurückreicht, ist ein Schatz. "Ich verlasse mich mehr auf meine Erinnerung als auf meine Augen", sagt die 94-Jährige in der Awo-Seniorenresidenz in Saarlouis .

Gern erinnert sie sich an eines der Schwarz-Weiß-Fotos, das sie an einem großen Schleifstein zeigt. Es stammt aus der Zeit unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg, der im August 1939 begann. Das Bild entstand in der Werkstatt des Optikers Bohr in der Französischen Straße in Saarlouis . Magdalena Zender hat dort gelernt und gearbeitet, insgesamt sieben Jahre lang. "Ich weiß es noch", sagt sie heute. "Damals gab es beim Optiker zwei Schleifsteine. An einem saß ich. Ich musste das Monokel eines alten Offiziers nachschleifen. Die Rillen, genauer gesagt, damit das Monokel auch hielt. Das war damals schon unmodern."

Optikerin war nicht ihr Wunschberuf. "Es gab damals nur wenige Lehrstellen, und ich bin jeden Tag zum Arbeitsamt gegangen. Ich hätte alles genommen, es war ganz gleich."

An Seniorchef Johann und den Juniorchef Otto Bohr erinnert sich Zender bis heute mit Respekt und Dankbarkeit. Viel habe sie von ihnen gelernt. "Und wenn der Krieg nicht gekommen wäre, hätte ich da auch noch länger gearbeitet."

1941 hat sie geheiratet, ihr Mann Hermann war Berufssoldat und Heeresmusiker. Zwei Jahre in Bukarest stationiert, "es gab im Radio die ‚Deutsche Stunde im Rundfunk', die man mit größeren Geräten auch hier hören konnte. Da habe ich ihn spielen hören." Zwei Söhne bekam das Ehepaar. Von Beaumarais aus, von der Roten Zone aus, ging's in die Evakuierung. "Als ich nach dem Krieg zum ersten Mal in die Französische Straße kam, war alles kaputt. Aus einem Trümmerhaufen sah ich einen der beiden Schleifsteine herausragen. Ich hatte Tränen in den Augen." Heute freilich schleife kein Optiker mehr Linsen. Technisch geht das ganz anders, "aber ich frage mich schon, ob damals die Genauigkeit nicht vielleicht größer war."

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